Streiten für die Offene Gesellschaft

Ich empfehle seit einiger Zeit eine Homepage: www.die-offene-gesellschaft.de. Das ist die Internetseite zu einem großartigen privat initiierten Diskussions-Projekt, das nun bereits mehr als drei Monate durch Deutschland tourt und weiter touren wird.

Debatte "Die offene Gesellschaft" im SO36 © Janny Schulz
Debatte „Die offene Gesellschaft“ im SO36 © Janny Schulz

Viele tausend Menschen von Schwedt bis Saarbrücken, von Stralsund bis Freiburg i.Br. sind bislang der Einladung gefolgt, sich mit der Frage zu beschäftigen, die offenbar vielen  auf den Nägeln brennt: „Welches Land wollen wir sein?“

Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist frei, das Konzept denkbar einfach: Ein Theater, ein Hörsaal, ein Kulturzentrum werden zum Debattierclub. Drei bis vier Menschen unterschiedlichster Hintergründe geben Impulse zu ihrer Idee einer offenen Gesellschaft – und dann wird die Debatte im Saal eröffnet. Jeder, jede kann sich beteiligen. Ohne Manuskript. Ohne Tagesordnung.

Wir in der Diakonie Deutschland finden das Format bestechend – auch wenn es noch kleine Schwächen hat, etwa bei der Barrierefreiheit. Aber es schafft einen öffentlichen Raum für Menschen, die sonst sicher kaum ins Gespräch kommen würden. In Berlin-Kreuzberg sitzen etwa die kopftuchtragende Poetry-Slammerin  neben dem Neuköllner Jugendrichter,  da wird der Diakoniepräsident aus dem Publikum zurecht gewiesen, weil er im Eifer des Gefechts Pegidisten als „Dumpfbacken“ bezeichnet hat. Da erzählt ein Deutschsomalier, dass die Frage nach seiner Herkunft oft zu interessanten Gesprächen führt, während eine eloquente Deutschtürkin solche Gespräche einfach hasst. Sie möge auch nicht „integriert werden“. Sie sei einfach da.

Jeder Abend verläuft anders. Es geht nicht um Ergebnisse, sondern um Austausch. Hier leben Menschen die offene Gesellschaft, zu der auch wir als evangelische Kirche, als Diakonie gehören. Das begeistert mich. Hier kommen sehr unterschiedliche Menschen ins Gespräch über das gesellschaftliche Wir, das sie miteinander bilden wollen.

Die Themen: Flüchtlinge,  Anderssein, Integration, Sozialneid, rechte Gewalt, islamistischer Terror, Entsolidarisierung in Europa. Es ist unverzichtbar, dass wir von Diakonie und Kirche hier mitdiskutieren – auf Augenhöhe. Deswegen habe ich mich in Berlin gerne als Impulsgeber beteiligt und werde auch noch in andere Städte reisen, um unsere Perspektive der Diakonie weiter ins Gespräch zu bringen. Auch zu der Frage der Integration der Männer, Frauen und Kinder, die derzeit bei uns Zuflucht suchen und mit denen viele Ehren – und Hauptamtliche in der Diakonie tagtäglich umgehen. Integration geht uns alle an – die Alteingesessenen und die Neuankömmlinge. Denn hier spitzt sich die Frage zu: Welches Wir wollen wir sein?

Integrare kommt aus dem Lateinischen und bedeutet auch „geistig auffrischen“. Beim geistigen Auffrischen helfen ungewohnte  Allianzen von Menschen mit offenen Herzen und wachem Verstand.  Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“, dem neben dem DGB auch  die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, dem Kulturrat auch der Deutsche Olympische Sportbund, neben EKD auch der Koordinationsrat der Muslime und auch die Diakonie angehören, weist in die richtige Richtung. Bei diesen Debatten streiten wir offen und konstruktiv darüber, wie wir eine offene Gesellschaft werden und bleiben.