Gut, wenn die deutsche Corona-Warn-App in der kommenden Woche endlich an den Start geht. Ich wünsche ihr viele freiwillige Nutzerinnen und Nutzer. Denn gemeinsam können wir dazu beitragen, einen neuerlichen Lockdown zu verhindern und vulnerable Gruppen besser schützen.
Mehr Teilhabe und Normalität mit dem Virus – die App kann dabei ein wichtiges Instrument sein. Denn darum geht es ja bei dieser App: Dem Virus auf der Spur zu bleiben und Infektionsketten frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen.
Bisher geht dies nur mit mühsamen und lückenhaften Befragungen Infizierter durch die Gesundheitsämter. Mit Hilfe der App geht dies künftig hoffentlich einfacher und schneller. Die Beispiele aus anderen Ländern sind ermutigend.
Außerdem werden auch ganz zufällige Begegnungen nachvollziehbar, bei denen das Virus übertragen wird, zum Beispiel im Bus zur Arbeit oder im Supermarkt. Dies ist im Interesse aller und in ganz besonderer Weise im Interesse hoch vulnerabler Gruppen.
Vorsprung nutzen
Um eine zweite Welle – und einen zweiten Lockdown – zu verhindern, müssen Ansteckungsrisiken früher sichtbar werden. Bevor die Fallzahlen wieder in die Höhe schießen.
Die Corona-Warn-App und das beharrliche Einhalten der Hygiene- und Abstandsregeln zusammen mit mehr Tests können dazu beitragen, die Gesundheit von allen wirksamer zu schützen und Freiheitsrechte zu erhalten. Denn auf diesem Weg gelingt es uns hoffentlich, den Vorsprung vor Covid-19 zu halten, den wir uns mit teils drastischen Beschränkungen von Grundrechten während des ersten Shutdowns mit seinen großen Zumutungen „erarbeitet“ haben.
Digitale Tools helfen
Ich bin davon überzeugt: Die Bekämpfung von Corona wird mit digitalen Tools einfach schneller, präziser und effizienter gelingen als mit schriftlichen Anwesenheits- und Kontaktdatenlisten in Gottesdiensten und Restaurants. Oder der „Wir rufen im Infektionsfall beim Gesundheitsamt an“-Variante und dem mühsamen und oft lückenhaften Versuch uns zu erinnern, wen wir in den vergangenen 14 Tagen getroffen haben.
Niemand will doch noch einmal erleben, dass das gesellschaftliche Leben in allen Bereichen komplett heruntergefahren werden muss wie Anfang März. Niemand will nochmal einen derartigen Eingriff in die grundlegenden Freiheitsrechte. Wobei nicht vergessen werden darf, dass für viele unter uns diese Einschränkungen ja noch gar nicht vorbei sind:
Zeichen der Solidarität
Wer mit oder ohne Vorerkrankung zu einer Risikogruppe gehört, ist ja weiterhin darauf angewiesen, sich zu schützen. Auch wenn die Fallzahlen derzeit sinken. Wer in einer Einrichtung lebt, ob jung oder alt, muss zum Teil immer noch mit pauschalen Ausgangssperren oder Besuchseinschränkungen zurechtkommen, die dem Schutz dienen – aber eben einen hohen Preis haben.
Die Warn-App kann auch hier helfen – und viele individuelle und regional unterschiedliche Strategien gegen Corona ermöglichen. Die App kann uns allen das Leben mit Corona erleichtern. Jedenfalls, wenn sich genug Menschen dafür entscheiden können, sie auf ihr Smartphone zu laden. Als ein freiwilliges Zeichen der Solidarität. Ich werde einer der ersten von ihnen sein.
Gespensterdebatte
Mir fällt es im Kontext der Corona-App zunehmend schwer, die sehr deutsche Gespensterdebatte um die Datensicherheit ernst zu nehmen. Natürlich kämen die in China, Indien oder Südkorea eingesetzten Apps in unserer Demokratie aus Datenschutzgründen berechtigterweise nicht infrage.
Denn anders als die deutsche App erfassen sie persönliche Daten, überwachen den Aufenthaltsort und machen die Nutzerinnen und Nutzer der Apps für die Behörden und sogar für das Umfeld identifizierbar. Aber all das steht bei der deutschen Corona-App ja gar nicht mehr zur Debatte:
Die Daten werden nicht zentral gesammelt, die Anonymität der Nutzer bleibt gewährleistet, eine Erfassung von Bewegungsprofilen findet nicht statt. Zudem kann der Programm-Code der App öffentlich eingesehen werden.
Merkwürdiges Freiheitspathos
Warum also gerade die so transparent entwickelte Corona App die Datensicherheit gefährden soll, erschließt sich mir nicht wirklich. Ich finde es unverhältnismäßig , wenn die App-Kritiker*innen in ihrem „Wir lassen uns nicht zwingen, diese App zu nutzen“-Freiheitspathos in Kauf zu nehmen scheinen, dass die Gesellschaft sich erneut auf viel tiefergehende Eingriffe in die Freiheitsrechte einzustellen hat. Wenn erst die zweite Welle rollt. Ich finde das auch wenig solidarisch. Und noch einmal: Es wird niemand gezwungen, die App zu installieren.
Zur Ehrlichkeit gehört ja auch, dass die meisten von uns bekennende Schwarzfahrer beim Datenschutz sind. Margrethe Vestager, als Vizepräsident der EU-Kommission zuständig für die Digitalstrategie der Europäischen Union, hat zu Recht auf die Diskrepanz zwischen geltendem Recht und den (freiwilligen) Verstößen und Selbstgefährdungen der meisten User hingewiesen. Warum dann jetzt so viel Grundsätzlichkeit ausgerechnet in dieser Debatte?
Barrierefreiheit sichern
Was mich viel mehr beschäftigt, als die nicht enden wollende Scheindebatte um die angebliche Freiheitsproblematik, ist eine andere Frage: Wie können Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Menschen ohne deutsche Sprachkenntnisse die App möglichst barrierefrei nutzen?
Und: wie geht es weiter, wenn die App eine Person vor einer möglichen Corona-Infektion gewarnt hat? Denn dann stellen sich ja sofort viele Fragen: Wie sehen die nächsten praktische Schritte aus? Wird es barrierefreie Hotlines geben, so dass alle die Unterstützung finden, die sie benötigen?
Das sind die ethischen Fragen, die uns beschäftigen sollten, damit die Corona-App wirklich ein Erfolg werden kann.