In den kommenden Tagen feiert die Christenheit, dass Gott nicht resigniert. Komme, was wolle. Gott ist Liebe, und Liebe findet einen Weg. Davon erzählt das Osterfest. Auferstehung ist im Grunde nur ein anderes schönes Wort für „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Außerdem birgt Ostern eine Aufforderung: „Steh auf! Nimm dein Bett und geh!“, sagt Jesus einmal zu einem Gelähmten, der es sich in seinem Gelähmtsein ganz gut eingerichtet hatte.
Gelähmte Leben
Nachzulesen ist diese Oster-Geschichte im Johannesevangelium (5,1-18). Der Mann argumentiert eloquent, beharrt auf seinem für jeden sichtbaren Leiden und hat, wie er findet, gute Gründe, nichts an seiner Lage ändern zu müssen. Doch Jesus lässt das nicht gelten: „Steh auf! Nimm dein Bett und geh!“ – Der Betroffene wird nicht gefragt, was er möchte. Er wird in Bewegung gesetzt.
Es gibt in diesen Tagen viele Gelähmte in unserem Land. Erstarrt im „Luxus der Hoffnungslosigkeit“ (Dorothee Sölle). Wortreich im Abwehren der eigenen Verantwortung für Veränderungen aller Art.
Aber die österliche Auferstehungskraft formuliert ihr Trotzdem im Angesicht der angeblich normativen Kraft des Faktischen. Sie widerspricht der tödlichen Teilnahmslosigkeit, die Verwandlung für unmöglich hält, Veränderungen lähmt, gern den Anderen oder den Umständen die Schuld gibt und Neuanfänge im Keim erstickt.
Ich wünsche mir Auferstehungskraft für alle müden Herzen und Hirne und für alle, die festkleben an ihren eindeutigen Befunden und Sichtweisen. Für mehr Lebendigkeit, mehr Lebenslust und Mut für den nächsten Schritt ins Ungewisse: „Steh auf!“ Mach Du einen Unterschied!
Geschichten vom Untergang
Wir leben in destruktiven Zeiten, in denen unterschiedliche Formen von Lähmung weit verbreitet sind. Die Dystopie ist das Genre der Gegenwart. Die Geschichten vom Untergang der Welt, wie wir sie kennen, sind stark. Sie kommen – so scheint es – mit einem naturwissenschaftlich gelegten Fundament daher. Es gibt Zahlen, mit denen wir einander vorrechnen, wann und wie es mit uns und unserer Zivilisation bergab gehen wird.
Die Szenarien sind beängstigend – in anderen Regionen der Welt noch sehr viel beängstigender, als im Herzen Europas. Ungezählte Menschen sterben auf dem Weg, ihr Leben, ihre Zukunft zu uns zu retten. In Wüsten, auf dem Meer, auf der Straße. In überfüllten Sammellagern an den Außengrenzen wächst die Verzweiflung. Europa kann sehr barbarisch sein. Verlustängste haben hier ihre Berechtigung.
Unappetitlich wird es, wenn Klimaneutralität nur die Urlaubsplanung stört, Solidarität mit Armen eben nicht Lifestyle-kompatibel ist, Gemeinwohl das Streben nach Singularität irritiert und Windräder als ästhetisches Problem kritisiert werden.
Gestaltend gegensteuern
Wo Küsten fern sind, ist das Steigen des Meeresspiegels immer noch abstrakt. Wir erleben Trockenheit und Starkregen, Hochwasser, Stürme, Hitzesommer und zu warme Winter. Wir hören vom Artensterben und vom Abschmelzen der Gletscherschilde, wir lesen vom Sterben der Wälder und davon, dass die gesundheitlichen Risiken durch Hitze zunehmen.
Wir können wissen, dass das mit unserem Lebensstil in den Industriegesellschaften zu tun hat, den ein Großteil der Spezies Mensch in einer merkwürdigen Art der Lähmung des Verhaltens für erstrebenswert hält, obwohl er den Planeten ausbeutet.
