In einem Festakt in der Vertretung der Landes Hessen beim Bund haben wir in dieser Woche mit vielen Gästen das 25jährige Bestehen des BeB gefeiert. Als „Bundesverband evangelische Behindertenhilfe“ entstand er als Zusammenschluss zweier älterer Verbände, deren Wurzeln bis ins vorletzte Jahrhundert zurückreichen. Zum Jubiläum wurde der neue Name „Evangelischer Fachverband für Teilhabe“ der breiteren Öffentlichkeit bekannt gegeben. Er signalisiert den Paradigmenwechsel von der paternalistisch verstandenen Hilfsbedürftigkeit zum selbstbestimmten Teilhabeanspruch von Menschen mit Beeinträchtigung. Für diesen Paradigmenwechsel ist der BeB – die geläufige Abkürzung ist weiterhin in Gebrauch – in den letzten Jahren engagiert eingetreten, wie die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese (BMAS) in ihrem Grußwort unterstrich: auf dem Weg zum Bundesteilhabegesetz, aber auch bei der Beteiligung von Menschen mit Beeinträchtigungen in den Gremien des Verbandes.
Der neue Name gefällt mir gut, er macht deutlich: Unser zentrales Anliegen ist das gelingende Zusammenleben der Unterschiedlichen, und bitte nicht Fürsorge. Wir treten dafür ein, dass alle teilhaben können: am Arbeitsleben, in Sport und Kultur, an politischen Debatten und Entscheidungen. Jeder Mensch bereichert die Vielfalt unserer Gesellschaft.
Wir können und wollen auf niemanden verzichten. Auf Menschen mit Beeinträchtigung nicht und auf alle anderen auch nicht. Das braucht einen Geist der Empathie und der Menschenfreundlichkeit. „Mitmenschlichkeit stärken“, heißt dementsprechend das Leitmotiv des BeB. Es steht für einen in der politischen und fachlichen Debatte hoch geschätzten Verband, für Kompetenz und Innovationskraft. Das Kürzel ist nicht nur eine anerkannte, wertvolle Marke, die man nicht leichtfertig aufgibt. Es mahnt auch, die eigene Geschichte nicht zu vergessen. Herzlichen Glückwunsch also zu 25 Jahren Verbandsarbeit, lieber Herr Stefan und liebe Kolleginnen und Kollegen!
Inklusions- und Teilhabepolitik prägte diese Woche auch an anderen Stellen. Die seit zehn Jahren vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales verantworteten „Inklusionstage“ thematisieren in diesem Jahr: „Gesundheit“ – sehr passend in einem Jahr, in dem eine große Krankenhausreform auf der politischen Tagesordnung steht.
Menschen mit Behinderung stoßen im Gesundheitswesen nicht selten an bauliche und andere Barrieren. Und bei der Umsetzung der Krankenhausreform gilt es u.a. darauf zu achten, dass die Regelversorgung barrierefrei wird, aber auch die besonderen medizinischen Bedarfe von Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden.
Hier haben diakonische Einrichtungen traditionell eine große Expertise. Sie reicht von den Epilepsiekliniken über Krankenhausabteilungen, die Menschen mit Lernbehinderung besonders unterstützen bis zu den Medizinischen Zentren für erwachsene Menschen mit Behinderung, für die der BeB (s.o.) über zwanzig Jahre lang so leidenschaftlich gekämpft hat. Ich unterstütze aus vollem Herzen den „Appell zu umfassender Gesundheitsversorgung für Menschen mit geistiger oder schwerer mehrfacher Behinderung“, den ein Verbändebündnis in dieser Woche auf den Weg bringt.
Auf dem Weg zu mehr Teilhabe am Arbeitsleben hat sich heute auch im Bundesrat etwas getan. In ihrer Sitzung befasste sich die Länderkammer mit dem Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Von ihm profitieren nun hoffentlich Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung, die es trotz guter Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben als andere arbeitssuchende Menschen.
Von den insgesamt 173.000 verpflichteten Unternehmen beschäftigen etwa 40.000 überhaupt keinen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung. Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt, auf dem die Rechte von allen Menschen mit Behinderungen auf Teilhabe, auf berufliche Aus- und Weiterbildung, auf die eigenständige Existenzsicherung und Selbstbestimmung durch Arbeit verwirklicht werden können. Nachdem der Bundestag bereits zugestimmt hatte, hat nun der Bundesrat den Weg dafür freigemacht. Endlich.
Das Ziel einer Gesellschaft, in der jede(r) ohne Angst und gesellschaftliche Behinderung verschieden sein kann, erfordert einen wahrscheinlich nie aufhörenden Lern-Prozess von uns allen. Und auch 15 Jahre nach Inkrafttreten des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, kurz UN-Behindertenrechtskonvention, bleibt viel zu tun, um volle Teilhabe zu erreichen.
Was genau ist zu tun? Fragen wir Menschen mit Beeinträchtigung! Und fragen wir bitte so, wie Jesus den blinden Bartimäus fragt: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Das bleibt die schönste Frage der Welt. Menschen mit Beeinträchtigung kennen die Barrieren, die sie behindern. Darum ist ihre Beteiligung an allem, was sie betrifft, so wichtig: „Nichts über uns, ohne uns!“
Zum Beginn dieser Woche haben wir das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Am 8. Mai 1945 musste Deutschland bedingungslos kapitulieren, nach einem verbrecherischen Krieg, den es selbst begonnen hatte. Damit endete auch die Herrschaft des NS-Regimes, das auf einer Ideologie der brutalen Ausgrenzung und der Menschenverachtung beruhte. Eine Ausgrenzung- und perverse Reinheitsideologie, der die Ermordung von über 200.000 Menschen mit Beeinträchtigung folgte. Der mit dem Namen „Hadamar“ verbundene Zivilisationsbruch steht allein für eine monströse Brutalität. Dass aber unter den getöteten Menschen viele auch aus caritativen und diakonischen Einrichtungen kamen, lässt einem als Christenmenschen und Repräsentanten einer kirchlichen Diakonie immer wieder den Atem stocken. Zum 175. Jubiläum erinnern wir auch an diese Schatten-, ja Nachtseiten, die Schuldgeschichte der Diakonie.
Jeder Mensch, ob beeinträchtigt oder nicht, ist ein geliebtes Kind Gottes, ja, sein „Ebenbild“. Daran erinnert uns nicht ohne Grund bereits der Beginn der Bibel (Genesis 1). Weil Menschen das eben immer wieder vergessen wollen. Und es ist auch kein Zufall, dass in Artikel 1 des Grundgesetzes die unverlierbare und unantastbare Würde und die Verpflichtung des Staates diese Würde zu schützen, prominent am Anfang der Verfassung steht.
Jeder Mensch ist – Gott sei Dank – verschieden, Diversität ist der größte Reichtum unserer Kultur. Und es ist eine historische und keinesfalls selbstverständliche zivilisatorische Errungenschaft, dass jede und jeder angstfrei verschieden sein darf. Das wird nur so bleiben, wenn auch jede und jeder von uns bereit ist, dafür jeden Tag neu einzustehen.