Laudatio auf das Siegerprojekt des Sozialpreises Innovatio: „Wendepunkte im Leben – wir sind für sie da“

Wie schön eine Rede mit einem Glückwunsch beginnen zu können! Wir haben einen neuen würdigen Hauptpreisträger 2015: das Projekt „Wendepunkte im Leben – wir sind für Sie da“ des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara Halle/Saale. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!

Der Sozialpreis Innovatio zeichnet Projekte aus, die aktuelle oder auch absehbare Probleme und soziale Themen aufgreifen und in innovatives praktisches Handeln umsetzen. Wenn wir uns die Hauptpreisträger 2011 und 2013 ins Gedächtnis rufen, haben die Jurys damals ein geradezu seismographisches Gespür für die kommenden Handlungsnotwendigkeiten unsere Zeit bewiesen. Sie erinnern sich vielleicht:

2011 ging der Preis an ein Projekt der Caritas-Flüchtlingsarbeit zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Migrantinnen und Migranten. Und 2013 wurden „Neue Wege einer Willkommenskultur“ unter dem Dach der Diakonie ausgezeichnet. Angesichts der Flüchtlingskrise heute kann man diese Entscheidung beinahe visionär nennen.

Allen Trägern des Sozialpreises seit 1998 ist gemeinsam, dass sie auf soziale Herausforderungen aufmerksam machen und weiterführende Impulse in der sozialen Arbeit setzen. Das heißt, sie finden Nachahmer auch bei anderen Trägern. Bei den Hauptpreisträgern „AG Migrantenmedizin“ und „Herzlich Willkommen im Herzogtum Lauenburg“ war dies in beeindruckender Weise der Fall.

Ich bin mir sicher, dass dies auch für den diesjährigen Hauptpreisträger gelten wird.

Wendepunkte im Leben kennt jede und jeder von uns.
Zeiten, die mit Sorge und Angst oder Trauer, aber oft auch mit Freude und Hoffnung verbunden sind. Selbst wenn für viele Menschen oftmals die kritischen Wendepunkte stärker in Erinnerung bleiben. Das mag damit zu tun haben, dass sich Menschen in einer stark individualisierten Gesellschaft oft allein und unbegleitet fühlen, dass es wenig eingeübte Rituale gibt, um solche Wenden zu gestalten. Und genau an dieser Stelle setzt das in diesem Jahr ausgezeichnete Projekt an. Es beweist Sensibilität für den besonderen Charakter einer Schwellensituation, die solche Wendepunkte markieren, und bietet Begleitung an.

Gerade Krankenhäuser sind Orte, an denen die Ambivalenz von Lebenswenden überdeutlich zum Ausdruck kommt. Im Krankenhaus müssen Menschen mit Diagnosen umgehen lernen, die Lebensentwürfe in Frage stellen. Menschen sterben. Andere erleben auf wunderbare Weise Heilung. Lebenswege kommen an ihr Ende, andere beginnen ganz neu: Kinder werden geboren, glückliche Gänsehautmomente, Jubel stehen neben Schmerz, Verzweiflung und Angst. Wendepunkte sind immer Abbruch und Aufbruch, Krise und Chance zugleich.

Das Siegerprojekt des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara Halle/Saale nimmt diese Ambivalenz behutsam auf und begleitet Menschen an vier ausgewählten Wendepunkten des Lebens im Krankenhausalltag:

1. „Segensfeiern bei Neugeborenen“
Seit 2013 wird diese Segnung angeboten. Allein 2014 haben 80 Eltern (ausschließlich nicht religiös gebunden) dieses Angebot angenommen.

2. „Frühe Hilfen“ für Eltern und Kind
Durch ein spezielles Screeningverfahren werden soziale Problemsituationen in der Familie bereits bei der Geburtsanmeldung erfasst und den Eltern entsprechende Hilfen über die Entbindung hinaus angeboten. Alles im Interesse des Kindeswohls. Eigens dafür wurde im Krankenhaus eine Psychologin eingestellt. Mit ihrer Hilfe konnten 2014 160 Hochrisikofamilien und ca. 400 Risikofamilien ihnen entsprechende Hilfen vermittelt werden.

3. Die „Feier der Lebenswende – die Alternative“
Für Jugendliche, die den Übergang von der Kindheit in die Jugend begehen möchten, aber keiner Kirche angehören und in der üblichen Feier der Jugendweihe keine Alternative sehen, bietet das Projekt gemeinsam mit der Offenen Kirche St. Moritz, die Feier der Lebenswende an. Über fünf Monate nehmen die Interessierten an inhaltlichen Vorbereitungstreffen zu Fragen des Lebens teil. Diese Feier erfreut sich zunehmender Beliebtheit: 2015 nahmen fast 500 Jugendliche das Angebot an.

