Ob in den Kindergärten oder in der Jugendhilfe, in der Arbeit mit Menschen mit Handicap, in Beratungsstellen und natürlich in Krankenhäusern, Altenpflegeeinrichtungen oder Hospizen: Ein Jahr arbeiten unter Coronabedingungen geht an die Substanz.
Ich denke oft mit viel Sympathie und auch mit Sorge an die unzähligen Kolleginnen und Kollegen in den vielen Einrichtungen der Diakonie, die ihre sehr anspruchsvolle Arbeit nah am Menschen nun schon so lange unter massiv erschwerten Bedingungen leisten.
Der emotionale Druck, der rund um die Uhr auf ihnen lastet, ist enorm, die Erschöpfung groß. In sozialen und pflegerischen Berufen verträgt sich die einfühlsame Professionalität im Umgang mit Menschen sehr schlecht mit der notwendigen Maskenpflicht, dem gebotenen Abstandsgebot und der Angst vor Ansteckung.
Nähe statt Zoom
Menschliche Nähe zu leben, eine Kultur der Empathie, das ist in allen unseren Handlungsfeldern zentral: während der Notbetreuung im Kindergarten und für die eigenen Kinder daheim, in der Wohngruppe, in der sehr unterschiedliche Jugendliche beim Homeschooling Hilfe brauchen, bei der Assistenz einer körperbehinderten Studentin oder beim Senior in Zimmerquarantäne. Zoom ist hier keine Lösung.
Seit Monaten sind Improvisation und Mehrarbeit gefragt. Ich habe diese eindrucksvollen, hochengagierten Männer und Frauen vor mir, ohne deren unermüdlichen Einsatz unsere Gesellschaft in einer ganz anderen Notlage wäre. Und weiterhin sterben viele zu viele und weiterhin wird viel und unter belastenden Umständen getrauert.
Verborgene Verzweiflung
Wie verarbeiten die begleitenden, pflegenden und behandelnden Mitarbeitenden diese zehrende Ausnahmezeit? Was brauchen sie? Wieviel Burn-Out, Depressionen und Verzweiflung mögen ungesehen bleiben?
Bereits im vergangenen August, während meiner Sommerreise zu von Covid 19 besonders betroffenen Häusern der Diakonie habe ich in zum Teil deutlich gezeichnete Gesichter gesehen und immer wieder diesen Satz gehört: „Noch einmal halten wir das nicht durch.“ Das liegt Monate zurück, und manches ist noch schlimmer und belastender gekommen als befürchtet.
Dazu kommt: Nach der Arbeit geht es ja weiter. Corona infiltriert auch die privaten und familiären Lebensbereiche, die für die Mitarbeitenden wichtige Kraftquellen sind, wie unsere repräsentative Covid 19-Pflegestudie vom vergangenen Herbst gezeigt hat:
Ressource Kollegium
Rund 80 Prozent der Pflegekräfte – und ich bin ziemlich sicher, dass es in anderen Arbeitsfeldern ähnliche Antworten gäbe – nennen den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen als wichtige Ressource, fast gleichauf mit der Unterstützung durch die Familie. Auch Freundschaften werden als Kraftquelle benannt. Und alle diese Kraftquellen sprudeln aktuell nicht.
Darum ist es vielleicht eine der wichtigsten und vornehmsten Leitungsaufgaben, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Mitarbeitenden Zugang zu solchen Ressourcen haben. Die „Fürsorge“ für die emotionale Stabilität in unseren Teams ist zentral für das, was wir Dienstgemeinschaft nennen. Die Währung Wertschätzung und spürbare Unterstützung beinhaltet so viel mehr als warme Worte oder Klatschen von Balkonen.
Kraftquellen finden
Wo ist die Oase auf Station? Wie schaffen wir Pausenzeiten, seien sie noch so kurz, in denen sich Kollegen austauschen können? Könnte es auch eine Aufgabe von Einrichtungsleitung sein, dafür zu sorgen, dass die ansässige Bevölkerung oder die Kirchengemeinde mehr mitbekommt von dem alltäglichen Corona-Kampf in den Einrichtungen?
Wer weiß, vielleicht stiftet der Zoo Freikarten für die Erzieherinnen, vielleicht findet sich ein Gartencenter, das den Mitarbeitenden, die in Quarantäne müssen, einen Blumengruß schickt oder eine Bäckerei, die Donuts spendet für das Team – wenn nur nachgefragt wird.
Freude zu organisieren, zur Entspannung aufzufordern und Unterstützung anzubieten, sind zentrale Führungsaufgabe
in Zeiten der Pandemie, die uns allen so viel zumutet. Neben der Daueraufgabe, transparent zu kommunizieren und sich für angemessene Arbeitsbedingungen und faire Entlohnung einzusetzen.
Großartige Beispiele
Es gibt viele großartige Beispiele im Verband, auch im Zusammenspiel von Landes-und Fachverbänden, Trägern und Einrichtungen: das Evangelische Stift in Freiburg beispielsweise kommuniziert an seine Mitarbeitenden, dass es die Krisenhotline des DW Baden gibt, und sie wird gerne angenommen.
Die Evangelische Stadtmission in Karlsruhe bietet Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich mit auf Krisenlagen ausgerichteten systemischen Therapeuten austauschen zu können. Und Führungskräfte auf allen Ebenen fassen mit an und sind ansprechbar, wenn gewünscht, auch als Seelsorger.
Die Samariterstiftung in Württemberg „tröstet“ einrichtungsüberreifend: mit selbstgestalteten Bildern (siehe oben) und selbstgebackenen Keksen, die von einem „gesunden“ Stift zum „Schwesterstift“ geschickt wurden, das mit dem Virus zu kämpfen hatte. Wir sind nicht allein in der Krise. Das können wir einander zeigen.
Resilienz als Führungsaufgabe
Und immer wieder sind es eben auch Einzelne, die den Unterschied machen: Wie die hochengagierte Pflegedienstleitung in Hannover-Wettbergen, die neben dem herausfordernden Alltagsgeschäft, ihrem Team Zugang zu psychologische Beratung organisiert, aber auch mit coronakonformen Formen des Miteinanders oder (Online-)Zumba für mehr Wohlbefinden zu sorgen versucht.
Diese Resilienz der Mitarbeitenden in sozialen Einrichtungen ist keine und erst recht nicht deren Privatsache, sondern Aufgabe jeder nachhaltigen Unternehmensführung. Das erfordert Verantwortlichkeit, Strukturen und Mittel.
Erschöpfbare Kraft
„Soziale Berufe kann nicht jeder.“ Mit diesem stolzen Satz werben wir in der Diakonie gerne für eine Karriere in unseren Einrichtungen. Und in der Tat zeigt sich in dem, was die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in unseren Reihen – und bei anderen Trägern der Freien Wohlfahrt – in diesen Corona-Monaten leisten, was das Leben in unserer Gesellschaft lebenswert macht.
Stärken wir diese erschöpfbare menschliche Kraft – nicht nur zum Valentinstag. Und gerne auch mit Gebet und der Bitte um Segen.