Missbrauch in der Diakonie

Missbrauch und sexualisierte Gewalt kommen leider überall vor, wo Menschen leben und arbeiten – auch in kirchlichen und diakonischen Diensten und Einrichtungen. In dieser Woche haben wir auf der EKD-Synode über dieses erschütternde Thema ausführlich beraten. Die Synode hat 1,3 Millionen Euro für ein Maßnahmenpaket im Haushalt eingestellt. In der Diakonie werden wir eine eigenständige, unabhängige Aufarbeitung brauchen – quer über alle unsere Handlungsfelder hinweg.

Bischöfin Kirsten Fehrs berichtet vor der EKD-Synode über sexualisierte Gewalt in Einrichtungen der evangelischen Kirche. © Norbert Neetz/epd-Bild

Mit den Mitteln im EKD-Haushalt soll eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene eingerichtet werden. Außerdem werden zwei Studien finanziert: Eine zur Aufklärung des sogenannten Dunkelfeldes – denn niemand bezweifelt, dass es mehr als die 497 bislang gemeldeten Fälle gegeben hat.

Die andere Studie soll sich mit den für evangelische Kirchen typischen Risikofaktoren, dem „evangelischen Muster“ befassen, das bei aller Individualität der Fälle erkennbar wird. Diese Muster, die den Tätern zuspielen und die Opfer zum Schweigen bringen, gilt es zu erkennen und zu verändern.

Evangelische Muster

Bischöfin Kirsten Fehrs hat in ihrem erschütternden und eindringlichen Vortrag vor der Synode erste Faktoren benannt: unklare Zuständigkeiten und Machtstrukturen, eine falsch verstandene Reformpädagogik in den Siebzigerjahren oder eine zu unscharfe Trennung von dienstlichen und privaten Verhältnissen.

Viele der bislang bekannt gewordenen Fälle ereigneten sich bereits zwischen 1950 und 1970, zwei Drittel von ihnen in Heimen der Diakonie. Das sind schlimme Zahlen. Und wir müssen davon ausgehen, dass es auch nach 1970 in unseren Einrichtungen lebens- und seelenzerstörende sexualisierte Gewalt gegeben hat.

Dem wollen und müssen wir permanent mit großer Konsequenz nachgehen. Dass zahlreiche Fälle beim Runden Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ sowie innerhalb der Einrichtungen bereits aufgearbeitet wurden, berechtigt uns nicht zu Selbstzufriedenheit.

Kultur der Achtsamkeit

Wichtig bleibt, dass wir weiterhin selbstkritisch Strukturen aufspüren und beseitigen, die einen solchen Machtmissbrauch begünstigen, und flächendeckend Maßnahmen zum Schutz und zur Prävention einführen. Wichtig ist aber auch, dass wir eine angemessen Balance finden zwischen der Anhörung und den Rechten der Opfer, einer Kultur der Achtsamkeit und dem Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wir brauchen fachliche und organisatorische Standards, Supervision und unabhängige Ansprechpartner für Betroffene. Seit 2016 gibt es deswegen eine entsprechende Vereinbarung mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM).

Das in diesem Jahr von uns vorgelegte Bundesrahmenhandbuch dient den Einrichtungen als Leitfaden für die Entwicklung und zur Implementierung von Schutzkonzepten. Flankiert wird es von Fachtagen und Fortbildungen zur Qualifizierung aller Mitarbeitenden. Im kommenden Jahr soll dann das Diakoniesiegel Schutzkonzepte auf den Weg gebracht werden.

Tatort Diakonie

Der Tatort diakonische Einrichtung, Beratungsstelle oder Wohngruppe unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht vom Tatort Gemeinde. Gemeinsam ist uns aber, dass wir Kirche Jesu Christi sind und uns – wie Bischöfin Kirsten Fehrs es formuliert hat – für den Schutz der besonders Schutzbedürftigen stark machen: „…wir stehen für gesellschaftliche Achtsamkeit gegenüber den Kindern, den Sensiblen, Geschwächten, den Ungeliebten, Unsicheren, Gebeutelten, den Erkrankten, Geflüchteten und Ohnmächtigen, …wir … müssen (alles tun), um diesen Schutz zu gewährleisten. Noch und noch. In aller Deutlichkeit: Eine Kirche, die solcher Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr!“

Schutzkonzept des Evangeliums

Bischöfin Fehrs hat Recht, wenn sie darauf aufmerksam macht, dass es nicht nur um Präventionskonzepte und Handlungsleitfäden geht. Es geht in unserem Umgang mit sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie auch um unser Grundverständnis als Christinnen und Christen. Fehrs nennt das „ernst machen mit dem Schutzkonzept des Evangeliums: auch durch den Schmerz hindurch das Leben zu stärken.“