Dass man über den Hauptbahnhof Hamm ein berührendes Lied singen kann, hat Reinhard Mey bereits 1967 vorgemacht. Ralf Niehaus, dem ich diesen Blog widmen möchte, war damals drei Jahre alt. Er ist nicht Reinhard Mey, auch nicht Johnny Cash – aber die beiden großen Barden sind für mich ferne Paten dieses kleinen großen Mannes und seiner musikalischen Begabung.
Niehaus Songs über die Radstation in Hamm oder die Menschen, die sich im Sozialkaufhaus (T)Raumland gegenseitig unterstützen, sind Hymnen eines Alltags, der selten glamorös, aber immer großartig ist. Einfach, weil seine Heldinnen und Helden sich nicht kleinkriegen lassen. Ralf Niehaus ist ein solcher Held. Er würde sich nie selbst so bezeichnen.
Ich habe Ralf Niehaus neulich in Kamen kennengelernt, auf dem Jahresempfang der Evangelischen Perthes-Stiftung, zu der auch die Radstation und das Sozialkaufhaus in Hamm gehören. Kennengelernt ist eigentlich zu viel gesagt: Ich habe seinen Liedern gelauscht und später kurz mit ihm gesprochen und ihm meine Visitenkarte zugesteckt, weil ich gern über ihn und seine Musik schreiben wollte. Und jetzt endlich tue ich es. Solche Empfänge, an denen ich als Diakonie-Präsident teilnehme, gibt es viele. Diesmal war ich um die Festrede gebeten worden, und bin auf diese Weise jemandem begegnet, der mich wirklich berührt. Es sind auch solche Begegnungen, die mich daran erinnern, wie lebensförderend und inspirierend der Heilige Geist in der Diakonie in ihren vielen Facetten wirkt: Die Diakonie, zu der auch die Perthes-Stiftung gehört, hilft den unterschiedlichsten Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen – mit Wolfgang Huber gesprochen – „ein eigener Mensch zu sein“, sie bringt die unterschiedlichsten Männer, Frauen, Kinder miteinander in Kontakt. Heute lebt jeder leicht in seiner Blase vor sich hin und vergisst, dass es Menschen gibt, die ganz anders leben. Das kann einem bei der Diakonie nie passieren. Und Ralf Niehaus ist ein eigner Mensch.
Keine „Alles ist gut“-Songs
Ich nehme ihn in Kamen erst wahr, als er die Bühne betritt. Wie schmal er wirkt, so ganz allein auf der riesigen Bühne der Stadthalle. Ein hagerer Mann mit Gitarre und Ständermikrophon. Hohe Stirn, schütteres rotblondes Haar, Brille, schwarzes Hemd im Westernstil, bunt bestickt. Er singt von den langzeitarbeitslosen Menschen, die in der Radstation arbeiten, von den 450 Rädern, die sie täglich betreuen, von den Menschen, die diese Dienstleistung dankbar annehmen. Seine Stimme – lakonisch, sanft, melancholisch. Er singt und weckt alltägliche Szenen von eiligen Pendlern und kaputten Rücklichtern zum Leben, erzählt Geschichten, in denen Fahrräder und Menschen wieder heil werden, besingt lockere Speichen und zerbrechliche Biografien, zuverlässiges Helfen und tapferes Nichtkleinkriegenlassen. Heiter, augenzwinkernd, aber ernsthaft. Da hat einer viel mitgemacht. Eine reale Voice of Germany, nicht irgendein Castingshow-Triumph auf der offenen Bühne, hier singt einer dankbar von seinem echten Leben – das Tiefen durchlebt und hinter sich gelassen hat. Das kann ich sehen, hören und spüren. Mich berühren seine Zähigkeit, die Zärtlichkeit und die Zerbrechlichkeit, die dieser westfälische Liedermacher so schlicht, schnörkellos, gekonnt und freundlich zum Vortrag bringt: Seine Sicht auf das Leben, auf die Einrichtungen der Perthes-Stiftung, keine einfachen „Alles ist gut“-Lieder. Das ist ihm wichtig.
Über 900 Aufnahmen auf YouTube
Später wird er mir mailen, dass ihm die Musik schon über seinen Vater in die Wiege gelegt worden sei. Dass er schon früher gedichtet und komponiert hat, wenn er mit Freunden und Familie zusammensaß und seine Gitarre dabei hatte. Seit 2008 aber mehr und mehr. Damals der erste Kontakt zur Radstation, von 2012 bis 2014 arbeitet er fest dort, heute ist er wieder mit dabei. Wie es dazu gekommen ist, dass er die Unterstützung überhaupt in Anspruch nehmen musste, erzählt er nicht. Nur, dass er froh ist, nach einigen schweren Jahren wieder Fuß gefasst zu haben, lässt er mich wissen: „Ich bin froh und dankbar dafür, dass – auch – durch die Musik vieles in meinem Leben wieder mehr Licht bekommt, als es eine Zeit lang war.“
Ralf Niehaus tritt übrigens auch auf, inzwischen – wie er sagt – mit seinem besten Freund Monja Böhm. Etwa beim Sattelfest im Hammer Kurpark. Und wer nicht nach NRW reisen kann, wird auch im Internet fündig. Auf Youtube finden sich über 900 Aufnahmen.
Hören Sie doch mal rein in das großartige Leben der tapferen kleinen Leute in der Radstation in Hamm. Viel Spaß und herzliche Grüße nach Hamm!