Seit sechs Tagen schippen und schieben sie jetzt schon den braunen Schlamm aus ihrem Mietshaus und tragen das, was von ihrem Mobiliar und den privaten Dingen übriggeblieben ist, vor die Tür. Der jungen Frau stehen Erschöpfung und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, wie ihrem Mann, der in seinem ebenfalls mit braunem Schlamm verdreckten T-Shirt und kurzen Hosen mit stockender Stimme berichtet. Gerade haben wir ihnen einen Bautrockner übergeben können.
Wie soll es weiter gehen?
Ihr Mietshaus ist aktuell nicht mehr bewohnbar. Alles ist durch und durch nass – aber aus den Leitungen kommt weder Wasser noch Strom. Darum leben sie mit ihren beiden Kindern übergangsweise in einer Ferienwohnung. „Aber wie lange werden wir da noch wohnen können? Das ist doch keine Lösung für ewig, ich weiß überhaupt nicht, wie das weitergehen soll.“ Die junge Frau ist verzweifelt: „Wir haben hier Ertrunkene im Wasser vorbei schwimmen gesehen. Ich bekomme die Bilder nicht aus dem Kopf, ich kann kaum schlafen! Unsere Zwillinge sollen das hier nicht mehr ständig sehen. Und nun hat uns noch unser Vermieter gekündigt, er hat uns mitgeteilt, wir könnten ja auch kaufen oder uns anders einigen. Kaufen? Wovon denn?”
Sie wollen jetzt alles wieder so schön wie vorher machen. Das gehöre sich doch so. Ihr Anwalt soll die Sache mit dem Vermieter regeln. Gleichzeitig sind sie überwältigt von der Hilfsbereitschaft und der Unterstützung, die sie von völlig fremden Menschen aus der Umgebung und der Nachbarschaft erfahren.
In den letzten Tagen standen sehr viele vor der Tür und haben einfach mit angepackt. „Das ist großartig“, sagt der junge Familienvater sichtbar gerührt. Jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit muss er allerdings von der Übergangswohnung noch mal rüber zum Haus und nach dem Rechten sehen. Es wird auch geplündert und gestohlen: „Ich war nur kurz im Haus, plötzlich waren alle Schippen weg, das ist doch einfach unfassbar, oder?“
Pfarrer Erik Schumacher, der uns bei unserem Rundgang begleitet, macht sie darauf aufmerksam, dass neben der Kirche ein Raum der Stille eingerichtet sei, mit ein paar LED-Kerzen. Und es liege ein Gebet- und Kondolenzbuch aus. „Eine sehr gute Idee”, sagt die junge Frau, „da gehen wir hin.”
Ehepaar Hess: Das ist doch unser Lebenswerk!
Eine ältere Nachbarin steht plötzlich neben uns, auch ihr Kittel ist mit Schlamm verschmutzt. Sie will uns ihr Haus zeigen. Ein schmaler Gang führt an Haufen von nassen Putzresten und Holztäfelungen vorbei. Frau Hess erzählt im Gehen ohne Unterbrechung weiter von der erlebten Tragödie der letzten Tage, sie will und kann ihre Verzweiflung nicht verbergen.
„Als das Wasser kam, sind wir sofort weg, selbst das Portemonnaie haben wir liegengelassen, das ging so schnell, ich habe zu meinem Mann gesagt, schnell auf den Berg.“ Das Wasser hat ihnen den gesamten Boden aus dem Haus gerissen. „Gucken Sie mal, Sie blicken jetzt bei uns direkt in den Keller. Die Bodenplatte für das Erdgeschoss gibt es nicht mehr! Alles ist weg! Das Wasser ist hier einfach durchgeflossen.” Fast das gesamte Inventar wurde von den braunen Schlammfluten einfach weggeschwemmt. Neben dem Loch, wo einmal die Haustür war, hängt noch das grüne Keramikschild an der nassen Wand: „Hier wohnt Familie Hess”.
„Jetzt müssen wir hier wahrscheinlich abreißen. Das ist doch unser Lebenswerk! Mein Mann hat hier alles so schöngemacht. Wir sind kleine Leute und wir bekommen von niemanden einen Kredit für den Wiederaufbau. Erst recht nicht mehr an dieser Stelle. Wenn uns der Staat nicht hilft, dann sind wir am Ende!“
Wir stehen zusammen vor dieser gespenstischen Öffnung in der Hauswand, wo einmal eine Haustür war und schauen tief nach unten direkt in den dunklen, nass glänzenden Keller. Die Holztreppe, die hier einmal vom Flur in die erste Etage führte, endet nun abrupt vor diesem großen tiefen Loch, an dem wir stehen. Das einst liebevoll eingerichtete Wohnzimmer ist nur noch an einigen schiefen Bildern an der feuchten Wand zu erkennen. „Das Wasser ist hier mitten durch!”
Unser Gespräch wird von ohrenbetäubendem Schlagbohrer-Lärm begleitet, der aus dem Hinterhaus kommt. Unter Tränen erzählt mir Frau Hess, dass sie den jungen Mann, der hier arbeitet und uns kurz freundlich zunickte, gar nicht kenne. Er sei heute Morgen gekommen, hat seine Hilfe angeboten und reißt seitdem die völlig durchnässten Fliesenspiegel und losen Armaturen im Badezimmer ab. In dem Raum, der einmal die Küche war, reißt eine Helferin zusammen mit ihrer Tochter den feuchten Belag vom Boden und karrt alles auf den großen traurigen Berg an der Straße. Sie kommen aus Düsseldorf und wollen einfach unterstützen. Diesen verzweifelten Menschen wie der Familie Hess helfen, die keine Ahnung hat, wie es weitergehen soll. Und trotzdem erstmal aufräumt.
