In der kommenden Woche bin ich zu einem Neujahrsempfang nach Hannover eingeladen. Am 7. Dezember. Der Termin liest sich ein wenig schräg im Kalender. Mein Blick bleibt jedenfalls immer wieder irritiert an dem Eintrag hängen: Neujahr, Anfang Dezember?
Da passt doch was nicht. Vermutlich möchte Diakovere, das große diakonische Unternehmen in der Leine-Stadt, mit dieser Einladung genau das bei seinen Gästen erreichen: eine kleine Irritation, die einen kurz aus dem üblichen Takt bringt. Einen Stolperschritt lang tanzt eine andere Zeitrechnung durch den stark säkularisierten Kalender: Cha-Cha-Cha, Kirchenjahr. Neujahr ist Anfang Dezember.
Das Kirchenjahr folgt seinem eigenen Rhythmus. Ob Cantus firmus oder Contrapunkt in der Vielstimmigkeit der Gegenwart, setzt es auf jahrhundertealte Traditionen. Im Kirchenjahr haben Menschen ihre Gottes- und Lebenserfahrungen und die Lehren der Kirche in einem wiederkehrenden Rhythmus in ihren Alltag komponiert. Sie fanden das heilsam, sinnvoll oder schlicht geboten. Wir sind eingeladen, diesen Erfahrungen heute nachzuspüren, unsere eigenen in die Traditionen einzuschreiben.
Die Themen zum Ende des Kirchenjahrs, die im November an der Reihe sind, haben mich beschäftigt: Was bedeutet der Buß- und Bettag mir, das Gedenken an die Toten, die Ewigkeit? Wie gehen wir mit den Grenzen unseres Lebens und Wirkens und unserer guten Vorsätze um? Wie bleiben wir handlungsmutig trotz der Erfahrung von Tod und Schuld? Es tut mir gut, mich diesen Fragen zu stellen, Gott mit diesen Fragen zu begegnen. Es rückt mich zurecht. Das Kirchenjahr unterstützt mich dabei.
Renitenz und Routine
Solche Gedenktage, aber auch die Fest- und Feiertage, strukturieren den Jahreskreis. Jeder hat seine eigenen Themen: Advents- und Weihnachtszeit, Passionszeit und Ostern, Pfingsten, Trinitatis und das Ende des Kirchenjahrs modulieren unser Leben. Mir gefällt, dass das Kirchenjahr Texte und Lieder in unsere Gegenwart speist, die schon unseren Urgroßeltern kostbar waren. Auch die zahlreichen Konzerte mit geistlicher Musik, die gerade in diesen Tagen geboten werden, verändern und bereichern den Sound unserer Zeit.
Früher war das Kirchenjahr auch eine strenge Ordnungsmacht, die das gesellschaftliche Lebens rhythmisierte oder dominierte. Kirchenjahr war Mainstream. Das hat sich geändert. Heutzutage gibt es Regionen, Städte, Dörfer, Familien, in denen der christliche Rhythmus nur noch sehr leise zu spüren ist. Oder gar nicht. Oder nur in Gottesdiensten. Mir ist das Kirchenjahr wichtig: seine Routine und seine Renitenz. Es legt die Zeit in Gottes Hand und behauptet unbeirrt eine andere Zeitrechnung, die unter den Daten summt. Und im Dezember geht das Kirchenjahr vor: Christinnen und Christen sind schon zwischen den Jahren, während die anderen noch im Novembergrau feststecken. Wir singen von der Ankunft Gottes bei den Menschen: „Macht hoch die Tür.“ Anachronismen können so viel Freude machen. – Ich wünsche uns allen ein gutes neues Jahr und eine gesegnete Adventszeit.
Zur Einstimmung einige Impressionen von der Wichern-Kranz Übergabe im Deutschen Bundestag am 30. November.