4. Das „Trauer Zentrum Halle
Gemeinsam mit dem am Krankenhaus angesiedelten Hospiz bietet das Trauerzentrum die Begleitung Trauernder, Einzeln und in Gruppen an. Bereits seit 1999 werden alle vor der Geburt verstorbenen Kinder auf einem eigenen Begräbnisfeld bestattet – ein Angebot, was für die betroffenen Eltern und deren Trauer von großer Wichtigkeit ist. Hinzu kommen Gedenkfeiern für die Verstorbenen und eine besonderes Gedenken für verstorbene Kinder. All diese Angebote richten sich insbesondere an Menschen, die keiner Kirche angehören. Zusätzlich wurden Gedenkorte eingerichtet: in der Moritzkirche findet sich ein Totenbuch, in das die Namen und Daten des Verstorbenen eingetragen werden können. In der Krankenhauskapelle entsteht ein sogenanntes „Klötzchenkreuz“ für verstorbene Kinder – Angehörige können ein Holzklötzchen im Gedenken individuell gestalten.

Bestechend an Ihrem Konzept ist Ihre menschenfreundliche und offene Grundhaltung: „Unser Angebot hat zwar keine missionarische Intension, dennoch aber eine missionarische Dimension“ sagen die Verantwortlichen. Sie holen die betroffenen Menschen ihrem Alltag ab, lassen sich auf ihre Lebenssituation ein, ohne das eigene Profil und den christlichen Anspruch aufzugeben. In der Region um Halle gehören nur noch etwa 3 Prozent der katholischen Kirche und rund 12 Prozent sind evangelische Christen. Alle Angebote tragen dem Rechnung und richten sich speziell an jene, die keiner Kirche angehören. In diesem Sinne sind auch die Kooperationen des Projektes mit anderen Organisationen geprägt -es wird Ökumene täglich praktiziert.

Ich will in meiner Laudatio nur auf einige wenige der 18 Aspekte eingehen, anhand derer die beiden Jurys die eingereichten Projekte analysiert haben, und in denen sich „Wendepunkte im Leben“ hervorgetan hat.

Besonders überzeugt hat die Jurys die beeindruckend breite Adressatengruppe und Offenheit des Projektes. Nahezu alle Altersgruppen werden erfasst. Viele Lebensbereiche kommen vor. Das gilt für alle Angebote:

  • die Segensfeier bei Neugeborenen
  • die Angebote der frühen Hilfe
  • die Feier der Lebenswende 14- und 15jähriger
  • dem Trauerzentrum
  • und der Bestattung vor der Geburt verstorbener Kinder.

Überzeugend war auch, dass auf die Bedürfnisse der Menschen eingegangen wird, die sonst wenig gesehen werden: Dazu gehört der Wunsch von Eltern, auch Kinder, die schon vor der Geburt verstorben sind, bestatten zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sie sehen, die beiden Jurys des Sozialpreises haben gut beraten, das Projekt „Wendepunkte im Leben – wir sind für Sie da“ zum Hauptpreisträger zu küren. Ich will jedoch nicht schließen, ohne den meiner Meinung nach wichtigsten Kernsatz aus der Begründung des Hauptpreises der Jury zu zitieren. Er lautet: „Es ist wichtig, dass Kirche neue Zugänge zur säkularisierten Gesellschaft findet, ohne die Menschen zu überfordern und ‚zu zwingen‘“.

Das ist eine zwingende Begründung! Und dies ist dem Projekt in ausgezeichneter Weise gelungen.

Und ich danke ebenfalls den Organisatoren des Sozialpreises sowie den Mitwirkenden in den Jurys für die überzeugende Auswahl.

Ich bin sicher, dass – wie bei den Hauptpreisträgern 2011 und 2013 – viele weitere Krankenhäuser diese Ideen von Ihnen aufgreifen oder auch weiterentwickeln werden. Nachahmung ist an dieser Stelle nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.

Ich wünsche den Projektverantwortlichen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch in Zukunft viel Erfolg. Machen Sie weiter damit, auf innovative Weise, dem Bedürfnis nach Begleitung zu begegnen.

Ihrer aller Arbeit – sei sie haupt- oder ehrenamtlich – ist von unschätzbarem Wert. Ich möchte Ihnen dafür herzlich danken!

Herzlichen Glückwunsch!

Laudatio zur Preisverleihung des Innovatio-Sozialpreises 2015