Gestern 18 Uhr: Gastgeberpflichten beim alljährlichen Wichern-Empfang von Diakonie Deutschland im Berliner Stadtteil Wedding. Überschrift: „Zusammenhalt und Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland.“ Ab 20 Uhr dann: „Vertrauen in die Demokratie stärken“. Eine Podiumsdiskussion in Berlin-Mitte zum neuen gemeinsamen Wort von Deutscher Bischofskonferenz und Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das war der letzte Punkt auf meinem Terminkalender, der mit der Predigt im Festgottesdienst zu 125 Jahre Evangelischer Diakonieverein Berlin-Zehlendorf in der bis auf den letzten Platz besetzten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche begonnen hatte.
Politik, Gesellschaft, Glaube
Es ist genau dieses Spannungsfeld, das die Arbeit als Diakonie-Präsident so reizvoll und herausfordernd macht: Das Zusammendenken und -wirken von Politik, Gesellschaft und Glaube; das Ausbalancieren von Traditionsbewusstsein und Zukunftsfähigkeit. Und: die Herausforderung, die entsprechenden Haltungen in unserem großen Verband zu diskutieren und gemeinsam erlebbar zu machen.
Über eine halbe Million Festangestellte und rund 700 000 Ehrenamtliche gehören zu diesem Netzwerk der Diakonie. Das muss man sich immer wieder klar machen: Diese Diakonie ist ein Schatz für unsere Gesellschaft. Wir haben ein deutschlandweites Filialnetz sozialer, pflegerischer und anderer Kompetenzen, das wir einbringen können: Um die vielfältigen Problemlagen, vor denen wir in Deutschland, in Europa und der Welt stehen, gemeinsam mit anderen zu bearbeiten.
Schlüsselbegriff Kooperation
Kooperation – davon bin ich überzeugt – ist der Schlüsselbegriff für unsere Zukunft: ungewohnte Partnerinnen und Partner zu entdecken, Meinungen zu hören, die zunächst fremd klingen, trotzdem gemeinsame Interessen zu identifizieren, die den Zusammenhalt bei aller Unterschiedlichkeit fördern.
Ist das Diakonie? Unbedingt! Denn Diakonie bedeutet „Dienen und dazwischen gehen“. Das habe ich bei dem australischen Theologen John N. Collins gelernt. Der hat schon in den Neunzigerjahren darauf aufmerksam gemacht, dass es sogar zutreffender sein kann, Diakonie mit „Verbindung“ oder „Vermittlung“ zu übersetzen als mit Dienst. Denn die altgriechische Wortwurzel „diak“ habe mit dem Verb „darauf losgehen“ zu tun.
Diakonie mit anderen
Das heißt, dass Menschen, die sich der Diakonie verpflichten, nicht nur wohltätige Dienerinnen und Diener sind. Sie sind eben auch Kuriere, Verbinder, Abgeordnete, Begegnungen-möglich-Macher und Brückenbauerinnen. Unsere Verortung liegt im Dazwischen: „Diakonie mit anderen“ lautet darum unser Motto.
Das spiegelte sich auch beim gestrigen Wichern-Empfang wieder, mit dem wir im Paul Gerhardt-Stift im Berliner Wedding zu Gast waren, einem Ort, der diesen Diakonie-Spirit atmet: Vor 130 Jahren, mitten in der boomenden Gründerzeit mit ihren sozialen Verwerfungen gebaut, steht dieser Backsteinbau bis heute für eine Antwort der Kirche auf die sozialen Herausforderungen der damaligen Zeit. Bis zu 425 Diakonissen und Schwestern leisteten hier gemeinsam im Krankenhaus, aber auch im wachsenden Arbeiterkiez ihren Dienst.
Diakonie-Spirit
Zum Diakonie-Spirit gehört auch, dass sich die Arbeit an den Bedürfnissen der Menschen und den aktuellen Herausforderungen immer wieder neu ausgerichtet hat. Heute betreibt die Paul Gerhardt Stift Soziales im multikulturellen Wedding ein Stadtteil- und Familienzentrum sowie Wohneinheiten für besonders schutzbedürftige Geflüchtete. Auch ein Pflegewohnheim befindet sich auf dem Gelände.
So verbinden sich Aktivitäten und Projekte für Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprache in einem immer diverser werdenden Stadtteil miteinander.
Hier gestaltet die Diakonie heute einen Ort für Kontakte, Kommunikation, Beteiligung und Aktivitäten sowie vielfältige Formen von Bildung und Unterstützung. Sie fördert die Entstehung eines Netzwerks der Nachbarschaft, an das alle hier lebenden Menschen mit ihren Kompetenzen und Erfahrungen anknüpfen können. Alteingesessene Bewohnerinnen türkischer Herkunft, neuzugezogene Hipster und „neue Deutsche“ werden als selbstverständliche Nachbarinnen und Nachbarn ernst- und wahrgenommen.
Zuhören, streiten, lernen
Dienen und dazwischen gehen. Einander zuhören, meinungsfreudig miteinander streiten und voneinander lernen. Anders geht es nicht in unserer immer vielfältiger werdenden Heimat. Oder wie unser gestriger Gastredner Ali Ertan Toprak, der unbequeme Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, es einmal formuliert hat: „Wir Deutschen, also wir alle, brauchen jetzt eine Debatte über das, was uns verbindet, nicht über das, was uns trennt.“ Und er setzte hinzu: „Kann sein, dass wir uns nicht gleich auf das Gemeinsame einigen. Na, und?“