Diakonie – Freundin der offenen Gesellschaft

12:30 Uhr, Bundespressekonferenz. Das ist kein üblicher Termin für einen Diakoniepräsidenten heute. Einerseits. Andererseits: Diakonie leitet sich von dem griechischen Wort „diakonein“ ab. Das bedeutet nicht nur „dienen, vermitteln“, sondern auch „dazwischengehen.“ Menschen, die diakonisch tätig sind, bleiben nicht abseits, sondern gehen dazwischen, vermitteln, bauen Brücken, helfen, suchen Lösungen, mischen sich ein.

Postkarte von www.die-offene-gesellschaft.de

Wir in Diakonie und Kirche sollten auch nicht abseits stehen, wenn es um die Zukunft Deutschlands geht. Die offene, demokratische Gesellschaft, unter deren Dach Menschen mit sehr unterschiedlichen Werten, Weltanschauungen und auch Religionen eine Heimat finden, wird derzeit massiv angegriffen. Eine Minderheit – etwa ein Fünftel unter uns – gibt ihrer Unzufriedenheit Ausdruck: bei Wahlen, Demonstrationen, im Internet. Sie verlangt nach einem restriktiveren, homogeneren Gemeinwesen, nach einem „deutscheren Deutschland“. Es ist ihr demokratisch verbrieftes Recht, diese Meinung zu äußern. Aber es kann nicht angehen, dass diese Minderheit die politische Debatte dominiert und das gesellschaftliche Klima erhitzt, wie sie es seit gut einem Jahr tut. Sie hat mehr Einfluss, als ihr zusteht. Das kann auch uns in den Kirchen nicht egal sein. Es ist also höchste Zeit, diakonisch zu werden und dazwischen zu gehen.

Darum werben wir – der Soziologe Harald Welzer, die Schauspielerin Katja Riemann, die Theatermacherin Esra Küçük vom Maxim-Gorki-Theater, der Museumsmanager Martin Roth und ich als evangelischer Christ und Diakoniepräsident – heute in der Bundespressekonferenz gemeinsam für die Initiative und das Konzept „365 Tage Offene Gesellschaft“.

Es geht darum, in dem Jahr vor der Bundestagswahl Foren zu schaffen, in denen die bislang zu oft schweigende Mehrheit der Gesellschaft eine positive Debatte über die Zukunft unserer offenen Gesellschaft führt. Mindestens 365 Aktionen sollen bis zur Wahl unter dem Dach der Initiative Offene Gesellschaft stattfinden. Mitmachen kann jeder – Einzelpersonen, genauso wie Kommunen, Vereine, Organisationen, Kirchengemeinden, Einrichtungen, Landes- und Fachverbände der Diakonie, Akademien oder Unternehmen. Die Initiative bietet für alle Interessierten Unterstützung und Leitfäden. Mit im Boot ist auch die Robert-Bosch-Stiftung, bei der bis zu 3000 Euro für die eigene Idee beantragt werden können.

Ich wünsche mir eine Vielzahl von lautstarken, konstruktiven, kontroversen Debatten, in denen anschaulich und erfahrbar wird, dass es Offenheit und Vielfalt sind – auch die Vielfalt von erkennbarer Religiosität im öffentlichen Raum – , die unsere Gesellschaft so stark und lebendig machen. Auch wir in den Kirchen haben durch die Jahrhunderte mit großem Gewinn gelernt, unsere offene Gesellschaft auf der Basis des Grundgesetzes zu schätzen und zu fördern. Und die offene Gesellschaft profitiert umgekehrt von der gestaltenden Kraft der zivilisierten Religionen. Die offene Gesellschaft der ohne Angst zusammen lebenden Verschiedenen bietet, davon bin ich überzeugt, den besten Rahmen für eine zukunftsfähige Gesellschaft, in der demokratische Vielfalt als Motor für Entwicklung und sozialen Zusammenhalt gelebt werden kann.

Diese Debatten werden wir auch in den Verbänden und Einrichtungen der Diakonie zu führen haben. Wir haben schließlich selber ein Thema mit Vielfalt, lernen, wie wir diakonisches Profil behalten bei gleichzeitiger Öffnung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Religionen. Ein Kopftuch-, Kippa- oder Turbanverbot in der Diakonie lässt sich nur schwerlich verteidigen. Theologisch begründe ich das mit dem dreifachen Liebesgebot, unserem höchsten Gebot: Gott lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Auf dieser Basis sollte Vielfalt doch lebbar sein, oder? Darüber werden wir zu diskutieren haben. Ich hoffe, Sie sind dabei.