„Angst ist ein schlechter Ratgeber“ – hat uns Kindern unsere Mutter immer gesagt. Und auch die Bundeskanzlerin hat in einer bemerkenswerten Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Bern über die humanitäre Jahrhundertherausforderung Flucht empfohlen, diesen guten, alten Grundsatz zu beherzigen: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und gleichzeitig hat sie in diesem Gespräch als ein probates Mittel gegen die Angst die vertiefte Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben empfohlen.
„Großes Herz – 7 Wochen ohne Enge“ ist das Motto der diesjährigen evangelischen Fastenaktion.
Wieder werden Millionen Menschen dem Aufruf folgen und versuchen in den Wochen bis Ostern auf eine Gewohnheit zu verzichten, um den eigenen Abhängigkeiten auf die Spur zu kommen, um ihrem Leben – und vielleicht auch Gott – mit einer anderen Bewusstheit zu begegnen.
Im Deutschen gibt es sprachgeschichtlich eine enge Verwandtschaft zwischen den Worten „Enge“ und „Angst“. Angst ist „das, was zur Enge gehört“. Unmittelbar einleuchtend wird diese Zuschreibung, wenn ich mich an die eigenen körperlichen Erfahrungen von Angst erinnere: Sie schnürt einen ein. Die Muskulatur rund um den Brustkorb verkrampft sich, das Atmen wird schwer. Der ganze Organismus kann in einen Ausnahmezustand geraten. Welche Erleichterung, wenn die Verkrampfung sich löst, wenn der Atem wieder fließt. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“ sagt der Volksmund zu Recht. Wer keine Luft bekommt, kann nicht klar denken.
Fast von selbst versteht sich, dass wir unsere und anderer Ängste zunächst gelten lassen, ernst nehmen und verstehen sollten.
Der erste Bibeltext, den die Macher der Fastenaktion den Fastenden empfehlen, sind einige Verse aus dem 57. Psalm. Es ist ein Text voller Angst. Der Betende fühlt sich bedroht, verfolgt, umstellt, ihm wird die Luft abgedrückt. „Meine Seele liegt unter Löwen“ übersetzt Luther. Seele, das klingt in unseren Ohren spirituell. Das Hebräische Wort „Näfäsch“, das oft mit Seele übersetzt wird, ist aber auch sehr körperlich gemeint: Es meint die Kehle, den Sitz der Stimme also, und den Atem: „Meine Kehle liegt unter Löwen“.
Das faszinierende ist, wie sich die Stimmung des Beters in dem Psalm plötzlich wendet: „Mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe.“ Gerade noch von Löwen bedroht, gewinnt der angstvolle Mensch im Gebet einen offenen Horizont, er singt sogar: „So weit der Himmel ist, so weit die Wolken gehen.“ Das ist ein starkes Bild: Die Zuwendung zu Gott vermag die Angst zu lösen. Der Mensch bekommt wieder Luft. Das Herz wird weit. Und weil im Hebräischen „Herz“ für die Brust, für das Gefühl, für Wunsch, Wille und das Denken steht, gewinnt mit einem weiten Herzen auch das Denken wieder an Klarheit und Weite.
Ich hoffe, dass die kommende Fastenzeit dazu beitragen wird, die vielen engen, ängstlichen Herzen in diesem Land zu weiten. Denn die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, denen wir in Deutschland, Europa, in der Welt derzeit zu begegnen haben, brauchen dringend Menschen, die sich von ihren Ängsten nicht gefangen nehmen lassen.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete und Weite eröffnende Passionszeit in der Begegnung mit dem Gott, der dem Leiden nicht ausweicht – und es schon gar nicht aussperrt: ein weites Herz und einen kühlen Kopf.