Im Haus der Kirche in Düsseldorf, wo ich als Superintendent früher mein Büro hatte, waren die Räume der ökumenischen Telefonseelsorge nur zwei Treppen tiefer. Ein Knotenpunkt des Trostes und der Anteilnahme mitten in der Großstadt. Mehr als einhundert solcher Knotenpunkte gibt es in Deutschland! Sie spannen gemeinsam ein unsichtbares und doch tragfähiges Netz der Hilfe durch unser Land. Die Telekom stellt dafür seit 1997 unentgeltlich die technische Infrastruktur zur Verfügung: Aus allen Netzen kann die Telefonseelsorge kostenlos erreicht werden.
Oft, wenn ich mich nach einem langen Arbeitstag auf den Heimweg machte, begegnete ich im Treppenhaus oder in der Tiefgarage den Ehrenamtlichen, die bald ihre Nachtschicht beginnen würden. Wir grüßten uns beiläufig, vielleicht wechselten wir auch ein paar Worte, aber habe ich ihnen je gesagt, wie sehr mich ihr verlässliches Engagement beeindruckt? Jeder dieser Männer und jede dieser Frauen ist für mich ein unsichtbarer Held, eine unsichtbare Heldin. Sie retten – oft unbemerkt und ohne es zu wissen – Seelen, manchmal Leben, jeden Tag. Sie verschenken unentgeltlich ihre Ohren, ihre Zeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung, ihre Lebenserfahrung und ihre Professionalität an fremde Menschen in Krisensituationen, die nur noch eine Telefonnummer haben. Erst ihre Arbeit schafft diesen anonymen, geschützten Raum für Einsame, Verzweifelte und Lebensmüde. Die Telefonseelsorge, die rund um die Uhr erreichbar ist, gäbe es nicht ohne dieses unbezahlbare Engagement.
Dieser wunderbare geschützte und jeder und jedem offenstehende Raum lässt sich auch in Zahlen vermessen: Etwa 7.500 ehrenamtliche und 200 hauptamtliche Männer und Frauen führen jährlich rund 2 Millionen Seelsorge- und Beratungsgespräche in unserem Land. Dazu kommen noch Chats und E-Mail-Wechsel. Wohlgemerkt: allein in Deutschland. Seit 2013 gibt es in Berlin auch das Muslimische Seelsorge Telefon, das eng mit der hiesigen Telefonseelsorge kooperiert. Und das Netz der Hilfe spannt sich weiter – durch Europa, auch durch Israel, Ecuador und Singapur und wird hoffentlich bald weitere Nachahmer in anderen Ländern finden. 25.000 Freiwillige knüpfen derzeit an ihm mit. Sie führen pro Jahr rund 5 Millionen Telefonate, pflegen mehr als 50.000 Chatkontakte und beantworten knapp 65.000 E-Mail-Anfragen. Tendenz steigend.
Die Telefonseelsorge in Deutschland feiert in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag. Eine Jubiläumstorte ist mit den Zutaten Menschenfreundlichkeit und Hoffnung zu backen! Herzlichen Glück- und Segenswunsch!
Ich freue mich sehr darauf, aus diesem Anlass am Samstag im Hohen Dom zu Aachen, wo seit Dienstag schon der XX. Internationale Telefonseelsorgekongress mit Gästen aus über 30 Ländern tagt, in einem Festgottesdienst zu predigen. Es ist mein letzter Termin vor dem Sommerurlaub, ein Höhepunkt.
Ich habe das Bedürfnis, mich bei all jenen zu bedanken, die dieses Jubiläum in den zurückliegenden Jahrzehnten ermöglicht haben – durch ihr Engagement, durch ihre Spenden, durch ihr Gebet. Und noch etwas ist mir wichtig: Telefonseelsorge erschöpft sich nicht in Krisenintervention. Telefonseelsorge ist immer auch Gottesdienst – auch dann, wenn explizit gar nicht über Gott oder Glauben gesprochen wird. Das hat mit unserem Gott zu tun. Der Schweizer Dichterpfarrer Kurt Marti hat es in seiner Essaysammlung „O Gott“(1986) großartig skizziert: Das Wort Gott „bedeutet eine gespannte Aufmerksamkeit für uns und Hörbereitschaft von höchster Intensität, von zärtlichster Genauigkeit … Gottes Hören meint eine unermessliche Hörfähigkeit, die sich dem anderen öffnet und auch vor dem Leiden nicht zurückschreckt…“.
0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 – diese segensreichen Nummern setzen uns auf seine Spur.