Auf der Rückreise von einer eindrücklichen einwöchigen Learning Journey über Digitalisierung durch das Silicon Valley. Ich sitze noch am Gate in San Francisco und warte auf meinen Rückflug nach Berlin. Da „tickert“ über FAZ-Online die dramatische Nachricht auf mein Handy, dass Elon Musk, der CEO von Tesla, einem führenden Elektroautohersteller, heute um drei Uhr nachts vor der Gefahr eines Dritten Weltkriegs gewarnt hat.
Musk, einer der weltweit erfolgreichsten Entwickler und Investoren im Bereich der digitalen Innovationen, ist sehr besorgt, dass der Kampf um die Vorherrschaft durch Künstliche Intelligenz (KI) oder intelligente Maschinen, selbst mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Weltkrieg auslösen könnten. Weil sie den Zeitpunkt für den entscheidenden Schlag perfekt berechnen würden. Musk beruft sich auf einen alten Geheimdienstmann, den russischen Präsidenten Wladimir Putin, und sein aktuelles Bonmot: „Wer immer führend in dieser Sphäre wird, wird der Herrscher der Welt.“
Schon bei unserem gestrigen Gottesdienstbesuch der Lutherischen Gemeinde in Palo Alto hatte mir Frank, ein leitender Mitarbeiter eines deutschen Elektronikkonzerns, seine Sorgen ausdrücklich mit auf den Weg nach Deutschland gegeben: „Was sich im Bereich Technologische Singularität und KI entwickelt, das habe ich erst hier in den letzten Jahren in Palo Alto verstanden. Das müssen Sie in Deutschland diskutieren, das greift tief in unser christliches Verständnis vom Menschen, ja, von Ewigkeit ein, die womöglich technologisch und von Maschinen kreiert werden wird. Künstliche Intelligenz wird uns als Personen kopieren, verbessern und menschliche Fähigkeiten in absehbarer Zeit überbieten können – wenn wir nicht rechtzeitig den Stecker ziehen.“ – Gibt es einen solchen Stecker überhaupt? Frank bittet uns in Deutschland und Europa um baldige, sachverständige und kritische öffentliche Diskussion über Künstliche Intelligenz, anderenfalls würden diese Themen nur in geschlossenen Expertenzirkeln oder von Militärs und Geheimdiensten diskutiert und die Technologie einfach weiterentwickelt. Hat da einer zu viel Stanislaw Lem gelesen? Ist das Panikmache oder die berechtigte Sorge vor einer Entwicklung, die die Grenzen zwischen Mensch und Maschine aufweichen und zu mächtigen, entscheidungsfähigen und intelligenten Maschinen führen wird?
Phillip, Sohn digitaler deutscher Experten wie Frank einer ist, besucht die zwölfte Klasse an der Deutschen Schule in Palo Alto, wo Facebook, Apple, Google und Tesla ihre Firmenzentralen in der Nachbarschaft von 16.000 Startups, Denkwerkstätten und der renommierten Stanford Universität unterhalten. Der sympathische und aufgeweckte Digital Native sieht diese Diskussion viel gelassener: Auch die digitale Technik sei nur ein neues Werkzeug, eine Art „neuer Hammer im Werkzeugkasten“, an den wir uns kulturell nur noch gewöhnen müssten.
Zugegeben: Ich bin nach dieser Reise etwas weniger gelassen. Nach vielen Gesprächen, unter anderem mit Thomas Schulz, dem langjährigen Korrespondenten des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ im Silicon Valley oder dem Google-Chief Innovation Evangelist Dr. Frederic Pferdt, verlasse ich Palo Alto und das Silicon Valley mit dem sicheren Gefühl, dass wir in Kirche, Diakonie und Öffentlichkeit dringend grundsätzliche theologische und sozialethische Herausforderungen zu diskutieren haben. Nicht alarmistisch, aber mit einer realistischen Einschätzung für die neue Geschwindigkeit und die neue Qualität, mit der sich das Leben für uns alle ändert. Bereits jetzt arbeitet die technologische Elite (nicht nur in Kalifornien) an und mit sich selbst optimierenden Maschinen und Systemen. KI und Technologische Singularität werden bereits unsere Zukunft und auch die Zukunft unserer Kinder einschneidend und sehr schnell verändern.
Pflege und Künstliche Intelligenz
Dabei geht es nicht nur um selbst fahrende Autos oder sich stets und selbstständig aktualisierende digitale Lexika. Sehr schnell wird die Digitalisierung auch Pflege und Medizin und andere klassische Handlungsfelder der Diakonie verändern. Zu Recht hat unser größter diakonischer Krankenhausverbund Agaplesion unter der Überschrift „Digitalisierung und Spiritualität“ diese Herausforderungen und Chancen in diesem Jahr zu einem Schwerpunktthema gemacht. Computertomografen, die höchstgradig treffsichere radiologische Diagnosen stellen und einen evidenzbasierten Therapieplan der diagnostizierten Krankheit gleich mitliefern, sind nicht länger reine Zukunftsmusik. Wir haben Leute getroffen, die daran arbeiten: junge Leute in Turnschuhen auf coolen Sesseln, sehr jung und sehr gut.
