Für ein Interview mit diakonie.de sprach ich mit einem jungen Vater über das Vater sein früher und heute. Ein sehr spannendes Gespräch.
Diakonie.de: Herr Spitzer, Ihre Tochter ist vier Monate alt. Haben Sie heute Nacht viel geschlafen?
Gregor Spitzer: Unsere Tochter ist nur einmal in der Nacht wach – also ein sehr entspanntes Kind.
Diakonie.de: Herr Lilie, Sie haben vier Kinder im Erwachsenenalter. Waren die Nächte auch entspannt?
Ulrich Lilie: Wir haben als erstes unsere Zwillinge bekommen. Zwei sind schon anstrengend und sie schliefen eben nicht so wunderbar durch, da war dreimal nachts Aufstehen normal.
Diakonie.de: Wenn es um das Thema Familienplanung geht, sind Männer oft zurückhaltender. Viele fürchten, mit Kindern auch ein Stück Freiheit aufzugeben. Wie war das bei Ihnen?
Spitzer: Den Gedanken, dass ich viel Freiheit aufgebe, hatte ich nicht. Meine Freundin und ich haben von Anfang an darüber geredet, dass wir Kinder haben wollen. Und wenn ich jetzt sehe, wie unsere Tochter jeden Tag etwas Neues entdeckt, war das definitiv die richtige Entscheidung. Klar kann ich jetzt nicht mehr spontan ins Kino gehen. Aber man muss einfach wissen, dass das dazu gehört. Jemand, der absolute Freiheit will, der sollte keine Kinder kriegen.
Diakonie.de: Wie war das bei Ihnen, Herr Lilie?
Lilie: Ich war 35 Jahre alt, als wir unsere Zwillinge bekamen. Bei uns war es dann auch ein echter Wunsch. Ich habe vorher studiert und in unterschiedlichen Städten gearbeitet. Wir haben uns Zeit füreinander genommen und das war auch wichtig. Als die Zwillinge dann da waren, hatte das etwas von Kinderstation. Aber auch wenn es manchmal anstrengend war, überwog immer die Freude.
Diakonie.de: Herr Spitzer, Sie sind gerade sechs Monate in Elternzeit, konzentrieren sich auf das Private und stellen den Job hinten an. Glauben Sie, dass es in der Gesellschaft ein Umdenken gibt?
Spitzer: Ja, ich glaube, früher lag die Priorität schon mehr auf dem Job. Ich habe das Gefühl, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute eine größere Rolle spielt. Mir ist beides total wichtig. In meinem Job kann ich meinen Ehrgeiz ausleben und für das Menschliche und die eigene Entwicklung ist mir mein Kind sehr wichtig.
Diakonie.de: Herr Lilie, wie war das bei Ihnen mit vier Kindern? Wie haben Sie die Balance zwischen Privatem und Beruf gefunden?
Lilie: Meine Frau hat sechs Jahre den Schwerpunkt auf die Kindererziehung gelegt. Ich bin ihr sehr dankbar dafür. Ich habe Vollzeit gearbeitet. Trotzdem habe wir uns viel geteilt – soweit das mit meinen beruflichen Pflichten möglich war. Das war eine Zeit, in der es außer dem Beruf und der Familie wenig gab. Aber ich habe das sehr gern gemacht, weil ich sehr gerne Vater bin.
Diakonie.de: Wie stehen Sie dazu, dass Väter heute Elternzeit nehmen?
Lilie: Ich würde mal die These wagen, dass ich heute auch sechs Monate Elternzeit genommen hätte. Es ist toll, dass es mittlerweile diese Möglichkeit gibt und die Gesellschaft hier im Wandel ist.
Diakonie.de: Herr Spitzer, wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie Elternzeit nehmen?
Spitzer: Interessanterweise haben die Männer aus meiner Elterngeneration ähnlich reagiert wie Sie, Herr Lilie: ‘Diese Möglichkeit hätte ich mir auch gewünscht‘. Witzigerweise war es eine Freundin, die zu mir gesagt hat: ‘Mensch, wieso macht das nicht deine Freundin‘.
Diakonie.de: Männer wollen also eine wichtigere Rolle bei der Erziehung spielen?
Spitzer: Ja, ich glaube, dass Männer sich das immer mehr vorstellen können. Trotzdem ist es mit der Elternzeit ja nicht getan. Ich bin gespannt, wie es wird, wenn ich wieder Vollzeit in den Beruf einsteige. Ich plane ein oder zwei Tage in der Woche, wo ich pünktlich das Büro verlasse und meine Tochter aus der Kita abhole. Aber ich sehe schon die Gefahr, dass ich mehr arbeite als meine Freundin.
