Wenn über ökonomische Themen wie Investitionen oder Finanzierungslücken gesprochen wird, geht es oft um die Lebensqualität von Menschen. Und frei nach dem Mann aus Nazareth muss gelten: Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Wirtschaft. Erst recht im Gesundheits- und Sozialwesen.
Denn wie Verteilungsfragen im Gesundheits- und Sozialwesen beantwortet werden, beeinflusst unmittelbar das Leben der verletzlichsten Menschen in unserer Gesellschaft.
Auf Kosten der Menschen
Auch wenn wir in der Diakonie von unseren Kunden, Klient*innen und Bewohnerinnen und Bewohnern sprechen, immer haben wir es mit Menschen zu tun, die auf Unterstützung angewiesen sind:
Ob demenzerkrankt oder alleinerziehend, ob alt oder jung, psychisch ausgebrannt oder krebsleidend, wohnungs- oder arbeitslos, ob in sozialer Notlage, pflegebedürftig oder mit Assistenzbedarf. Wenn die Sozialwirtschaft aus dem Lot gerät, geht das auf Kosten dieser Menschen.
Corona und Sozialwirtschaft
Die Bank für Sozialwirtschaft (BfS) hat in dieser Woche die Ergebnisse ihrer zweiten Umfrage zu wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Sozialwirtschaft und im Gesundheitswesen vorgelegt. Schon seit dem Ausbruch der Pandemie analysiert die BfS die wirtschaftliche Entwicklung hier. So gewinnt sie verlässliche Wirtschaftsdaten als Grundlage für eine verantwortungsvolle Finanz- und Sozialpolitik.
Bereits im vergangenen Mai und Juni gab es eine erste Abfrage unter Trägern und Einrichtungen. Die Antworten der zweiten Runde stammen aus dem November und Dezember 2020. Leider sind die Ergebnisse der zweiten Studie nicht wirklich überraschend. Sie erhärten nur, was wir aus unseren Verbänden seit Monaten hören:
Herausforderung Zahlungsfähigkeit
Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf das Sozial- und Gesundheitswesen bestätigen und verstetigen sich. Was auch sonst? Ein Jahr mit Corona hat selbstverständlich auch für die gemeinnützigen Sozialunternehmen unterschiedliche schwerwiegende Konsequenzen.
Auch wenn derzeit nur ein kleiner, im Vergleich zum Sommer 2020 sogar rückläufiger Teil der Befragten eine akute Insolvenzgefahr sieht, bleibt die Sicherung der Zahlungsfähigkeit eine zentrale Herausforderung.
Die erheblichen Auslastungsrückgänge, Ertragsausfälle und finanziellen Mehrbelastungen lassen sich nicht einfach wieder „hereinwirtschaften“. Sie gehen gefährlich an die Substanz und haben strukturelle Dimensionen – es droht eine erhebliche Beschädigung der sozialen Infrastruktur.
Gleichzeitig fehlen Mittel für die notwendigen und teilweise großen Investitionen im Bereich Digitalisierung. Drittmittel gibt es hierfür nicht.
Pandemiebedingte Kosten
Eine zusätzliche Belastung stellen pandemiebedingte bauliche Maßnahmen oder die Mehraufwendungen für Schutzkleidung dar. Für die Weiterführung der sozialen Arbeit sind sie unerlässlich, ihre Refinanzierung ist aber weiterhin unklar. Auch der zusätzliche bürokratische Aufwand für Dokumentation verursacht Kosten, die sich nicht einfach aus der Portokasse begleichen lassen.
Dabei rede ich noch gar nicht von dem zeitlichen Mehraufwand des Personals und dem ewigen Kampf gegen die allgegenwärtigen Personalengpässe. Dieses Dauerproblem hat sich gerade im November und Dezember 2020 nochmals deutlich verschärft. Denn der selbstlose Einsatz der Mitarbeitenden zehrt ja nicht nur an ihren Kräften, sondern hat oft zur eigenen Infektion geführt. Grundsätzlich wirft all das ein Licht auf die chronische Unterfinanzierung der sozialen Arbeit.
Existenzielle Schutzschirme
Die BfS-Daten zeigen, dass die vom Staat 2020 dankenswerter Weise bereitgestellten finanziellen Schutzschirme hier zwar helfen. Sie weisen aber auch deutlich darauf hin, dass diese Maßnahmen bei weitem nicht komplett auffangen können, was die Pandemie das Sozial- und Gesundheitswesen tatsächlich kostet. Und gemeinnützige Einrichtungen und Dienste wollen und können weder auf Kosten der Menschen an der Qualität ihrer Arbeit sparen, noch können sie andere Einkommensquellen oder Märkte erschließen.
Es besteht also weiterhin dringender sozialpolitischer Handlungsbedarf, um die soziale Infrastruktur bundesweit zu sichern und den Sozialstaat funktionsfähig zu halten. Auch in Nach-Corona-Zeiten – wenn sich nach den großzügigen Hilfen die öffentlichen Kassen erheblich geleert haben werden – muss das ein gemeinsames Ziel von Politik und Freier Wohlfahrt bleiben.
Um des sozialen Friedens willen
Wir haben als Bundearbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGfW) in dieser Woche erneut deutlich gemacht, wie wichtig die differenzierten staatlichen Schutzschirme, bestehend aus dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG), dem Covid19- Krankenhausentlastungsgesetz und anderen Sicherungsmaßnahmen, für unsere Träger, Einrichtungen und Dienste sind.
Denn nur diese Schutzschirme helfen derzeit, die soziale Infrastruktur im Land stabil zu erhalten. Wir brauchen diesen Schutz auch in 2021, und wir brauchen ihn bis zum Ende des Jahres.
Die ökonomischen Folgen von Corona und die damit verbundenen Herausforderungen im Sozial- und Gesundheitswesen verlangen politische Weitsicht. Sie werden den sozialen Frieden und die politische Landschaft im Land nachhaltig beeinflussen.
Wahlprüfstein Sozialpolitik
Die staatlichen Schutzschirme können den vielfältigen Diensten und Unternehmen der freien Wohlfahrt und ihren Mitarbeitenden weiterhin den Rücken freihalten und so vielen Menschen Wege und Teilhabe in eine gerechte Zukunft ebnen.
Ein funktionsfähiger Sozialstaat wird in diesem Superwahljahr für viele Wahlberechtigte, die keine Aktienpakete besitzen, auch zu einem wichtigen Wahlprüfstein werden.
Gerade in den vielschichtigen sozialen Notlagen, die sich für sie mit der Corona-Pandemie verbinden, erleben Menschen die überzeugenden Stärken dieses Sozialstaats und der Sozialpolitik der Regierung: auch in Gestalt von engagierten und weiterhin verlässlichen Hilfeangeboten in ihrem konkreten Lebensumfeld.
Die kommende Bundestagswahl wird auch mit tragfähigen gesundheits- und sozialpolitischen Konzepten gewonnen werden.