Der Spiegel titelt in dieser Woche „Abschiebung – ein deutsches Desaster“. Wir lesen und hören derzeit viel über gescheiterte Rückführungen, über fehlende Reisedokumente und sind versucht, den Kopf zu schütteln. Aber wie so oft ist die Wirklichkeit vielschichtiger, als es in Schlagzeilen abzubilden ist.
Pascal aus Kamerun arbeitet in einer ambulanten Pflege-WG in Berlin-Kreuzberg. Er hat 2016 einen Pflegebasis-Kurs für Geflüchtete abgeschlossen. Trotzdem bekommt er keine Arbeitserlaubnis und kann zurzeit nur als Praktikant beschäftigt werden – dem diakonischen Träger der Pflege-WG drohen sonst hohe Strafen. Anfang April wird Pascal eine Ausbildung zum Altenpfleger beginnen. Während er in Ausbildung ist, ist er von Abschiebung geschützt. Und danach?
Rrezarta aus dem Kosovo hat einen ähnlichen Weg hinter sich wie Pascal. Während ihres Deutschkurses und ihrer Pflegehelfer-Ausbildung stand immer die Angst im Hintergrund: Wie geht es nach dem Abschluss weiter? Darf ich in Deutschland bleiben? Droht die Abschiebung? Bis zum Sommer 2019 läuft ihre Ausbildung zur Altenpflegerin. Und danach?
Wir sehnen uns nach übersichtlichen Verhältnissen in einer komplizierter werdenden Welt. Wir lesen Schlagzeilen über straffällig gewordene Geflüchtete, die nicht abgeschoben werden können, weil sich das Herkunftsland weigert, sie zurückzunehmen. Oder von Terrorverdächtigen, die sich anscheinend frei in Deutschland bewegen können, und doch nicht aufgegriffen werden können. Lesen wir auch genug über Pascal und Rrezarta?
Die Welt teilt sich zunehmend in die Menschen, die eine „harte Hand“ fordern, die sich wünschen, dass der Staat für Ordnung sorgt, durchgreift, das Heft des Handelns in der Hand behält. Und auf der anderen Seite stehen die Menschen, die sich für eine Willkommenskultur engagieren, christliche Nächstenliebe nicht nur propagieren, sondern mit Leben füllen und das Wort Abschiebung mit dem Auseinanderreißen von Familien und nächtlichen Hauruck-Aktionen verbinden. Wer hat nun Recht?
In dieser Woche vertrete ich die Diakonie Deutschland bei einer deutsch-französischen Konferenz zum Thema Asyl und Migration in Paris. Engagierte aus der Kommunalpolitik, aus Forschung und Wissenschaft, von Verbänden und Organisationen beraten zwei Tage lang darüber, wie die Prinzipien der Menschenwürde, des Rechtsstaates, und die allgemeinen Menschenrechte bei diesem Zukunftsthema in Einklang gebracht werden können.
Besonders weiterführend finde ich dabei den Fokus auf die kommunale Ebene. Denn während sich die europäischen Regierungen bislang nicht auf einen gemeinsamen Ansatz verständigen können, haben viele zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wie auch über 40 Städte in Deutschland längst erkannt, dass und wie die Integration von Geflüchteten gelingen kann – unter den zivilgesellschaftlichen Konstruktiven befinden sich zum Beispiel diakonische Einrichtungen, die Geflüchteten wie Pascal oder Rrezarta Ausbildungsmöglichkeiten in der Kranken- oder Altenpflege anbieten.
Ich glaube, es lohnt sich, beim Thema Migration und Integration noch viel stärker auf die kommunale Ebene zu schauen. Es gilt immer noch, was der verstorbene Altbundespräsident Johannes Rau gesagt hat: ‚Die Kommune ist der Ernstfall der Demokratie‘. Wo Teilhabechancen schwinden, kapseln Menschen sich ab, fühlen sich ungehört und abgehängt. Sie ziehen sich dann auch aus der Demokratie zurück. Wo Menschen hingegen das Gefühl haben, etwas bewegen und bewirken zu können, entstehen Lösungen. Vor Ort, in der Kommune organisieren die Menschen ihr unmittelbares Zusammenleben, im Regelfall ruhig und konstruktiv. Mit Menschen mit Migrationshintergrund genauso wie mit jungen Familien oder jungen Alten und Pflegebedürftigen.
Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger vor Ort begegnen und ein gemeinsames Wir-Gefühl herausbilden können, Mitverantwortung übernehmen als Bewohner eben ihres Dorfes oder ihres Kiezes. Gemeinwesenorientierung leitet darum vielerorts das Handeln und die Moderation solcher Prozesse der Diakonie vor Ort, unter der Überschrift `Kirche und Diakonie mit anderen` entwickeln wir neue Kooperationsformen mit Partnern vor Ort.