Lilie: Aber ich glaube, da ändert sich etwas. Vor ein paar Tagen haben wir bei einem Gespräch einen neuen Termin mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gesucht. Er sagte: ‘Mittwochsnachmittags, da kann ich nicht, Herr Lilie‘. Gabriel hat diesen Tag für die gemeinsame Zeit mit seiner Frau und Tochter reserviert und das wissen auch alle im Ministerium. Das zeigt, dass solche Zeiten mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert sind.
Diakonie.de: Wie ist es bei Ihnen? Haben sie Familienzeiten?
Lilie: Ich bin jetzt in der Phase, wo meine Kinder mich anders brauchen. Meine jüngste Tochter sagt jetzt nicht stündlich, ‘Papa, heute Nachmittag will ich etwas mit dir machen’. Aber sie freut sich, wenn ich da bin. Als wir zu entscheiden hatten, wo wir in Zukunft leben werden, in Düsseldorf oder Berlin, hat sie klar gesagt, dass sie keinen Wochenend-Papa will. Meine Präsenz ist wichtig, dass ich sie mal ins Kino fahre, oder in die Stadt. Da springt auch mal ein T-Shirt raus (lacht). Aber mit 16 Jahren orientiert man sich in erster Linie anderen Dingen als an seinem Papa. Im Moment sind Semesterferien, da sind auch zwei von den Großen da. Das ist eine Zeit, die ich sehr genieße. Eine völlig andere Lebensphase als bei Ihnen, Herr Spitzer. Wir erleben jetzt, wie die eigenen Kindern zu partnerschaftlichen Gesprächspartner werden.
Diakonie.de: Herr Lilie, ihre Frau hat hauptsächlich die Kinderbetreuung übernommen. Haben Sie ein anderes Verhältnis zu Ihren Kindern als Ihre Frau?
Lilie: Ich glaube nicht. Dafür habe ich zu viel Zeit mit unseren Kindern verbracht. Sicherlich hat jedes Kind individuelle Zugänge zu meiner Frau oder zu mir, das hat dann aber eher etwas mit Wesensverwandheit zu tun. Außerdem spielt der Genderaspekt sicherlich eine Rolle, es macht einen Unterschied Vater von einer Tochter oder Vater von einem Sohn zu sein.
Diakonie.de: Herrscht nicht auch unter Vätern manchmal noch eine gewisse Angst, etwas Männliches einzubüßen, wenn sie sich ums Kind kümmern?
Spitzer: Ich weiß nicht, was unmännlich daran ist, ein guter Vater zu sein. Für mich sind das antiquierte Rollenbilder, die man überwinden muss. Und da stehen wir noch am Anfang. Es ist immer noch die Frau, die gerade in Deutschland für die Kindererziehung zuständig ist.
Diakonie.de: Wie sehen Sie das, Herr Lilie?
Lilie: Ich denke, dass sich hier sehr viel verändert, auch weil die Generation von Herrn Spitzer und seiner Partnerin den Wert von Kindererziehung und gemeinsamer Zeit so hoch schätzt. Mit der Vaterrolle gewinnt man so viele Kompetenzen. Das spiegelt sich inzwischen auch in harten Parametern von DAX Unternehmen wider. Einige Unternehmen haben inzwischen eine absolvierte Familienzeit als ein weiteres Eignungskriterium für Führungskräfte eingeführt. Eine geleistete Elternzeit wird genauso wie eine erfolgreiche Projektleitung im Ausland angesehen. Die Personaler haben offenbar erkannt, dass Leute, die es schaffen, zwischen Beruf und Familie eine Balance zu finden, wunderbar für Managementaufgaben qualifiziert sind. Auch wir als Diakonie haben dieses Potential erkannt und arbeiten an familienfreundlichen Instrumenten. Und vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wird dieses Kriterium immer wichtiger – beim Wettbewerb um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Diakonie.de: Herr Spitzer, was lernen Sie für sich als Vollzeit-Papa?
Spitzer: Ich kann mich viel besser zurücknehmen. Meine Tochter hat immer Vorrang und wenn Sie weint, lasse ich alles stehen und liegen. Und dann schläft sie eine Stunde und ich muss mir flexibel überlegen, was ich in dieser Zeit mache.
Das klingt banal, aber für mich war es eine neue Erfahrung, den ganzen Tag gefordert zu sein. Und ich muss viel mehr planen. Wenn wir aus dem Haus gehen, fange ich anderthalb Stunden vorher mit den Vorbereitungen an: Wärme ich jetzt die Flasche auf? Ziehe ich sie zuerst an oder mich? Da wird man zum Organisationstalent. Außerdem übernehme ich mehr Verantwortung, seit sie auf der Welt ist. Im Studium lebt man von einem Tag auf den anderen. Jetzt überlege ich mir, wie ich für das Alter vorsorge.