Auf der Einkaufsstraße in Palo Alto konnte ich vor einem Laden mit einem selbstfahrenden Computer sprechen: Über den auf Augenhöhe eingebauten großen Bildschirm informierte mich eine zugewandte Mitarbeiterin aus einem Büro in San Francisco über dessen Einsatzmöglichkeiten in Konferenzen, aber auch in der häuslichen Pflege. Hier wird der Roboter zur freundlichen Online-Begleiterin, die zuhört, kommuniziert und die Medikamenteneinnahme oder die Flüssigkeitsaufnahme überwacht. Mit ein bisschen Nachhilfe wird sie bald heruntergefallene Becher aufheben, aber vielleicht auch gestürzten Bewohnern aufhelfen. Freundlich wird sie später fragen, welche Musik sie auflegen darf, oder ob sie das Fenster öffnen soll. Am Ausgang fuhr sie langsam hinter mir her und verabschiedete sich: „Have a nice day!“
Wir müssen über dieses neue Miteinander von Mensch und Maschine in der Pflege und in der Medizin diskutieren, kompetent, chancenorientiert – aber eben auch sozialethisch an unserem christlichen Menschenbild orientiert. Auch darüber, wie grundlegend sich unsere Arbeits- und Lebenswelt durch Digitalisierung verändern wird. Elon Musk ist – wie manch deutsche Vorstände von deutschen Technologiekonzernen inzwischen auch – fest davon überzeugt, dass sich das bedingungslose Grundeinkommen angesichts des baldigen Wegfalls von Millionen von „Blue Overall Jobs“ nicht aufhalten lässt. Aber vielleicht geht es ja auch um eine neue Balance von weniger Erwerbsarbeit und mehr Zeit für zivilgesellschaftliches Engagement in Caring Communities, in sorgenden Gemeinschaften, um mehr Zeit für Familienarbeit und lebenslanges Lernen? Auch diese Fragen sollten wir dringend mit Fachleuten diskutieren und dabei unsere evangelisch-diakonische Perspektive einbringen. Sachkundig und kritisch am Wohl des Menschen, ja, der Menschheit orientiert.
Gemeindewachstum dank Facebook?
„Move fast“ – „Sei schnell!“ – so lautet das hintersinnige Passwort, mit dem sich Gäste und Mitarbeitende in das Wifi auf dem weitläufigen Firmengelände von Facebook einloggen können. (Ein Rest des alten Facebook-Mottos „Move fast and break things“ – „Sei schnell und breche Regeln.“) Hochprofessionelle und sehr motivierte Menschen arbeiten hier in einer sorgfältig gestalteten Umgebung, die inmitten der harten amerikanischen Arbeitswelt kaum Wünsche offen lässt: Sportmöglichkeiten, viel Grün und architektonisch ansprechend gestaltete Team-Rooms; dazu ärztliche Behandlung, kostenloses Essen und Snacks in allen Varianten für alle Mitarbeitenden. Ein Arbeitsplatz, von dem Linda, unsere Gesprächspartnerin, sagt: „It’s a great place to work, really a little bit like paradise.“ Zehn Stunden verbringen sie und ihre Kollegen im Durchschnitt pro Tag in diesem Paradies.
Linda weiß genau, wer ihre Gesprächspartner sind: hochrangige Vertreter der Evangelischen Kirche und der Diakonie. Und sie ist bestens auf uns vorbereitet: Uns wird nicht nur die offizielle Roadmap von Facebook und Instagram hin zur vollständigen „Connectivity“ von Menschen, Dingen und großen Gruppen in wenigen Jahren vorgestellt. Dazu macht uns eine neu eingestellte Spezialistin, die ehrenamtlich in einer Kirchenleitung mitarbeitet, mit einer neuen digitalen Plattform bekannt, auf der Kirchen direkt mit ihren Mitgliedern kommunizieren oder Gottesdienst feiern könnten. „Aber denken Sie dabei bitte nicht nur an Ihre engsten Mitglieder, wir wollen schließlich neue Menschen und Gruppen zusammen bringen“, mahnt sie. Und: „Sie sollten sich strategisch entscheiden, ob sie nur das Aquarium behüten oder Menschen fischen wollen.“
Nein, Facebook ist nicht nur ein Reich des Bösen und Banalen. Überall auf dem Campus entdecke ich begehbare Glaskästen, in denen Mitarbeitende ihre gelesenen Bücher weitergeben und neue Bücher mitnehmen können. Ganz analog. Und von diesen Kästen, deren Form mich etwas melancholisch an die guten alten Telefonhäuschen erinnert, grüßt sogar ein Zitat von Franz Kafka: „A book must be the axe for the frozen sea within us“ (Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.)
Neu denken, das Gute behalten
„Hack your brain“, sagen die Menschen hier. „Versuche etwas wirklich Neues zu denken“. Im Silicon Valley arbeiten sehr intelligente Menschen an wirklich neuem Denken und neuen Lösungen. Mit einem Verständnis und einem Tempo von Innovation, das wir in der guten alten Mutter Kirche und ihrer Diakonie erst noch lernen und einschätzen lernen müssen. Ich bin überzeugt, wir sollten uns schnell darauf einstellen – und manches kritisch befragen. Etwa die rasch aufgehende soziale Schere zwischen denen, die mit immensen Gehältern und Reichtum an dieser Entwicklung teilhaben und sie vorantreiben, und denen, die die horrenden Mieten und Grundstückspreise im Silicon Valley nicht mehr zahlen können. Sie leben in Palo Alto West in Autos. Auch Familien mit ihren Kindern.
„Prüfet alles, und das Gute behaltet.“ (1. Thessalonicher 5,21). Die digitale Revolution hat eben erst begonnen. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, wie wir sie nutzen und mit gestalten können. Gerade im Reformationsjahr 2017, in dem wir uns auch an eine chancenreich und segensreich genutzte Medienrevolution erinnern. Move fast.