Noch ist eine verbindliche Frauenquote von mindestens 50 Prozent in den Entscheidungsgremien des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung (EWDE) Zukunftsmusik, aber sie ist auf dem Weg. Das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter in der Diakonie Deutschland, ihren Fachverbänden, Trägern und Einrichtungen hat die „Konferenz für Diakonie und Entwicklung“ (KDE) im vergangenen Jahr formuliert. Eine entsprechende „Verbandsempfehlung“ liegt vor. – Ja, wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.
50 Prozent
Das EWDE will Maßstäbe setzen. Der Prozess der Satzungsüberarbeitung läuft. Es ist ein richtig dickes Brett, was hier gebohrt wird. Denn das EWDE ist ein wichtiger Knoten in einem komplexen diakonischen Netzwerk, zu dem nicht nur die unterschiedlichsten Träger, Unternehmen, Einrichtungen, Fach- und Landesverbände gehören, sondern auch die EKD und die Landes- und Freikirchen. Wenn wir in dieser Struktur die „Spielregeln“ ändern, sollte das Netzwerk in Bewegung geraten.
Die entsprechende „Arbeitsgruppe Quotenregelung“, die der Aufsichtsrat zur Erarbeitung eines Vorschlags für eine verbindliche Quotenregelung für die Organe des EWDE eingesetzt hat, hat mehrfach getagt. Wir haben uns unter anderem angeschaut, wie politische Parteien und andere Wohlfahrtsverbände mit der Quote umgehen. Es ging aber auch um diffizile Rechtsfragen.
Ein spannender Expertinnen-Input der Juraprofessorin Heide Pfarr hat u.a. auf verfassungsrechtliche Schwierigkeiten unserer bisherigen Satzungsregelung hingewiesen. Und unser vielfältiger Verband mit seinem Entsendungsprinzip, seinen Interessengruppen und Profilen, die sich auch in unseren Gremienzusammensetzungen abbilden müssen, macht die Aufgabe zusätzlich knifflig. Es ist ein dickes Brett.
Außerdem darf ab sofort bei der Nachbesetzung eines Gremienamtes erst wieder ein Mann berufen werden, wenn ein Mindestfrauenanteil von 50 Prozent im Organ erreicht ist. Ansonsten bleibt der Platz bis zur nächsten Wahl eben unbesetzt.
Ungleiche Macht
Und die Zustände sollten sich bald ändern. Schon ein kurzer Blick auf die Zahlen des Diakonie-Gleichstellungs-Atlas legt offen, wie ungerecht, wie ungleich verteilt die Macht zwischen Frauen und Männern auch in der Diakonie immer noch ist: Die Diakonie ist weiblich. 77 Prozent unserer Mitarbeitenden sind Frauen, aber nur 31 Prozent von ihnen finden sich auf der obersten Leitungsebene. Bei den Aufsichtsgremien sind es nur 29 Prozent. Das ist eine Unwucht, die ins Gleichgewicht gebracht werden sollte. Dazu braucht es Klugheit und einen langen Atem.
Und auch wenn der unbereinigte Gender Pay Gap, die Lücke des Durchschnittsbruttolohns aller beschäftigter Frauen und Männer, bei uns wegen der hohen Tarifbindung „nur“ bei 7,4 Prozent liegt – also deutlich niedriger als in der Gesamtwirtschaft (18 Prozent), dürfen wir uns darauf nicht ausruhen. Denn der immer noch bestehende „Gap“ zeigt, dass Frauen in den höheren Gehaltsklassen nicht im gleichen Maß ankommen wie Männer.
Fakt ist: Wir haben auch in der Diakonie noch Strukturen, Arbeits- und Rahmenbedingungen, die es qualifizierten Frauen erschweren, in verantwortliche Positionen mit Gestaltungsaufgaben zu kommen. „Woke“ und zugespitzt gesagt: Weiße Cis-Männer sind eben auch in unseren Verbänden zu häufig noch tonangebend. Die Quote wird helfen, das zu ändern. Selbstverständlich sind alle anderen Wege wie eine etablierte Frauenförderung, bessere Vereinbarkeit und flexible Arbeitszeitmodelle weiterhin notwendig und richtig.
Mahnende Stationen
Gedenk- und Feiertage wie der Internationale Frauentag und der Equal Pay Day sind jährlich wiederkehrende mahnende Stationen auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Sie geben Anlass, Bilanz zu ziehen, Themen zu highlighten, Forderungen zu wiederholen oder zu präzisieren. Die eigentliche Arbeit findet dann an den anderen 364 Tagen statt – aber der Reminder im Kalender unserer vielstimmigen Gesellschaft der rasenden Themenvielfalt erinnert uns an die Dringlichkeit dieser Aufgabe.
„Wer Fachkräfte sucht, kann auf Frauen nicht verzichten!“ So lautete das diesjährige Motto des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Weltfrauentag. Das ist auch ein diakonischer Dauerbrenner. Wie muss der Arbeitsmarkt gestaltet werden, damit das Potenzial von Frauen (mit und ohne Kinder) sich entfalten kann? Dazu hat meine Vorstandskollegin Maria Loheide in dieser Woche Stellung bezogen.
Gegen Widerstände
Und wir werden leider auch erinnert, dass Frauenrechte nicht selbstverständlich sind. Mit Entsetzen und Wut werden wir in diesen Wochen unfreiwillige Zeugen des brutalen und widerwärtigen Unrechts, das Frauen und Mädchen derzeit im Iran, in Afghanistan erleiden. Unsere Solidarität mit ihnen sollte uns nicht vergessen lassen, dass auch bei uns in Europa Frauenrechte noch jung sind. Und immer wurden und werden sie gegen Widerstände durchgesetzt.
Auf den Gleichheitsgrundsatz in der deutschen Verfassung hätten die immer wieder gern zitierten Väter des Grundgesetzes gerne verzichtet. Aber es gab zum Glück vier starke Frauen im illustren Kreis der Verfassungsschreiber:innen, die das anders sahen und sich durchsetzen konnten.
In der englischsprachigen Welt wurde der 8. März in diesem Jahr übrigens unter das Motto „Embrace Equity“ gestellt. Auch ein gewissermaßen „diakonischer“ Ansatz, der uns dafür sensibilisieren will, dass es bei der Realisierung von Gleichheit/Equality immer darum geht, die konkreten Bedürfnisse und Bedarfe der unterschiedlichen Menschen im Blick zu haben, damit alle die gleichen Chancen haben. (Chancen-)Gerechtigkeit heißt der Verschiedenheit gerecht zu werden. Nur das Gleiche für alle zu fordern, ist eben nicht genug. Im Gegenteil, es kann zu neuer Ausgrenzung führen.
Gleiches Recht für alle
Es muss also darum gehen, weiter zu arbeiten: bis gleiches Recht für alle Geschlechter in ihren unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten wirksam werden kann. Es ist ein langer Weg, den wir hier noch miteinander zu gehen haben. Aber er lohnt sich für alle.