Diakonie.de: Und was haben Sie als Vater gelernt, Herr Lilie?
Lilie: Ich habe in erster Linie gelernt, mich einzulassen auf das, was ist. Kinder bestimmen den Tag, man stellt die eigenen Bedürfnisse zurück und setzt alles in ein neues Verhältnis. Außerdem habe ich den Geschenkcharakter von Leben durch das Vatersein richtig wertschätzen gelernt. Ich war bei allen vier Geburten unserer Kinder dabei, ein im Wortsinn wunderbares Erlebnis. Aber ich habe auch sehr deutlich gemerkt, dass Leben eben nicht selbstverständlich ist und ich meine Kinder nicht vor allem bewahren kann. Ich kann ihnen eine Basis geben, aber was das Leben für sie bereit hält, das kann ich nicht beeinflussen.
Diakonie.de: Heute wird oft vom Projekt Kind gesprochen. Wie sehen Sie das, Herr Spitzer?
Spitzer: Ich glaube, wir sind hier in einer Transformationsphase. Männer und Frauen versuchen jetzt, sich die Erziehung wirklich zu teilen. Vielleicht wollen wir deswegen die Aufteilung möglichst effizient gestalten. Ich hatte früher auch oft 12-Stunden-Tage. Wenn ich jetzt nach acht Stunden gehen möchte, muss ich das organisieren. Vielleicht hat dieser Optimierungsdruck auch etwas mit unsere Arbeitswelt zu tun und der Schnelligkeit, in denen heute beispielsweise E-Mails beantwortet werden.
Diakonie.de: Durch Smartphones & Co. ist die Arbeit immer präsent – das ist eine relativ neue Entwicklung. Haben Sie die Arbeit mit in die Elternzeit genommen?
Spitzer: Ich muss schon sagen, dass ich erst einmal runterkommen musste. Am Anfang der Elternzeit habe ich noch sehr häufig nebenher E-Mails gecheckt. Aber das hat abgenommen. Ich nehme mir jetzt bewusst Zeit, um E-Mails zu lesen, ich mache das zum Beispiel abends, wenn meine Freundin zu Hause ist.
Diakonie.de: Wie viele Handybilder gibt es von ihrer Tochter?
Spitzer: Viele! Ich verschicke ständig Aufnahmen vom Kind per Whats App. Ich glaube, es gibt von keiner Person so viele Videos und Fotos wie von meiner Tochter. Aber es passt auch in die Zeit. Es ist Fluch und Segen zugleich.
Diakonie.de: 80 Prozent der Männer nehmen immer noch unter zwei Monate frei, um sich um Kinder zu kümmern. Was könnte man tun, damit mehr Männer länger Elternzeit nehmen?
Spitzer: Wirtschaft und Politik tun dafür schon einiges. Auch so etwas wie Elterngeld und Elterngeld+ ist unheimlich wichtig. Trotzdem liegt noch ein weiter Weg vor uns. Wir haben kürzlich die Schwester meiner Freundin in Schweden besucht. Im Park haben wir vier Männer mit Kinderwagen getroffen. Das ist ein Bild, das ich in Deutschland noch nie gesehen habe. Deutschland ist das einzige Land in Europa, das auf den Straßenschildern nur eine Frau mit einem Kind hat. Persönlich ist mir wichtig, darüber zu reden, was für eine bereichernde Erfahrung die Elternzeit ist.
Diakonie.de: Die Vorbilder sind also wichtig?
Lilie: Selbstverständlich. Ich erinnere, wie ich einmal mit unseren drei Ältesten für eine Woche auf einen Bauernhof gefahren bin – ohne meine Frau, die damals Ihre Weiterbildung machte. Als wir auf den Hof fuhren, sind der Bäuerin fast die Augen ausgefallen. Das hatte sie noch nicht so erlebt. Und nach der Woche sagte sie, dass sie sehr erstaunt war, dass alles gut funktionierte. Es gibt immer Ersterfahrungen.
Ulrich Lilie ist seit 2014 Präsident der Diakonie Deutschland. Mit seiner Frau Kirsten Lilie hat er vier Kinder. Die Ältesten sind Zwillinge und werden 22 Jahre alt. Die mittlere Tochter ist 20 Jahre alt. Die Jüngste ist 16 Jahre alt und wohnt noch zu Hause.
Gregor Spitzer hat mit seiner Freundin Sarah Schneider gerade die erste Tochter bekommen. Sie ist fünf Monate alt. Zurzeit macht der 33-Jährige sechs Monate Elternzeit. Seine Chefin hat die Entscheidung für die Elternzeit sehr unterstützt. Spitzer ist persönlicher Referent der BVG-Vorstandsvorsitzenden Sigrid Evelyn Nikutta.