Im Gespräch mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Christoph Strässer, stellen wir schnell fest: In der ganzen Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland wird viel zu wenig über die positiven Aspekte der Zuwanderung gesprochen.
Im Vordergrund der Berichterstattung und der öffentlichen Diskurse stehen die Kosten für den Staat, die Kommunen, Städte und Gemeinden, die nicht zu bestreitenden Probleme bei der Unterbringung und die rassistischen Anfeindungen mancherorts. Nur selten wird darüber geredet, wie wir von den Fremden profitieren und wie dringend wir auf Einwanderung angewiesen sind, um in einem immer älter werdenden Deutschland den Mangel an Fachkräften zu beheben.
Wir müssen uns frei machen von falschen Vorstellungen über Flucht und Einwanderung nach Deutschland. Die meisten Flüchtlinge bleiben ja in ihrer Region oder in den Nachbarstaaten. Selbst von den rund 625.000 Flüchtlingen, die 2014 einen Asylantrag in einem EU-Land gestellt haben, hat es nur jeder Dritte in der Bundesrepublik versucht. Mehr als die Hälfte von ihnen erhält einen Schutzstatus und kann bleiben. Es sind auch nicht die Ärmsten der Armen oder die Ungebildeten, die auswandern. Mehr als die Hälfte verfügt über eine berufliche oder akademische Ausbildung.
Ein weiteres verbreitetes Vorurteil behauptet, dass Flüchtlinge nur Geld und „unsere“ Arbeitsplätze kosten. Wahr ist dagegen: Pro Jahr zahlt jeder Zugewanderte durchschnittlich 3.300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben, als er an staatlichen Leistungen erhält. Im Jahr 2012 ergab das einen Überschuss von insgesamt 22 Milliarden Euro. Asylbewerber dürfen in den ersten drei Monaten, die sie hier leben, gar nicht arbeiten. Danach werden Deutsche oder EU-Bürger noch lange bei der Arbeitsvergabe bevorzugt.
Ebenso wie der Menschrechtsbeauftragte sehe ich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, mit ihren verschiedenen Fähigkeiten und Talenten als eine Bereicherung unserer Gesellschaft an und setze mich für eine nachhaltige Einwanderungspolitik ein. Diese sollte auch Menschen in wirtschaftlicher Not, die im Asylverfahren keine Chance haben, legalen Zugang zu Arbeit ermöglichen. Es ist schlichtweg widersinnig, mit hohem finanziellen Aufwand Menschen im Ausland für den deutschen Arbeitsmarkt anzuwerben und gleichzeitig Flüchtlinge in Zelten oder Containern zur Untätigkeit zu verdammen. Es ist genauso unsinnig über den Fachkräftemangel in der Pflege zu jammern, und Flüchtlingen hier keine schnelle berufliche Perspektive zu bieten. Wir brauchen dringend mehr weitsichtigen Pragmatismus und schnellere Verfahren im Asylrecht und vor allem viel weniger ressentimentgeladende öffentliche Positionierungen und Schnellschüsse. Und wir brauchen ein modernes und zukunftweisendes Einwanderungsgesetz, das nicht nur Angebote für Menschen mit akademischen Berufen oder besonders hochqualifizierten Ausbildungen bereithält. In einer von Terror und Krieg geschüttelten Welt ist ein an Humanität und Menschenrechten orientiertes Hoffnungszeichen für viele – nicht zuletzt für uns selbst.