Auf meinen Reisen durch Deutschland habe ich viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge kennengelernt. Sie haben offen erzählt: über ihre Flucht, ihre Ankunft in Deutschland und ihre Hoffnungen in dem neuen Land.
Wenn aber das Gespräch auf ihre Familien kam, die sie in den Kriegs- und Krisengebieten zurücklassen mussten, verstummten sie meist vor Sorge und Angst.
Mit dem Asylpaket II hat die Bundesregierung beschlossen, den Familiennachzug für Flüchtlinge auszusetzen, denen nicht der volle Flüchtlingsstatus zugesprochen wurde. Sie dürfen zwar in Deutschland bleiben, weil ihnen im Herkunftsland Folter oder Krieg drohen, ihren Ehegatten und Kindern aber wird zwei Jahre lang der Nachzug verwehrt. Das soll auch für die Eltern der minderjährigen Flüchtlinge gelten Wie lang sind zwei Jahre für ein Kind? Wer in dieser Zeit volljährig wird, hat gar keine Chance mehr, seine Eltern nach Deutschland zu holen. Wollen wir das wirklich? Und ist das eine weitsichtige, humane oder gar christliche Politik, die den oft traumatisierten Kriegskindern ihre Eltern vorenthält?
Integration ist ein Familienprojekt. Wenn den Geflüchteten verboten wird, Frauen und Kinder oder eben die Eltern nachzuholen, erschwert das die Integration. Wie sollen sich Flüchtlinge aus Syrien und anderen Krisengebieten auf den Deutschunterricht konzentrieren, wenn sie krank sind vor Sorgen um ihre zurück gebliebenen Familien? Wie sollen diese Menschen Zuversicht auf ein Leben in Frieden aufbauen, wenn ihre Frau und ihre Kinder nicht hier sind?
Den Familiennachzug auszusetzen wird nicht dazu führen, dass weniger Flüchtlinge zu uns kommen. Oft macht sich ein Familienvater allein auf den gefährlichen Weg, um Frau und Kinder später legal nachzuholen. Ist dieser sichere Weg aber versperrt, bleibt auch den Frauen und Kindern nichts anderes als die Flucht übers Mittelmeer. Wer Kasse macht, sind allein die Schleuser. Genau das passiert schon jetzt: Seit Januar waren mehr als die Hälfte der über Griechenland in die EU eingereisten Flüchtlinge Frauen und Kinder. Im Juni 2015 lag dieser Anteil noch bei 27 Prozent
Für die erwachsenen Flüchtlinge bedeutet die geplante Gesetzesänderung, dass sie im schlimmsten Fall bis zu fünf Jahre von ihrer Familie getrennt sein werden: Das Asylverfahren dauert meist mehr als zwölf Monate; dann beginnt die zweijährige Wartefrist und wenn die verstrichen ist, warten die Nachzugsberechtigten häufig länger als ein Jahr, um ein Visum zu erhalten.
Da selbst anerkannte Flüchtlinge Schwierigkeiten haben, ihre Familie nachzuholen, hat die Diakonie Deutschland einen Fonds eingerichtet, der die Familienzusammenführung unterstützt. Die Diakonie übernimmt anteilig Reisekosten und ihre Beratungsstellen helfen bei der Antragstellung.
In Deutschland hat die Familie in allen Bevölkerungsschichten einen hohen Stellenwert. Menschen, die zu uns geflüchtet sind, von ihren Familien zu trennen, ist für mich inakzeptabel. Die Folgen einer solchen Schnellentscheidung werden sich in den nächsten Jahren als gravierendes Problem bei der Integration auswirken.
Zuerst erschienen in: Mittelbayerische Zeitung