Die Straße der Solidarität der „kleinen Leute“
Die Straße im einst idyllischen Eifeldorf Schleiden ist erheblich zerstört und nur notdürftig geräumt. Sie bietet auch noch sechs Tage nach der katastrophalen Sintflut ein traumatisches Bild des Schreckens. Es wird Jahre dauern, bis es hier wieder so aussieht wie vorher. Wenn überhaupt die Menschen hierbleiben können. Ohne zuverlässige und ausdauernde Unterstützung werden sie es kaum schaffen.
Ich habe dieses sich tief im Kopf und im Herzen festsetzende Bild der Zerstörung vor Augen. Und zugleich ist diese Straße auch eine anrührende Straße der Solidarität der „kleinen Leute“, der vereinten Mühe um Normalität und einer verzweifelten Suche nach einem Ansatz zum Wiederaufbau. Die Sonne scheint, ein Pickup mit örtlichem Kennzeichen fährt vorbei. Von der Ladefläche verteilt eine freundliche Frau frischen Kaffee, Suppe und Kuchen für die schuftenden Menschen, die Helferinnen und die nun Wohnungslosen. Es liegt ein modriger Geruch in der Luft, und an der Kreuzung türmt sich ein meterhohes bizarres Blechungetüm von völlig zerstörten Privatautos und kleinen Lieferwagen. Oft hat das Wasser Schutt und Geröll bis unter das Dach in die Fahrzeuge gespült.
Auch die letzten Erinnerungsstücke sind jetzt weg
Im Nachbarort Kall sind wir mit dem Geschäftsführer der diakonischen Stiftung „EvA“, Malte Duisberg und dem Vorstand des Kirchenkreises Aachen verabredet. Superintendent Hans-Peter Bruckhoff ist selbst betroffen. Das Wasser ist auch durch das Erdgeschoss seines Pfarrhauses geschossen und hat dort alles verwüstet. Seine Frau hat er erst nach langen Stunden der furchtbaren Ungewissheit in Sicherheit gewusst.
So ging es vielen, die lange nicht wussten, wie es um ihre Angehörigen steht. Kommunikation war nicht mehr möglich, alle Telefonnetze ausgefallen. Viele Menschen werden immer noch vermisst, zu viele sind gestorben. Allein in Kall sind elf Menschenleben zu beklagen. Die Wohnanlage des betreuten Wohnens von „EvA“ ist im Erdgeschoss ein einziges Tohuwabohu. Abgerissene Heizkörper liegen neben aufgerissenen Bodenbelägen.
„Die Damen und Herren, die hier wohnten, haben sich bei ihrem Einzug bereits bei Mobiliar und privaten Erinnerungsstücken auf das Wesentliche und ihnen besonders am Herzen liegende reduzieren müssen. Das ist jetzt alles weg“, berichtet Duisberg. „Hier auf dem Parkplatz lag das alles auf meterhohen Haufen, durchnässt und zerstört.” Noch am Abend haben sie schnell alle BewohnerInnen in den ersten Stock getragen, die Fahrstühle waren ja komplett ausgefallen. Und dann haben sie alle von oben auf den braunen Strom gesehen, in dem die Autos, die Bäume und die Kabeltrommeln vorbeischossen. „Es war wirklich wie bei der Sintflut.”
Es wird lange brauchen, bis diese Narben heilen
Es geht nicht nur um die massiven materiellen Schäden, die diese Sturzflut hinterlässt, auch die Seelen vieler Menschen haben Schaden genommen. Viele sind spürbar traumatisiert. Es wird lange brauchen, bis diese Narben heilen, wenn sie je ganz heilen. Seelsorge und psychotherapeutische Hilfen sind nun genauso wichtig, wie schnelle und unbürokratische materielle Hilfen. Es wird eine konzertierte, zuverlässige und dauerhafte Unterstützung über Jahre sein müssen. Ohne solche Hilfe werden es die vom Schrecken und der Katastrophe gezeichneten Menschen nicht schaffen können.
Soforthilfe ist angelaufen
Die Diakonie Katastrophenhilfe ist in enger Abstimmung mit dem Diakonischen Werk Rheinland- Westfalen-Lippe und den diakonischen und kirchlichen Stellen vor Ort bereits bei der Umsetzung der ersten Sofort-Hilfsmaßnahmen. Den von uns aus Berlin mitgebrachten ersten Bautrocknern werden hunderte bereits bestellte und gespendete Geräte in den nächsten Tagen folgen. Soforthilfen für Personen und Haushalte sind aufgesetzt, Kindernotbetreuungen und Ferienangebote für die Kinder, vieles läuft jetzt mit Geschwindigkeit an. Denn es geht darum, jetzt schnell zu helfen. Und: „Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch“ – die Unterstützungs- und Spendenbereitschaft der Menschen im Land ist grandios.
Wie helfen?
Bitte, unterstützen auch Sie die Diakonie Katastrophenhilfe und das Diakonische Werk durch ihre Spende und Ihr Gebet:
Spendenkonto der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
Empfänger: Diakonisches Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. – Diakonie RWL
IBAN: DE79 3506 0190 1014 1550 20
BIC: GENODED1DKD
Stichwort: Hochwasser-Hilfe
Für später
Jetzt ist erst einmal Nothilfe angesagt. Danach werden wir aber auch über die notwendigen politischen Schlüsse aus der von Menschen gemachten Klimakatastrophe, die nun auch unser Land erreicht hat, reden müssen.