Für mich gehören sie zu den ALLTAGSHELDINNEN unserer Gesellschaft: Die rund 6.500 Menschen, die ermöglichen, dass die bundesweit einheitlichen kostenlosen Rufnummern der ökumenischen TelefonSeelsorge rund um die Uhr zu erreichen sind. Aus allen Netzen. Tag für Tag. Seit 64 Jahren. Wir brauchen Menschen mit diesem Spirit. Dringend. Denn sie sind ansteckend. Ihre vorbehaltlose Bereitschaft zuzuhören und ihr Engagement strahlen aus in unser Gemeinwesen.
Manchmal retten diese Held*innen buchstäblich Leben, manchmal spenden sie Trost oder stellen Kontakt zu anderen Stellen der professionellen Hilfesysteme her; immer nehmen sie sich Zeit und hören zu. Und die allermeisten von ihnen tun das im Ehrenamt.
Gemeinsam für andere
Ich finde das vorbildlich. Gemeinsam sind wir stark für andere. Auch das ist TelefonSeelsorge. Im Mix aus Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, in Kooperation von katholischer und evangelischer Kirche mit der Telekom und dem Bundesfamilienministerium.
Erstere stellt seit 1997 die Infrastruktur unentgeltlich zur Verfügung, letztere investiert seit 2009 in die technische Ausstattung der Büros. Tag und Nacht am Telefon verwirklicht sich Menschenfreundlichkeit in unserem Land. Davon profitieren alle.
Wir wissen: Menschliche Nähe, Mitgefühl und Verstehen sind gerade in einer sich immer schneller wandelnden digitalen Welt für viele Hilfesuchenden ein wichtiger Anker. Ein kostbares Gut. Wie enorm bedeutend Zuhören und die persönliche Bindung sind, zeigt sich daran, dass die Mehrheit der Hilfesuchenden wiederholt anruft. Viele unter uns suchen einen Kontakt von Mensch zu Mensch. Den bietet die Telefonseelsorge. Zuhören ist immer ein Anfang.
Telefon, Mail, Chat
2019 nahm die TelefonSeelsorge über 1,2 Millionen Anrufe entgegen, beantwortete rund 35. 500 Mails und führte fast 23. 300 Chats. 14 Prozent der Kontaktsuchenden melden sich zwischen 0:00 und 6:00 Uhr, das sind mehr als 460 Personen – jede Nacht. Und hinter jeder Kontaktaufnahme verbirgt sich ein konkretes Schicksal: Ein ratloser Mensch in Not, der niemanden zum Reden hat, der sich schämt oder davor fürchtet, im nahen Umfeld um Hilfe zu bitten.
Manche brauchen nur 5 Minuten für ihr Anliegen, die meisten reden 16 bis 45 Minuten, es können auch mal anderthalb Stunden werden. Viele rufen wieder an, manche nehmen auch das Angebot zu einem direkten Gespräch wahr, das inzwischen häufig möglich ist. Auf diese Weise ist die TelefonSeelsorge oft ein Erstkontakt für Menschen, die nicht weiterwissen.
Echos der Einsamkeit
Die Geschichten sind so vielfältig wie das Leben – aber die Themen ähneln sich und in fast jeder Geschichte hallt wie ein Echo eine bedrückende Einsamkeit.
Oft rufen Menschen in schweren Krisen an. Sie erzählen stockend von Suizidfantasien, sprechen über Krankheit und Sucht, Armut und Stress im Job, über Ängste und Arbeitslosigkeit, über Gewalterfahrungen.
Manche machen lange Pausen, andere verhaspeln sich in der eigenen Hast, die einen sind resigniert, wieder andere schimpfen. Oft fließen Tränen. Und nie wissen die Zuhörenden, was geschieht, wenn der Hörer aufgelegt wird.
Zuhören gegen die Verzweiflung
Wer hier zuhört, trägt viel Verantwortung. Es braucht lebenserfahrene Menschen mit Einfühlungsvermögen, Empathie und auch Professionalität. Darum werden die Freiwilligen der TelefonSeelsorge sehr sorgfältig ausgebildet, haben regelmäßige Weiterbildungen und Supervision. Die meisten engagieren sich durchschnittlich 10 bis 19 Stunden im Monat.
Als ich noch in Düsseldorf gearbeitet habe, bin ich diesen lebenserfahrenen Männern und Frauen regelmäßig begegnet, wenn sie zu ihrem Telefondienst gingen, als meine Abendsitzung vorbei war. Die Räume der TelefonSeelsorge waren nur zwei Treppen tiefer. Damals wie heute habe ich großen Respekt vor ihrem unverzichtbaren ehrenamtlichen Engagement für mehr Dialog, aktives Zuhören und Verstehen.
Wir brauchen sie mehr denn je, die guten Zuhörerinnen und Zuhörer. Und zwar nicht nur in der TelefonSeelsorge. Das weiß jeder, der diesen Blog verfolgt.
Räume der Mitmenschlichkeit
Der rasche Wandel in unserer Gesellschaft, die Zunahme von psychosozialen Belastungen, die steigende Zahl diagnostizierter psychischer Erkrankungen, die Erosion des Zusammenhalts und die sich ausbreitende Einsamkeit: Wir sind alle angewiesen auf Räume der Mitmenschlichkeit und auf gute Zuhörerinnen und Zuhörer.
Selig sind die, die #zuhören.