Netzwerk Diakonie

Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und natürlich Berlin. Das waren die Stationen in den vergangenen Tagen. Es ist eines der Privilegien in meinem Amt, dass ich reisen kann und dabei auch die vielen Knotenpunkte, Träger und MitspielerInnen im „Netzwerk Diakonie“ in Deutschland immer besser kennen und schätzen lerne. Die Potenziale, die in unserer deutschlandweit verzweigten, vielfältigen Verbandsstruktur stecken, sind immens. Und sie sind noch lange nicht erschöpft.

Drei Männer diskutieren vor Publikum
Zuhören: Diakonie und „Leipzig liest“ bringt Ulrich Lilie ins kontroverse Gespräch mit dem Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz (rechts). Moderation: Martin Machowecz (Die Zeit). © Diakonie Leipzig/Matthias Möller

Gestern auf dem 10. Sozialkongress der Diakoniestiftung Weimar-Bad Lobenstein in der Stadthalle Bad Blankenburg. Ein unbedingt nachahmenswerter Ansatz:

Einmal im Jahr lädt die Diakoniestiftung Gäste aus der Kommunal- und Landespolitik ein. Dazu freie Träger, Wirtschaftsunternehmen, Verbände, Versicherungen und Verwaltungen sowie VertreterInnen von Kirchen, Medien und der Wissenschaft. Das Ziel:gemeinsam über das Land betreffende Problemlagen nachzudenken. Und die Menschen kommen.

In diesem Jahr ging es unter der Überschrift „Mehrwert für Thüringen: Gemeinsam auf dem Weg“ um Vernetzung und Kooperation – etwa bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes.

Paradigma Kooperation

Solche Formate der Vernetzung, des organisierten Austauschs dürfen Schule machen – und zwar auch im Alltag unserer diakonischen Arbeit. Nicht nur zu Kongressen oder festlichen Anlässen, wie am Montag in Kiel.

Dort habe ich beim Jahresempfang der Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie im Landtag gesprochen. Vernetzt zu denken und zu arbeiten ist eine Haltung, die eingeübt werden will.

In Kiel ging es um die Unerhört!-Kampagne. Genauer: ums Zuhören als die Grundkompetenz für jedes Kooperationsmodell in einer Gesellschaft der Vielfältigen. Denn allen neuen Mauerbauern zum Trotz bin ich überzeugt, dass ein friedliches und erfolgreiches 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Kooperation sein muss. Eine alte Kernbotschaft des jüdisch-christlichen Glaubens, und auch ein Aspekt meines Vortrags in Kiel.

Binnenlogiken überwinden

Die Herausforderungen unserer Zeit sind zu komplex, um sie in Binnenlogiken und vorgefassten Konzepten erfolgreich und teilhabegerecht gestalten zu können. Oder gar in einem selbstbezogenen „Weiter so“-Modus.

Unsere Gesellschaft steht vor Fragen, die keinen Wohlfahrtsverband, aber auch keine Landesregierung oder Kommune, ja, keinen Menschen kalt lassen können. Ihre Beantwortung  betrifft unser aller Leben:

Deutschland wird mit großer Geschwindigkeit ethnisch, kulturell und religiös vielfältiger, wird – trotz Migration – immer älter. Es wird sozial ungleicher und natürlich digitaler.

Komplexe Fragen

Wichtige Fragen sind: Was bedeutet Arbeit in Zukunft? Wie finanzieren wir den Sozialstaat? Wie tragen wir bereits heute dafür Sorge, dass Menschen, die zu den „Bildungsverlierern“ gehören, morgen nicht vollkommen den Anschluss verlieren?

Wie wollen wir alt werden? Wie gelingt es uns, allen Einwohnerinnen und Einwohnern eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen?

Das ist nur eine grobe Skizze der Herausforderungen, vor denen wir in Theorie und Praxis stehen. Um ihnen zu begegnen, müssen wir aus den Diktaten unserer Binnenlogiken herausfinden. Die machen taub und blind für neue Gedanken, sie hindern, ungewohnte Wege zu betreten.

Die Blindheit und Taubheit ist in der Regel selbstgemacht. Auch durch eine inzwischen aberwitzige Regulierungswut nicht nur in unseren Sozialgesetzbüchern, die Komplexität eben nicht reduziert, sondern nur zu potenzieren hilft. Auch hier braucht es dringend Reduzierung, Vereinfachung und die Schaffung von Freiraum für menschengerechte Lösungen vor Ort.

Subsidiarität beleben

Dazu braucht es dringend einen neuen kooperativen Geist in Deutschland und weniger vom Ungeist der Kleingeister und Kontrollfreaks. Subsidiarität haben das unsere Altvorderen genannt: Dieser Ermöglichungs- und Freiheits-Gedanke ist hochmodern und brandaktuell.