Wir wissen, dass Zukunft nicht vom Himmel fällt, sondern aus dem hervorgeht, was wir tun. Wir wissen, dass wir gestaltend gegensteuern müssten, wenn wir vermeidbares Leid verringern wollten. Mutig, fantasievoll, gemeinsam. Das könnten wir, wenn wir wollten. – „Steh auf, nimm dein Bett und geh!“
Hoffnungslosigkeit füttern
Aber viele leben weiter, als seien sie gelähmt. Dabei tragen sie in Dauerschleife destruktive Sätze vor sich her wie „Da kann man nichts machen.“, „Die da oben sind doch alle korrupt.“ oder „Solange die anderen nichts tun …“ – Sie fühlen sich selbstverständlich im Recht, fühlen sich hilflos, werden wütend und füttern gemeinsam weiter die allgemeine Hoffnungslosigkeit. Sie sind in der Gelähmtheit zuhause. Ist es bereits Mainstream, sich und seiner Sichtweise so sehr selbst der Nächste zu sein?
Auch mich irritiert die politische Klasse mit ihrem oft so kurzsichtigen und bräsigen Zurücklehnen in der Enge des eigenen Horizonts oder Ressorts, dem lähmenden Schielen auf das eigene Gut-Aussehen oder die nächsten Umfragen.
Erst muss der vermeintliche Gegner sich bewegen, damit sich etwas bewegen kann. Manchmal ist auch das ein schwer erträgliches Schauspiel parlamentarischer und politischer Erstarrung.
Wir leben in dystopischen Zeiten.
Freche Ostern
Doch Ostern hält frech dagegen. „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.“ (Ernst Bloch) – Gott sei Dank hütet die Christenheit eine grandiose Geschichte gegen die Hoffnungslosigkeit. Hat sie über mehr als zwei Jahrtausende weitergegeben und vor dem Vergessen geschützt.
Über Generationen und Glaubenskämpfe hinweg stört sie die Vernunft, reizt den gesunden Menschenverstand und sperrt sich gegen jede Vereinnahmung. Sie hat ein Gegengift gegen die Hoffnungslosigkeit. Das macht – wenn es gut geht – wieder handlungsfähig.
In diesen Tagen gedenken die Christen (m/w/d) weltweit an diese göttliche „Auf und Ab“-Geschichte, an das Leiden und Sterben Jesu und feiern Ostern. Auferstehung. Hörend, schweigend, betend, singend und tanzend, aber auch diskutierend, fragend und widersprechend gehen wir den verrückten Weg Gottes mit – durch Leid und Tod und Gottverlassenheit hindurch zum neuen Leben. Und dann wird gefeiert.
Vielleicht entsteht ein Netzwerk der Hoffnung, das sich federleicht um den Planeten legt. Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit.
Netzwerk der Hoffnung
Christentum ist Tragödienkritik, hat der Theologe Klaas Huizing einmal formuliert. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung haben nicht das letzte Wort. Der all-liebende Gott, den Jesus von Nazareth „lieber Vater“ nennt, und von dem im Alten und Neuen Testament so facettenreich geschrieben wird, gibt sich hin. Hingabe gehört zur Identität der Ewigen mit den vielen Namen. Hingabe macht beweglich.
Im Resonanzraum dieser kühnen Geschichte sind wir unterwegs. Sie ermutigt mich dazu, den verführerischen Logiken der Resignation zu misstrauen und zu widersprechen. Sie ermutigt auch dazu, immer wieder neu danach zu fragen: Was kann ich jetzt und heute und hier tun, damit die Hoffnung im Alltag ankern kann? – Steh auf und „verricht das Deine nur getreu“, wie uns ein fast vierhundert Jahre altes Lied rät.
Ich wünsche Ihnen und den Ihren eine gesegnete Karwoche und hoffnungsfrohe Ostertage!