Heute Mittag habe ich einen wichtigen Termin im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Und ich freue mich sehr darauf. Wir werden – der Minister, der Vorstand des Deutschen Caritasverbandes und ich – eine Absichtserklärung unterzeichnen mit dem Ziel, die nachhaltige Textilbeschaffung in den Einrichtungen von Diakonie und Caritas gezielt zu ermöglichen. Es geht darum, Nachhaltigkeit als neue Normalität in der Unternehmensführung zu etablieren. Quasi mit Rückenwind aus der Politik.
Das ist ein Meilenstein für uns und eine Facette der internationalen Solidarität, die der Diakonie gut zu Gesicht steht. Man kann natürlich auch von Nächstenliebe sprechen.
Katastrophale Bedingungen
Zur Erinnerung: Fast die gesamte deutsche Textilproduktion findet inzwischen in Billiglohnländern statt. Rund 60 Millionen Menschen sind in dieser Branche tätig, und die meisten von ihnen arbeiten unter katastrophalen Bedingungen.
Das lässt sich leicht ausblenden, wenn man vor einem frisch bezogenen Krankenhausbett steht oder in die Arbeitskleidung schlüpft, die der Pflegedienst bereitstellt. Aber es ist leider Fakt, dass die Hygienestandards in unseren Häusern auch durch die Ausbeutung von Mensch und Umwelt am anderen Ende der Welt ermöglicht werden.
Darum darf nicht gleichgültig sein, wo die Textilien herkommen, die wir in der Pflege nutzen, und unter welchen Bedingungen sie produziert werden. Es ist nicht zuletzt eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Maßstäbe setzen
Auch darum bräuchte es endlich ein Lieferkettengesetz, für das wir uns gemeinsam mit den Kolleg*innen von Brot für die Welt in Berlin auch weiterhin einsetzen. Aber wir wollen und müssen mit unserem Handeln in der Diakonie nicht darauf warten, diese rechtliche Grundlage zu haben.
Der Termin gleich im BMZ wird auch dabei helfen, die Weichen entsprechend zu stellen. Die Beschaffungspolitik der kirchlichen Träger soll Maßstäbe setzen, die Schule machen dürfen.
Ein paar wenige Zahlen: In der Einrichtungsstatistik der Diakonie von 2018 zählen wir allein im stationären Bereich in der Altenhilfe 172.213 und im Krankenhausbereich 54.596 Betten. In der Caritas kommen nochmal 238.201 Betten dazu.
Wäscheberge mit Marktrelevanz
Schon in einem Krankenhaus mittlerer Größe werden täglich über drei Tonnen Textilien verbraucht. Wenn man sich klarmacht, was für Wäscheberge unsere Pflegeeinrichtungen Tag für Tag erzeugen, wird anschaulich, dass ihr Einkaufsverhalten tatsächlich Marktrelevanz hat. Wir hätten die Macht, etwas zu ändern. Nur: Wir sind uns ihrer zu selten bewusst und nutzen sie strategisch zu wenig.
Denn wenn wir vernetzt vorgehen und klug zusammenarbeiten, sitzen wir an einem ziemlich langen Hebel. Das hat auch die „Machtbarkeitsstudie zur nachhaltigen Beschaffung von Textilen in der Diakonie“ ergeben, die die die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Kooperation mit Diakonie Deutschland erstellt hat.
Gemeinsam sind wir stärker
Wir können, trotz Wettbewerb und Kostendruck, mit dazu beitragen, höhere ökofaire Standards für die Textilproduzente in Bangladesch oder Indien durchzusetzen. Es gibt bereits Beispiele aus dem Verband, dass die Umstellung auf ökofairen Einkauf machbar und finanzierbar ist.
Auch hier gilt: Gemeinsam sind wir stärker. Darum ist es wünschenswert, dass wir uns einrichtungsübergreifend auf gemeinsame Standards verständigen und dann auch gemeinsam verhandeln können. Etwa mit den sogenannten „textilen Vollversorgern“, von denen die meisten Einrichtungen ihre Wäsche leihen.
Das im Juli verabschiedete Leitbild Nachhaltigkeit der Diakonie Deutschland gibt Anregungen für ein diakonisches Nachhaltigkeitsverständnis an die Hand, die sich auf Einrichtungsebene in konkretes Handeln übersetzen lassen.
Und damit das Bündnis noch breiter wird, ist auch der Vorstand des Deutschen Caritasverbandes im BMZ mit dabei. Gemeinsam wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen und gezielt darauf hinwirken, dass in unseren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Bettwäsche, Handtücher und Arbeitskleidung zum Einsatz kommen, die unter fairen Bedingungen produziert werden. Und zwar flächendeckend.
Kerngeschäft der Diakonie
Wer nachhaltige Textilien erwirbt, leistet einen wichtigen Beitrag für Menschen- und Arbeitsrechte weltweit, zum Klimaschutz, zum Erhalt von Biodiversität sowie zum Schutz von Wasser und Böden. Ich bin überzeugt, auch das gehört zum Kerngeschäft der Diakonie als soziale Arbeit der Evangelischen Kirche.
Im neuen Nachhaltigkeitsleitbild heißt es: „Die christlichen Werte ‚Nächstenliebe‘ und ‚Bewahrung der (Mit-)Schöpfung‘ bedingen einander und fordern uns angesichts von Problemen wie Klimakrise, Pandemien, Artensterben und ‚Modern Slavery‘ zum Handeln heraus.“
Höchste Zeit
Es ist höchste Zeit ist, dass wir uns in unseren Mitgliedsunternehmen und unseren Verbänden dieser gemeinsamen Herausforderung stellen. Heute Mittag kommen wir einen entscheidenden Schritt weiter.