Ich fahre gerne mit dem Aufzug in die sechste Etage unseres Bürohauses in Berlin. Jeden Tag freue ich mich aufs Neue über das Licht, in das man nach der Aufzugtür tritt: Strahlende Helligkeit. Dank der gläsernen Dachkonstruktion und der weißen Wände ist es immer licht. Selbst an den trübsten Tagen. Auch wenn der Kopf randvoll ist mit Terminen und Themen, hier hat er eine Millisekunde Pause. Mir kommen dann immer auch religiöse Assoziationen: „Licht der Welt“, funkt es kurz in meinem Hinterkopf. Dann bin ich schon wieder im dunkleren Korridor auf dem Weg zu meinem Büro. Doch ganz kurz habe ich gespürt: Was wirklich wichtig ist, wirft Licht auf mein Tun und Lassen, überstrahlt meinen Alltag.
Die Diakonie ist eine Arbeitgeberin mit einem biblischen Fundament. Wir sind evangelisch.
Wir sind auch immer noch gewohnt davon auszugehen, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest einer der Kirchen angehören, die der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) verbunden sind. Wenn ich „Wir“ schreibe, ist das eigentlich ungenau. Genauer müsste ich wohl sagen: „Wir verantwortliche Theologinnen und Theologen und leitende Juristen in Kirche und Diakonie gehen oft noch davon aus…“. Dabei ist offensichtlich, dass „wir“ uns angesichts des demografischen Wandels, zurückgehender Mitgliederzahlen und einer bunter werdenden Gesellschaft von manchem, was uns vertraut und gewohnt war, verabschieden müssen. Unseren Auftrag neu denken lernen. In solchen notwendigen Veränderungen liegen auch Chancen. In diesem Sommer noch soll eine kirchenrechtliche Veränderung der sogenannten Loyalitätsrichtlinie auf den Weg gebracht werden, die eine weitere Öffnung der Diakonie auch für Nichtchristen ermöglichen wird. Ich begrüße das sehr.
Es ist dringend und wichtig, dass wir uns intensiv und unserer Wurzeln bewusst mit der Frage auseinandersetzen, wie wir als kirchliche Einrichtung unsere sozialen Aufgaben in einer multireligiösen und säkularen Gesellschaft wahrnehmen wollen. Und es ist wichtig, dass Kirche und Diakonie ihre Wege unter sich verändernden Bedingungen gemeinsam gestalten.
Viele Träger und Unternehmen in der Diakonie haben bereits heute Schwierigkeiten, Stellen – zum Beispiel in der Altenhilfe – zügig wieder zu besetzen. Neue Fachkräfte in der Pflege oder in der sozialen Arbeit sind nur noch schwierig zu finden. Evangelische Fachkräfte haben in manchen Regionen Deutschlands geradezu Seltenheitswert. Selbst in Bayern dauert es rund 120 Tage bis eine offene Stelle besetzt werden kann. Auch finde ich gute diakonisch-theologische und fachliche Gründe, warum ein evangelischer Kindergarten eine muslimische Kindergärtnerin beschäftigen sollte, etwa in Duisburg, wo 60 Prozent der Kinder aus nichtchristlichen Elternhäusern kommen. Abgrenzung ist in einer Einwanderungsgesellschaft, in der im vergangenen Jahr rund eine Million Zufluchtsuchende angekommen sind, keine verheißungsvolle Strategie.
In einer bunter und säkularer werdenden Gesellschaft geht es allerdings um Unterscheidbarkeit. Wo bleibt das Evangelische? Es bleibt ein Erkennungsmerkmal unserer Unternehmenskultur: Dass der Dienst am Nächsten Gottesdienst ist, war jesuanische Praxis. Vielleicht dürfen wir Christen glauben, dass auch eine Esoterikerin oder ein Moslem, sofern sie sich liebevoll und professionell Kranken, Alten, Ratsuchenden oder Kindern zuwenden, dem Gott Jesu Christi die Ehre geben. In jedem Fall tragen die Fach- und Führungskräfte in allen Handlungsfeldern von Kirche und Diakonie eine besondere Verantwortung, dass die religiöse Deutung und Verwurzelung der Sozialarbeit der Kirchen einen zentralen Platz hat. Ob Vorstand oder Personaler, ob Kindergartenleitung oder Geschäftsführer eines Krankenhauses, ob Pflegedienst oder Referatsleiter einer Fachabteilung. Wir können und müssen, die evangelische Dimension unseres Tun und Lassens benennen und erklären können. Wir wollen unseren Glauben leben.
Übrigens: In unserem Berliner Bürohaus gibt es nicht nur viel Licht im 6. Stock, das allen zu Gute kommt, sondern auch eine Kapelle im Erdgeschoss. Sie steht immer offen. Für mich ist sie das stille Herz, das Kraftwerk des Gebäudes. Jeden Mittwochmorgen gestalten Mitarbeitende einen Gottesdienst. Und auch wenn sie leer ist, steht sie offen. Die Kapelle strahlt aus in unsere Arbeit. Allein ihre Existenz unterscheidet dieses Bürohaus von anderen schönen und lichten Bürogebäuden in Berlin.