Wann konnten Sie zuletzt diese beglückende Erfahrung machen? Sie sind schon den ganzen Tag nicht in Bestform, das Gegenteil von einem High-Performer. Sie sind mit sich selbst noch unzufriedener als sonst und überhaupt scheint dieser Tag nur Fehlermeldungen zu bieten.
Und dann begegnet Ihnen diese Kollegin. Die Sie so wertschätzend anspricht, die Ihnen mit solch verwandelnder Offenheit und Herzlichkeit begegnet, dass sich dieser Tag, den Sie schon verloren gegeben hatten, plötzlich dreht.
Kennen Sie solche Menschen in Ihrem persönlichen Umfeld, die über diese im Wortsinn „himmlische Gabe“ verfügen, Menschen zu verwandeln? In deren Gegenwart Sie im Wortsinn wachsen, sich innerlich aufrichten, es Ihnen wieder leichter von der Hand geht und Sie plötzlich zu Ihrer Bestform auflaufen? Ich selbst spüre, wie ich in Gegenwart von solchen Menschen Spiellaune gewinne, Spaß daran habe, mein Bestes zu geben und meine Schätze auszupacken.
Immer wieder stoße ich, stoßen wir, auf die Frage: Was ist Diakonie? Eine Definition des Theologen Wolfgang Huber lautet: Diakonie bedeutet, „anderen zu helfen, ein eigener Mensch zu sein“. Menschen ohne jeden Vorbehalt dienlich zu sein – kollegial – oder eben im Kontakt mit Klienten und Bewohnerinnen. Den anderen helfen, ihre eigenen Schätze zu heben. Meinem Gegenüber einen hellen Augenblick zu verschaffen. Aufrichten, was verkrümmt ist. Den Anderen zumindest diesen heiligen Augenblick lang erfahren lassen, wie Gott ihn gemeint hat: Ein eigener Mensch, ein einzigartiges Ebenbild Gottes, ein Original mit besonderen Begabungen und Schwierigkeiten, mit speziellen Wünschen und vielleicht einem ganz persönlichen Humor. In jedem Fall mit einer unveräußerlichen und unverlierbaren Würde.
Ich glaube, die meisten von uns haben weniger Angst vor ihren Schwächen, die ihnen nur allzu vertraut sind, als vielmehr vor ihren Stärken. Von Nelson Mandela stammt der schöne Satz, dass alle Menschen dazu bestimmt sind zu leuchten, wie es manchmal Kinder tun. Wir sind geboren, sagt er, um den Glanz Gottes, der in uns ist, zu manifestieren. Wenn wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir unbewusst auch anderen Menschen in unserer Umgebung die Erlaubnis, dasselbe zu tun.
Diakonie, das ist der schöne und himmlische Dienst am Menschen, der anderen hilft, sich ins rechte Licht zu setzen (setzen zu lassen), zu leuchten. Diakonie bedeutet, anderen trotz allem, was schwierig ist und schwierig bleibt, zu helfen, ein eigener Mensch zu sein. Eine aufrichtende Erfahrung für den anderen und auch für mich selber. Wenn wir wirklich lebensdienlich sind und hilfreich, so dass andere ihr Licht leuchten lassen, dann dient dieses Tun nicht zuletzt auch uns selbst, denn dann weisen wir uns selbst damit auch darauf hin, wozu wir bestimmt sind. Die Bibel nennt diese wunderbare Erfahrung des Sich-gegenseitig-ins-rechte-Licht- Setzens mit einem schönen alten Wort: Segen.
Es gibt eine wunderbare kurze Heilungsgeschichte im Lukas Evangelium (Lukas 13,10-13): „Jesus lehrte aber am Sabbat in einer der Synagogen. Und siehe, da war eine Frau, die 18 Jahre einen Geist der Schwäche hatte; und sie war zusammengekrümmt und gänzlich unfähig, sich aufzurichten. Als aber Jesus sie sah, rief er ihr zu und sprach zu ihr: du bist gelöst von deiner Schwäche. Und er legte ihr die Hände auf, sofort wurde sie gerade und verherrlichte Gott.“
In dieser segensreichen Tradition meint Toleranz, gerade dem Fremden, dem Anderen gegenüber, sehr viel mehr als ein bloßes: „Naja, wenn Du meinst…“. Toleranz meint Leidenschaft und aktives Interesse für diesen Anderen: Mein Gegenüber mit Gottes Augen sehen und damit rechnen, dass der Höchste mir im Licht dieses Menschen begegnet.