Frei nach dem Motto, „Darf’s noch ein bisschen mehr sein?“, hat die Bundesregierung in dieser Woche ihre kleine Pflegereform auf den Weg gebracht. Ein zaghafter Anfang ist gemacht, es braucht sehr viel mehr.
Als Diakonie begrüßen wir diesen Schritt in die richtige Richtung, zufrieden können wir nicht sein: Denn der Pflegenotstand wird immer drängender und die Höhe der Eigenanteile, die BewohnerInnen in der stationären Pflege zahlen, immer absurder.
Das komplexe Thema Pflege muss ganz oben auf der politischen Agenda bleiben. Eine demografiefeste Pflegeversicherung in einer Gesellschaft des langen Lebens wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Bundesregierung.
Denn zu viele Fragen bleiben unbeantwortet in diesem Kabinettsentwurf, der in der kommenden Sitzungswoche noch im Parlament diskutiert und beschlossen werden soll. Auf den letzten Drücker, kurz vor dem Ende der Legislatur. Eine nachhaltige und halbwegs gerechte Aufgabenverteilung bei der Reform des Systems Pflege – und um weniger geht es hier nicht – braucht mehr politischen Mut, mehr Sorgfalt, Zeit und eine umfassende parlamentarische Befassung.
Grundsatzfrage Solidarität
Es geht um Grundsatzfragen: Wie halten wir es mit der Generationengerechtigkeit? Wie solidarisch möchte unsere Gesellschaft sein? Und: Was lassen wir uns das zukünftig kosten? Dürfen sich alle Menschen in unserem Land darauf verlassen, in den Genuss guter Pflege zu kommen – unabhängig von Einkommen oder Vermögen?
Oder lassen wir es auch am Pflegebett zu, wieder zu einer Klassengesellschaft zu verkommen, in der sozialer Status darüber entscheidet, mit welchen Gesundheits- und Pflegeleistungen ein Mensch rechnen darf, wenn er oder sie alt oder pflegebedürftig wird?
Ja, die Felder, die eine Pflegereform zu beackern hat, die diesen Namen auch verdient, sind steinig, das Themenspektrum weit und alle Bereiche sind miteinander verbunden – wie in einem echten Ökosystem.
Mehr Gehalt, weniger Personal?
So ist die Anhebung der Gehälter für alle Pflegekräfte auf das Niveau von Tarifverträgen oder kirchlichen Vereinbarungen selbstverständlich ein wichtiger und richtiger Schritt, um die Pflege zukunftsfest und den Wettbewerb gerechter zu machen.
Wenn aber zeitgleich keine verbindlichen Personalbemessungsrichtlinien folgen, werden Renditen in der Pflege schon bald damit erzielt, dass man die Teams auf den Stationen weiter verkleinert. Mit fatalen Folgen für die Qualität der Pflege und die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen.
Corona sollte uns gelehrt haben: Pflege ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie lässt sich nicht nach den gleichen Prinzipien organisieren wie der Autohandel! Pflege ist eben kein attraktives Wirtschaftsgut wie jedes andere, wo mit Gewinn, Verknappung und Markt alles von alleine läuft.
Wertschätzung steigern
Deutlich ist: Wo mit Pflege und Gesundheit nur Gewinn erwirtschaftet werden soll, wird das Ergebnis schnell fatal – für die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und für die Menschen, die mit Professionalität und Engagement für Pflegebedürftige da sein wollen.
Denn aus leidenschaftlichem Interesse am Menschen haben die meisten Pflegekräfte diesen großartigen Beruf ja gewählt. Nicht wegen der Reichtümer, die sich hier ohnehin nicht verdienen lassen. Wer Pflege nachhaltig reformieren will, muss nicht nur die Gehälter verbessern (was wir in der Diakonie ausdrücklich begrüßen!), sondern für echte Wertschätzung und andere Arbeits- und Rahmenbedingungen insgesamt sorgen – nicht nur in den stationären Einrichtungen.
Es geht um Gebäude, um Personalbemessungsgrenzen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, um intelligenten Einsatz von unterstützender digitaler Technik, um eine Kultur der Entbürokratisierung sowie ein attraktives pflegerisches Aufgabenfeld.
Wer soll das bezahlen?
Und – da rappelt die Bartwickelmaschine! – die Kosten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen dürfen nicht länger auf die ins Absurde gestiegenen Eigenanteile der Pflegebedürftigen umgelegt werden. Ein Platz im Pflegeheim kostet in Deutschland durchschnittlich 2.068 Euro, in einigen Einrichtungen mehr als 3.500 Euro im Monat. Wer soll das noch bezahlen können?
Nach den Plänen der Bundesregierung sollen nun im ersten Jahr 5 Prozent der pflegebedingten Eigenanteile erstattet werden. In den Folgejahren sollen diese stufenweise über 25 und 45 Prozent bis hin zu 70 Prozent ausgeglichen werden.
Das bleibt unbefriedigend und überzeugt nicht: Denn die Gehaltssteigerungen für die Pflegekräfte, der notwendige Personalaufbau und alle weiteren Verbesserungen werden damit weiterhin zum größten Teil von den pflegebedürftigen Menschen oder ihren Angehörigen bezahlt.
Beziehungsweise, angesichts des durchschnittlichen Rentenniveaus, immer häufiger von den Kommunen, die dann für die Kosten im Rahmen der Sozialhilfe eintreten müssen. Das ist eine extrem ungerechte Aufgabenverteilung – sowohl im Blick auf die Belastung der privaten wie der kommunalen Kassen!
Eigenanteile deckeln
Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb braucht es jetzt – wie zunächst von Minister Spahn angedacht – eine wirksame Deckelung der Eigenanteile. Durch eine Pflegevollversicherung, wie die Diakonie sie vorschlägt, wäre dies gewährleistet.
Pflege darf nicht zum Luxusgut werden. In unserer älter werdenden Gesellschaft muss Pflege solidarisch von allen getragen und unterstützt werden. Eine solche Pflegereform, die ihren Namen verdient, ist ausgewogen und zukunftsfähig zu finanzieren.
Die Diakonie hat dazu ein Konzept vorgelegt und dieses Konzept mit wissenschaftlicher Expertise durchgerechnet. Mit einem Finanzierungsmix aus moderaten Beitragssteigerungen und Steuerzuschüssen, einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze sowie der Berechnung anderer Einkommensarten kann eine tragfähige Pflegereform gerecht und nachhaltig finanziert werden. Viele Vorschläge liegen schon viel zu lange auf dem Tisch und vieles ist sogar mehrheitsfähig. Warum die Bundesregierung nicht mehr Mut gezeigt hat, bleibt ihr Geheimnis.
Fazit: Wählt Pflege!
Mein Fazit am Ende dieser Woche: Die Regierung geht kleine Schritte in die richtige Richtung, einige führen leider in die falsche. Eine nachhaltige Reform, mit der die Pflege für alle Menschen im Land dauerhaft finanzierbar gemacht wird, steht weiter aus. Diese sozial- und gesundheitspolitische Hürde haben nun die Parteien zu nehmen, die die nächste Bundesregierung bilden werden. Wir können im Herbst wählen und sollten sie hartnäckig zu ihren Plänen fragen.