Die Diakonie (und die Kirchen) – auch davon bin ich überzeugt – haben in diesen Debatten eine Menge beizutragen. Auch und gerade wenn es praktisch wird und um die Umsetzung vor Ort in den sehr unterschiedlichen Städten und Dörfern geht.

Wer hat schon ein solches „Filialnetz“ in Deutschland wie Kirche und Diakonie?

„Unerhört!“ bringt ins Gespräch

Die Unerhört!-Kampagne und ihre Themen und Veranstaltungen, die nach über einem Jahr an vielen Orten im Land ankommt, dient auch dieser Grenzüberschreitung. Die violetten Plakate mit den steilen Slogans bringen ins Gespräch. Im Vorfeld der Europawahl plakatieren wir „Unerhört! Diese Nichtwähler.“

Die Unerhört!-Foren, die jede Einrichtung, jeder Träger, aber auch jede Gemeinde veranstalten kann, ermöglichen Begegnungen, üben ins Zuhören ein und in Konfrontationen – mit Respekt und Wertschätzung. Wenn es gut geht, folgen neue Kooperationen.

Diakonie und „Leipzig liest“

Im Rahmen von „Leipzig liest!“, dem Rahmenprogramm der Buchmesse, hat Diakonie Leipzig mich zu einer Lesung aus meinem „Unerhört!“-Buch und einer kontroversen Diskussion mit dem Hallenser Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz über den Zusammenhalt in der Gesellschaft eingeladen.

Es war der gelungene Versuch, diakonische Themen in einem anderen Kontext zu diskutieren. Die Buchmesse als Partnerin: Auch dieser Einladung sind viele Menschen gefolgt und haben mitdiskutiert.

Inspiration gewinnen

Bad Blankenburg, Kiel und Leipzig – die drei Stationen in den vergangenen Tagen inspirieren dazu, weiter nach Wegen aus den allzu gewohnten Bahnen des Denkens, der Vorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen, von denen sehr viel für sehr Viele abhängt, zu suchen.

Wie können wir besser lernen, zunächst fremd erscheinende Denkweisen zu verstehen, trotzdem gemeinsame Ziele zu identifizieren und den Mut finden ungewohnte Kooperationen einzugehen? Partner zu finden, wo wir sie nie gesucht hätten – in Kirche und Moschee, in Wohlfahrtsverband, Handwerkskammer, Kommunalverwaltung und NGO, vielleicht auch bei der politischen Gegnerin?

Denn es geht darum, die Welt, in der wir leben, zusammen als menschenfreundliche, lebenswerte Gesellschaft für uns und unsere Enkel zu erhalten und zu verbessern.

Es gemeinsam schaffen

Ich bin überzeugt: Das können wir nur gemeinsam schaffen.

Wenn beispielsweise die Wohnungswirtschaft beginnt, sich mit der Logik von Wohlfahrtsverbänden zu beschäftigen, wenn Quartiersplanung das Knowhow von Menschen mit Behinderung nutzt.
Oder wenn muslimische Mütter im Kindergarten die Weihnachtsfeier mit vorbereiten und Studenten mit ihren Konzepte von Mobilität im ländlichen Raum, im Rathaus landen können.

Alles tatsächliche Erfahrungen, die ich selbst gemacht habe, dann zeigt das etwas vom neuen Geist der Kooperation, den unser Land so dringend braucht.

Diakonie mit anderen

Wir haben uns als Diakonie auf den Weg gemacht. Wir wollen als Diakonie mit anderen Teil dieser neuen und ungewöhnlichen Netzwerke und Allianzen sein. Auch dazu ermutigt unsere aktuelle Unerhört!-Kampagne. Und da ist noch viel Luft nach oben.

Was für eine Wirksamkeit in unsere Gemeinwesen hinein werden wir erst entfalten können, wenn wir im Verband noch besser lernen unsere Potenziale gegenseitig zu stärken, noch erkennbarer miteinander arbeiten.

Wenn das Kronenkreuz und die Farben Violett und Cyan noch flächendeckender sichtbar werden und dazu beitragen, Diakonie als Marke den Menschen ins Bewusstsein zu rücken.

Corporate Design verbindet

Ich habe mich am Wochenende sehr darüber gefreut, wie überzeugend die Diakonie Leipzig das neue Corporate Design und die Illustrationen in ihren Veröffentlichungen umsetzt. Ob Jahresbericht oder das Teebeutel-Give-Away mit der violetten „Zuhören“-Banderole, das zu einem Gespräch beim Tee einlädt.

All das macht Diakonie sichtbar und erfahrbar, genauso wie die tägliche Zusammenarbeit mit neuen Partnerinnen und Partner vor Ort. Damit unsere Gesellschaft im Herzen Europas ein menschenfreundlicher Ort für alle bleibt.