Rentenpolitik mit Weitblick – Altersarmut abwenden

Mit einem eindrucksvollen Festakt ist in der vergangenen Woche in Berlin an die Entstehung der gesetzlichen Rentenversicherung vor 125 Jahren erinnert worden. Zu Recht, denn mit der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) begann am 24. Mai 1889 eine neue Epoche deutscher Sozialpolitik. Zum ersten Mal wurde Altersarmut in Deutschland durch ein Versicherungsmodell gemildert.

Jeder hat ein Recht auf ein auskömmliches Leben in Würde.
Jeder hat ein Recht auf ein auskömmliches Leben in Würde.

1957 wurde die Rentenversicherung neu ausgerichtet, als der Bundestag mit breiter politischer Mehrheit beschloss: Die Rente soll künftig nicht nur Zuschuss zum Lebensunterhalt, sondern Lohnersatz sein. Wer in seiner Erwerbstätigkeit ein höheres Einkommen erzielt, zahlt mehr in die gesetzliche Rentenversicherung ein und erhält später auch eine höhere Rente.

Dazu wurde nicht nur das Leistungsniveau deutlich erhöht, sondern Rentner sollten auch künftig an der Lohnentwicklung teilhaben (Dynamisierung). In Deutschland ist die gesetzliche Rente heute die Haupteinnahmequelle für ältere Menschen.

Die Rentenversicherung hat über Jahrzehnte viele Menschen im Alter finanziell abgesichert. Wir sehen aber auch deutlich: Sie stößt gegenwärtig an Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Armut im Alter nimmt wieder zu.

Das Armutsrisiko für Rentnerinnen und Rentner liegt bereits heute über dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Dabei liegt die Armutsrisikoquote bei Frauen im Alter mit 16,2 Prozent mehr als vier Prozentpunkte über der der Männer (12 Prozent). Zugleich nimmt die Armut in Ostdeutschland deutlich zu. Die Gründe sind bekannt: schlechte Entlohnung, hohe Arbeitslosenzahlen und eine daraus folgende ungenügende Alterssicherung.

Insgesamt hat sich in Deutschland die Zahl der Beziehenden von Grundsicherung im Alter seit 2003 fast verdoppelt. Zu bedenken ist dabei noch, dass viele Seniorinnen und Senioren aus Scham oder fehlender Rechtskenntnis die Grundsicherung immer noch nicht in Anspruch nehmen. Modellrechnungen des Sozialverband VdK Deutschland (VdK) gehen davon aus, dass 2020 etwa 17 bis 20 Prozent der Seniorinnen und Senioren von Armut betroffen sein werden. Also fast jeder fünfte alte Mensch!

Der am Montag erschienene Rentenausblick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) macht deutlich: Trotz Fortschritten auf dem Weg zu nachhaltigeren Rentensystemen sind weitere Reformen dringend nötig.

Um Altersarmut abzuwenden, ist eine umfassende Präventionsstrategie gegen Beitragslücken und nicht ausreichende Beitragszahlungen in der gesetzlichen Rentenversicherung notwendig! Hierzu gehören zunächst Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur nachhaltigen Eingliederung am Arbeitsmarkt und hinreichenden Verbeitragung von Zeiten der Erwerbslosigkeit. Instrumente zur Sicherung von auskömmlicher Entlohnung und zur uneingeschränkten Sozialversicherung bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen müssen diese Maßnahmen ergänzen. Auch sollte eine Beitragszahlung während Zeiten der Kindererziehung und der Pflege gesichert sein. Wir benötigen schließlich auch einen Ausbau von gesundheitlicher Prävention und Rehabilitation- auch im Alter.

Zugleich muss die gesetzliche Rente ergänzt werden. Aber Menschen mit niedrigen Einkommen können sich private und betriebliche Vorsorge eben häufig gar nicht leisten! Zudem gibt es bei befristeten Stellen und in kleinen Unternehmen oft keine Zusatzvorsorge. Darum ist eine Mindestrente nötig – solidarisch finanziert aus allen Einkommen und Kapitalerträgen. Die Mindestrente muss nach 30 Beitragsjahren über der Grundsicherung liegen, aktuell mindestens bei 850 Euro. Sonst würde sich Arbeit nicht mehr lohnen und eine ausreichende Versorgung im Alter nicht mehr sichern, was ein fatales Signal für unser Gemeinwesen wäre.

Der Blick auf 125 Jahre Rentenversicherung zeigt: Rentenpolitik erfordert Weitblick. Veränderungen wirken sich erst in Jahrzehnten aus. Kurzfristiges Handeln mit Blick auf Legislaturperioden hilft nicht weiter. Die Diakonie Deutschland leistet mit dem vorliegenden Papier einen grundlegenden Beitrag zur Diskussion über die zukunftsfeste Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, die Erwerbstätigen auch im Alter ein menschenwürdiges Einkommen sichert, mit dem sie leben können.

Das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren“) hat einen ganz nüchternen Hintergrund: Es erinnert seit vielen tausend Jahren daran, dass die aktive Generation eine Verantwortung für diejenigen trägt, die ein Leben lang gearbeitet und gesorgt haben. Sie haben ein Recht auf ein auskömmliches Leben in Würde.