Deutschland redet über das Sterben. Und das ist gut so! Denn bislang wurde über dieses sperrige Thema unseres Menschseins viel zu wenig gesprochen: in der Öffentlichkeit, in Familien oder im Büro und auf der Arbeit. Wie wollen wir sterben? Hand aufs Herz, wann und mit wem reden wir darüber? Die erste breite parlamentarische und mediale Debatte über die Umstände und die Art, wie wir in Würde aus dem Leben scheiden, ist ein Segen und bietet viele gute Möglichkeiten!
Wir werden sprachfähig und beginnen, über ein bislang viel zu wenig öffentlich diskutiertes Thema zu sprechen. Endlich wird über die gefährdete Selbstbestimmung bei schwerer Erkrankung und am Lebensende gesprochen. Endlich wird breit und öffentlich darüber diskutiert, dass nicht jede medizinisch mögliche Therapie einem schwer erkrankten Menschen, wohl aber Dritten nutzt, die durchaus gut daran verdienen. Endlich wird öffentlich danach gefragt, wie die Umstände und die Qualität einer Begleitung eines würdevollen Sterbens zu Hause aussehen müssten, wo immer noch die meisten Menschen sterben möchten. Und darüber, was wir uns das kosten lassen müssen.
Die meisten Menschen sterben aber nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus oder in einem Altenpflegeheim. Die Ursachen für diese Entwicklung weisen uns auf die anderen Seiten unseres mobilen und so selbstbestimmten Lebens: es gibt zu viel Vereinzelung und zu wenig Nachbarschaft, vor allem in den großen Städten, aber auch in manchen menschenleeren ländlichen Regionen. Altersarmut, steigende Mieten und fehlende soziale Infrastruktur zwingen deshalb viele alte Menschen, unfreiwillig ihre Selbstbestimmung aufzugeben. Nach dem Sturz zu Hause weist die Sozialarbeiterin im Krankenhaus den unvermeidlichen Weg in die stationäre Pflege.
Selbstverständlich wird hier an vielen Orten sehr gute Arbeit unter oft schwierigen Bedingungen geleistet. Aber viel zu wenig wird in der aktuellen Debatte darüber geredet, dass gerade bei der Begleitung von hochaltrigen Menschen am Lebensende die eigentliche flächendeckende Gefährdung der Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft droht. Bis zu vier – vermeidbare – Krankenhausaufenthalte müssen hochaltrige Menschen statistisch in den letzten beiden Jahren ihres Lebens über sich ergehen lassen. Das hat mit zu wenig Pflegepersonal, überforderten Hausärzten und viel zu wenig Wissen um die Bedeutung von palliativer Begleitung von alten Menschen zu tun.
Untersuchungen und Modelle aus Norwegen belegen, die Versorgung hochaltriger und oft vielfach erkrankter alter Menschen ist in unserem Land immer noch mangelhaft. Sie zu verbessern, kostet Geld und erfordert qualifizierte Pflegende und einen erheblichen Ausbau der geriatrischen Medizin. Low tech, high Touch – weniger medizinische Technik und mehr menschliche Zuwendung wäre ein Segen für viele dieser Menschen. Und würde Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen. Viele unserer Alten sterben aber viel zu früh einen sozialen Tod. Auch die Versorgung von Menschen mit Demenz erfordert zukünftig einen Mix von guten Orten für unterschiedlich stark betroffene Menschen und ihre Angehörigen. Mitten im Quartier, im Dorf und genauso auch in guten stationären Einrichtungen. Hier liegt viel im Argen und hier liegen die eigentlichen Herausforderungen und Gefährdungen der Humanität in einer immer älter werdenden deutschen Gesellschaft.
Es wird allerhöchste Zeit, dass sich in der aktuellen Debatte um den assistierten Suizid der Scheinwerfer der medialen und öffentlichen Debatte endlich auf unsere Alten und ihr Schicksal richtet! Sie werden jeden Tag mehr und bis wir selbst dazu gehören, ist nur eine Frage der Zeit!