Heute ist der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. In diesem Jahr ist er den Menschen mit psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung gewidmet, die in der Zeit des Nationalsozialismus zwangssterilisiert oder ermordet wurden. Für die Diakonie ist das ein besonders schmerzhafter Teil unserer Geschichte.
Denn auch in diakonischen Einrichtungen waren Menschen Opfer – Männer, Frauen und Kinder. Und nur an wenigen Orten regte sich wirklicher Widerstand gegen die Morde und Zwangssterilisationen.
Ich halte es für unverzichtbar, dass wir uns jedes Jahr erneut am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, an die Menschen erinnern, die von 1933 bis 1945 zu Opfern gemacht wurden. Ich denke auch, dass das Holocaust-Mahnmal im Herzen Berlins am richtigen Ort ist. Es ist von urbanem Leben, von Lebendigkeit umflutet, es spielen sogar Kinder zwischen den Stelen, Touristen suchen nach den interessantesten Fotoperspektiven. Mitunter kann ich das kaum mit ansehen, unerträglich leicht kommen mir so viele Besucher vor. Aber auch das ist wohl richtig so. Denn das Leben ist weitergegangen. Erstaunlicherweise. Sogar mit Heiterkeit und Glück. Aber ich verlasse mich doch auf die Stelen und ihre Monumentalität im Herzen Berlins, das seit diesen Gräueltaten für immer anders schlägt. Die Stelen fordern mitten im Spiel zum Innehalten auf. Auch wer gar nichts weiß – und diese Menschen gibt es immer häufiger – wird irgendwann fragen: Was ist das für ein steinernes Stelen-Meer? Warum steht es hier, mitten in der Stadt?
300.000 Menschen sind den Mordaktionen der Nationalsozialisten an Kranken und Behinderten zum Opfer gefallen. Ausgelöscht. Eine unvorstellbare Zahl. Sie entspricht in etwa der Einwohnerzahl Mannheims heute. Dazu kommen 350.000 bis 400.000 Männer und Frauen, die zwangssterilisiert wurden. So begann die systematische Ermordung von Menschen im nationalsozialistischen Deutschland. Auch die ermordeten psychisch und physisch Kranken haben ein Denkmal in Berlin. Das T4 – Mahnmal steht an der Tiergartenstraße 4, der Adresse, von der aus diese monströsen Untaten geplant und anschließend unter Mitwirkung von vielen Mitarbeitenden auch der Diakonie „durchgeführt“ wurden, wie es im Amtsdeutsch hieß. Ich werde die erschütternde Geschichte einer über 90-jährigen Ärztin bei einem Ökumenischen Gedenkgottesdienst am T4 Mahnmal nicht vergessen, die als kleines Mädchen ihre psychisch kranke Mutter durch Euthanasiemord verlor. Auch die gläserne kalte Wand vor der Philharmonie warnt und mahnt, menschenverachtendes, diskriminierende Handeln und Reden nicht zu tolerieren, aufzustehen und Haltung zu zeigen.
Heute leben nur noch wenige Zeitzeugen. Eine von ihnen ist Dorothea Buck, eine beindruckende und faszinierende Bildhauerin. Sie wird im Frühjahr 2017 100 Jahre alt. Dorothea Buck wurde in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in den damaligen Betheler Anstalten zwangssterilisiert und entging einige Jahre später nur knapp der als „Euthanasie“ bezeichneten Ermordung. Angesichts des erfahren Unrechts, der existentiellen Verletzung und der unmenschlichen Behandlung hat sich Dorothea Buck in ihrem langen Leben für die Überwindung des Schweigens und eine sprechende, humane Psychiatrie eingesetzt. Es gibt einen Film über Sie, den ich Ihnen hier ans Herz legen möchte. Gegen das Vergessen.