Vier Tage, vier Städte, vier Themen: In diesem Jahr steht meine Sommerreise im Zeichen der bevorstehenden Bundestagswahl. Ich möchte vor Ort mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Landesverbänden zeigen, vor welchen sozialen Herausforderungen wir in Deutschland stehen: In Coburg geht es um den Rechtsanspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse, sprich Chancen, in der Stadt wie auf dem Land, in Berlin steht das Thema bezahlbares Wohnen im Mittelpunkt und in Halle/Saale machen wir auf Kinder- und Familienarmut aufmerksam.
Im Blog geht es heute aber um den Besuch in Düsseldorf, meiner alten Heimat. Dort ist die Integration von Geflüchteten Focus unseres Besuchs. Besonders das Thema Arbeit. Und gerade an diesem Beispiel wird deutlich, welch ärgerlich absurde Hürden die unflexible Überregulierung unserer Gesellschaft vielen Menschen in den Weg stellt, etwa beim Versuch, sich ein Leben aufzubauen. Das gilt nicht nur für Geflüchtete.
Arbeit für Geflüchtete
Aber von vorne: Bereits seit Dezember 2015 fördert die Bundesregierung den Einsatz von Flüchtlingen im Freiwilligendienst in den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen. Die Vorteile liegen auf der Hand: regelmäßige sinnvolle Beschäftigung, beiläufige Möglichkeit, die Sprachkenntnisse zu verbessern, neue Kontakte zu Einheimischen und erste Erfahrungen im deutschen Arbeitsmarkt. – In der Diakonie Rheinland-Westfalen beenden derzeit die 20 Geflüchteten des ersten Jahrgangs ihren Dienst. Einige von ihnen habe ich in Düsseldorf kennengelernt – beeindruckende Menschen!
Tarek al Kousa, 39, der in seiner Heimat Syrien neunzehn Jahre als Pfleger gearbeitet hatte, hat zuletzt in der von Krieg zermürbten Stadt Homs sogar Notoperationen übernommen. 2015 flüchtete Tarek über die Türkei mit dem Boot über das Mittelmeer und Italien nach Deutschland. Der sechsmonatige Freiwilligendienst im Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie war ein voller Erfolg. Er möchte unbedingt wieder als Krankenpfleger arbeiten („Ich liebe meinen Beruf.“). An seinen Fähigkeiten besteht kein Zweifel. Das Problem: In Deutschland braucht man für eine entsprechende Ausbildung einen Realschulabschluss und Tarek al Kousa kann nur einen Abschluss der Klasse 9 nachweisen. Damit kann er maximal eine Ausbildung als Krankenpflegeassistent beginnen – und das erst wenn er fortgeschrittene Deutschkenntnisse nachweisen kann. In Homs hat er fast zehn Jahre die Intensivstation geleitet. Weil er Konflikte mit dem Assad-Regime hatte, wurde sein Diplom beschlagnahmt.
Tarek lässt sich nicht entmutigen. Das allein erfüllt mich mit großem Respekt. Er will und wird seinen steinigen Weg weitergehen. Trotz seiner 39 Jahre will er eine drei bis vier jährige Ausbildung beginnen, sobald er den Deutschkurs abschließen konnte, den er noch nicht einmal begonnen hat. Auf eine Zulassung wartet er schon seit mehreren Monaten.
Absurde Überregulierung
Ich finde diese Situation absurd! Wir beklagen in Deutschland einen Pflegenotstand, Menschen die ihr Berufsleben für Schwache und Hilfebedürftige einsetzen möchten, fehlen an allen Orten. Und trotzdem wird darauf beharrt, die bürokratischen Wege einzuhalten: Kein zertifiziert gutes Deutsch – keine Möglichkeit zur Ausbildung, egal welche Fähigkeiten gebraucht werden. Der Einzelfall wird gar nicht erst geprüft, ob und wie der Spracherwerb und Ausbildung parallel laufen könnten, wird nicht diskutiert. Mehr Flexibilität stünde uns hier gut -die Bundeskanzlerin hat sie zu Recht in vielen Gipfelgesprächen bei der Integration gefordert und an unsere guten Erfahrungen bei der deutschen Wiedervereinigung erinnert. Davon würden nicht nur Geflüchtete profitieren, sondern auch andere Menschen, die auf ungeraden Wegen ihren Weg ins Berufsleben finden. Selbstverständlich ist die Professionalität in der Pflege ein hohes Gut. Wir setzen uns als Diakonie seit langem für hohe Fachlichkeit in der Pflege ein. Trotzdem brauchen wir in dieser Situation eine neue pragmatische Kultur des „Sowohl, als auch“, was die Anforderungen an Qualifizierungen und Möglichkeiten des Nachweises einer Eignung für die Ausbildung angeht.
Für die Integration von Geflüchteten ist Arbeit so etwas wie die Eintrittskarte. Auch Rima Almasri berichtet wie viel Perspektive ihr das Freiwillige Soziale Jahr im Bonner „Haus der Familie“ geschaffen hat. Die 40-Jährige hat in Syrien als Psychologin gearbeitet, eine sehr kluge Frau, die zwei Kinder im Bombenkrieg verloren hat. Wäre es nicht großartig so eine lebenserfahrene Psychologin in unseren Psychosozialen Beratungsstellen zu beschäftigen? Eine Frau, die nicht nur eigene Erfahrungen und die fachliche Expertise mitbringt, sondern auch noch Arabisch spricht? Von der Möglichkeit einer solchen Arbeit hat Rima Almasri in unserem Gespräch zum ersten Mal gehört. Ein Unding eigentlich. Es fehlen die netzwerkenden Menschen, die unbürokratisch-pragmatischen Beraterinnen und Berater, die geflüchtete Menschen nicht als Problem sehen, sondern mit ihnen nach Lösungen suchen und sie an die richtigen Stellen weiterleiten.
Diakonie als Netzwerkerin
Liegt hier nicht auch eine Aufgabe für uns als Diakonie? Es gibt vereinzelt Modellprojekte, die es Geflüchteten bereits ermöglicht, schneller in das Berufsleben einzusteigen. Das funktioniert meistens dann, wenn sich Politik, Arbeitsagentur, Migrationsfachdienste und Träger vor Ort gut abstimmen. Wie könnten wir vor Ort dafür sorgen, dass diese erfolgreichen Projekte Nachahmer finden? Wir können noch bessere Netzwerker werden und mit anderen dazu beitragen, dass Kompetenz, gute Ideen und Engagement in der Bürokratie nicht auf Grund gehen. Auch wir können helfen, dass dringend gebrauchte Menschen, die motiviert und qualifiziert sind, keine Steine in den Weg gelegt, sondern Brücken gebaut werden. Ein Mann wie Tarek al Kousa hat das Zeug, in drei Jahren in der Kaiserswerther Diakonie eine Station zu leiten.