Es geht um viel am kommenden Sonntag in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Es werden nicht nur neue Landesparlamente gewählt, neue Regierungen. Nicht nur die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat könnten sich verschieben. Es wird nicht nur die Flüchtlingspolitik der vergangenen Monate bewertet.
Das alles ist schon wichtig genug. Und trotzdem habe ich den Eindruck, es geht um noch Grundsätzlicheres: In diesen Wahlen geht es auch um unser Selbstverständnis, um die Statik, das Fundament unserer Gesellschaft.
Mich haben Landtagswahlen lange nicht mehr so beschäftigt. Sicher auch, weil wir in der Diakonie auf vielen Ebenen unserer Arbeit mit den Schicksalen der Männer, Frauen und Kinder, die in Deutschland Schutz suchen und deren Anwesenheit das Land politisch polarisiert, konkret zu tun haben. Die Diakonie arbeitet nicht nur tagtäglich z.B. in hunderten Beratungsstellen im ganzen Bundesgebiet mit Geflüchteten, wir streiten in den meinungsbildenden Debatten in der Politik auch für ihre Rechte.
Ja, Diakonie versteht sich als politische Lobbyarbeit. Das gehört genauso zu unserem christlichen Auftrag wie die direkte Arbeit mit Menschen in Notlagen. Deswegen sprechen wir mit Mitgliedern der Parlamente auf Bundes- und Landesebene und in Europa genauso wie mit den Regierungen, wir beteiligen uns beratend an Gesetzgebungsverfahren. Wir versuchen für unsere Position der Mitmenschlichkeit, die im Auftrag der Nächstenliebe wurzelt, zu werben. Wir netzwerken, wir informieren die Medien, wir streiten für unsere Sache. Kurz: Wir machen uns zum Fürsprecher für Menschen, die Gefahr laufen in ihren Rechten und Bedürfnissen übergangen zu werden: für Alte, Arme, Kranke, Menschen mit Handicaps genauso wie für Flüchtlinge. In der Selbstdarstellung von Diakonie Deutschland heißt es „Neben der tätigen Hilfe für Menschen in Notlagen versteht sich die Diakonie als Anwältin der Schwachen und benennt öffentlich die Ursachen von sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft.“
Das ist unser Auftrag. Und auch wenn sich in unseren Reihen der eine Ehrenamtliche oder die andere Mitarbeiterin ihres Glaubens nicht ganz gewiss sind – diese Ethik verbindet uns. Wir in der Diakonie – so könnte man sagen – gehören zu den in diesen Monaten oft verspotteten Gutmenschen – und wir sind sogar ein wenig stolz darauf. Wir stehen ein für ein Menschenbild, das sich an der Unteilbarkeit und der Unverletzlichkeit der Menschenwürde orientiert. Das sich – in der Sprache des Glaubens ausgedrückt – aus der Überzeugung speist, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und entsprechend behandelt werden muss. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die den unterschiedlichen Bedürfnissen von unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen gerecht wird und die diese Unterschiedlichkeit als Quelle von Reichtum versteht. Daran arbeiten wir. Während andere Zäune bauen, Wasserwerfer gegen Flüchtlinge einsetzen und mit dem absurden Gedanken zündeln, dass der Schusswaffengebrauch an deutschen Grenzen denkbar sein muss, fühlen wir uns der Nächstenliebe zu verpflichtet, die gerade die hilfsbedürftigen Fremden einschließt.
Es geht bei den kommenden Landtagswahlen um nichts weniger als um die Leuchtkraft eines solchen humanen, nach unserem Verständnis christlichen Menschenbildes. Was für ein Land wollen wir sein? Ein Land etwa, in dem der Wert eines Menschen in Frage gestellt werden darf? Ein Land, dessen Bürgerinnen und Bürger zwar die Wohlstandsfolgen der Globalisierung genießen möchten, und gleichzeitig leugnen, dass es einen zu verantwortenden Zusammenhang zwischen Bomben auf Aleppo und Turnhallenumnutzungen in Mainz gibt? Wollen wir ein Land sein, in dem die Würde des 1989er-Rufs „Wir sind das Volk!“ missbraucht und auf schreckliche Weise missverstanden wird? Ich will das nicht. Wir in der Diakonie wollen das nicht. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“ So steht es im Grundgesetz. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, schlägt die Bibel vor. Wir haben die Wahl, was gelten soll in unserem Land. Am kommenden Sonntag. Bitte, gehen Sie wählen. Und wählen Sie die Würde des Menschen!