Morgens auf dem S-Bahnhof leuchten derzeit wieder diakonieviolett die Plakate unserer UNERHÖRT-Kampagne. Die neuen Motive „Unerhört! Die da oben.“ und „Unerhört! Die da unten.“ begegnen mir in Berlin seit einigen Wochen mit schöner Regelmäßigkeit. Aber auch im Rest der Republik sind sie zu finden. Aus Köln haben uns schon erste Beweisfotos erreicht. Weitere bitte sehr gerne an unerhoert@diakonie.de.
Die Diakonie geht mit der Kampagne und dem Aufruf zum Zuhören bereits ins dritte Jahr. Und wir werden beides weitermachen: Zuhören und Kampagne. Wir wollen Diakonische Perspektiven in die gesellschaftlichen Debatten einbringen und die Menschen, die zu oft unerhört bleiben, zu Wort kommen lassen.
Aufruf zum Zuhören
Sei es online in unseren Audios oder „analog“ in neuen UNERHÖRT-Foren mit spannenden, kontroversen Podien. Ich bin sehr gespannt, welche „diakonievioletten“ Formate sich unsere Mitgliedsverbände, die diakonischen Werke, Träger und Einrichtungen landauf landab dazu werden einfallen lassen. Wir freuen uns über Predigtreihen, Diakoniewochen zu den in der Begleitgruppe der Kampagne entstandenen Ideen (herzlichen Dank dafür auch mal an dieser Stelle!) oder andere kreative Umsetzungen vor Ort.
Diese erkennbar gemeinsamen Formate haben für mich etwas von einer Preview auf eine zukünftige Rolle der Diakonie in Deutschland: Wir als Spezialist*innen des Zuhörens können dafür sorgen, dass Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Weltanschauungen zusammenkommen, um miteinander auf Augenhöhe Pläne für ihren gemeinsamen Lebensraum zu schmieden, den alle mitgestalten können. Wo das gelingt, kann auch gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen.
Dienen und dazwischen gehen
Wenn man den griechischen Ursprung des Wortes ernst nimmt, kann man Diakonie auf die Bedeutungen „dienen und dazwischen gehen“ zurückführen. Für mich eine zutreffende Standortbestimmung. Wir stehen weder oben, noch unten. Wir dienen im Dazwischen. Da ist unser Ort. Daran können wir uns und unsere Arbeit orientieren. Auf christlich nennt man diese Haltung Nächstenliebe. Die will nicht nur zwischenmenschlich gestalten, sondern auch strukturell:
Diakonie wirkt auf deutlich vielfältigere Weise als Brückenbauerin, als es vielen bewusst ist. Wir arbeiten nicht nur gemeinsam mit anderen daran, den Sozialstaat erfahrbar zu machen und bauen sehr konkret Brücken für und mit Menschen in Notlagen.
Unser Knowhow, unsere Art zu sehen und zu denken, ist auch für die Kommunalpolitik hilfreich, die einen inklusiven Stadtteil plant. Oder für eine Wohnungsbaugesellschaft, die in einem multikulturellen Kiez, ein Quartier schaffen will, in dem auch Alte, Kinder und Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen gut zuhause sein können, Alleinstehende Anschluss und Alleinerziehende Unterstützung finden.
Diakonische Kernkompetenz
Diakonie kann das: die unterschiedlichsten Menschen um einen Tisch versammeln und dabei helfen, die Vielfalt zu moderieren. Es ist eine diakonische Kernkompetenz, die unsere Gesellschaft braucht. Auch darauf will die Unerhört!-Kampagne aufmerksam machen.
Denn gemeinsam mit anderen Partnern in den Kommunen, auch den Kirchengemeinden, können wir noch weit mehr ausstrahlende Orte der Menschenfreundlichkeit schaffen, in denen „oben“ und „unten“, stark und schwach eben nicht mehr entscheidende Kategorien sind – wenigstens immer weniger. Wo besorgte Bürgerin und besorgter Flüchtling lernen können, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Wo unerhörte Obdachlose und unerhörte „Aliens“ sich begegnen und üben können, miteinander zu reden, um herauszufinden, ob es trotz aller Unterschiedlichkeit nicht doch gemeinsamen Ziele gibt.
Demokratie einüben
Ein lebenswerter Kiez kann so ein gemeinsames Ziel sein. Ein Heimatort, in dem die Vorteile von Vielfalt, Demokratie und Sozialstaat für alle erlebbar und mitgestaltbar sind. Das Einüben des demokratischen Zusammenlebens der Unterschiedlichen kann nicht „von oben“ verordnet werden. Er wird immer „unten“ beginnen. Dort, wo Menschen zuhause sind und lernen ihre Konflikte zum Nutzen aller auszutragen und Verantwortung für gemeinsame Lösungen übernehmen.
Konkret: In Kitas, Schulen und Bildungseinrichtungen, in Sportvereinen, Bibliotheken, Volkshochschulen und anderen Orten der Erwachsenenbildung. Und auch unsere Häuser und Einrichtungen können dazu beitragen: So kann gesellschaftlicher Zusammenhalt auch in einer sich rasant verwandelnden Bundesrepublik der immer unterschiedlicher werdenden Menschen wachsen.
Dabei steht Zuhören immer am Anfang. Niemand hätte es doch vor zwei Jahren für möglich gehalten, dass unsere Kampagne, so genau ins Zentrum der gesellschaftlichen Problemlagen treffen würde. Zuhören wird groß oder doch größer geschrieben, als noch vor zwei Jahren. Auch bei „denen da oben“:
Die da oben
Der Bundespräsident, Schirmherr der Stiftung Zuhören, stellt Bürgerdialoge ins Zentrum seiner Arbeit. Die Bundeskanzlerin wünscht sich beim Neujahrsempfang des Landes Mecklenburg-Vorpommern, dass 2020 ein Jahr des Zuhörens wird. Und der Bundesgesundheitsminister tourt gerade mit Bürgerforen zum Thema Pflege durch die Republik. Diakoniesozialvorstand Maria Loheide diskutiert mit und speist die diakonischen Perspektive in die Debatte ein.
So entsteht ein Klima, das wir im „Team Diakonie“ positiv verstärken wollen und können.
Ich bin sehr gespannt, wie unsere Kampagne mit ihren dunkelvioletten Impulsen weiterhin auf vielfältige Weise in die Gesellschaft und in unseren Verband hineinwirkt. Dienend und dazwischen gehend.