Moria brennt. 13.000 Menschen sind nun ohne Obdach, viele am Rande ihrer Kräfte. Eine unvorstellbare – und doch so oft vorhergesagte Katastrophe. Mitten aus diesem Inferno hat mich der Brief einer jungen Frau erreicht. Sie beschreibt die Lage als insgesamt angespannt und chaotisch, aber nicht hoffnungslos, auch wenn es zwischendurch so scheine. Was sie erzählt, berührt mich sehr. Deshalb möchte ich diese Zeilen mit Ihnen teilen:
Sehr geehrter Herr Lilie,
mein Name ist Marina Ruf, 21 Jahre alt, bald Studentin für Soziale Arbeit in Düsseldorf. Ich wohne seit einiger Zeit in Solingen und bin momentan auf der Insel Lesbos, um hier ehrenamtlich im Flüchtlingslager Moria mitzuhelfen. Ende 2019 durfte ich schon einmal für sechs Wochen hier vor Ort mitarbeiten. Diese Zeit hat meine Sicht auf das Leben und die Menschheit als solche sehr geprägt.
Montag und Dienstag dieser Woche war ich noch im Camp, um zu helfen, wo es möglich war. Am Dienstagabend begann das erste große Feuer. Als ich abends davon hörte, erwartete ich nicht, dass das Camp bis zum nächsten Morgen fast vollständig verbrannt sein würde. Fast unvorstellbar, dass das Camp, so wie ich und viele andere es kannten, jetzt nicht mehr existiert.
Die Feuer der letzten Tage haben ihre Spuren hinterlassen. Fast 13.000 Flüchtlinge sitzen auf Straßen außerhalb des Camps fest. Familien mit vielen, teilweise auch sehr kleinen Kindern, schwangere Frauen, unbegleitete Minderjährige, allein stehende Männer, ältere Menschen – Menschen, die alles verloren haben. Obdachlos sind. Wieder einmal. Mit wenig Hoffnung weiterleben. Menschen, die verzweifelt wissen wollen, was jetzt mit ihnen geschieht. Menschen, die mich aus ausgehöhlten Augen anschauen und nach einem Schimmer Hoffnung suchen. Menschen, denen ich sagen muss, dass ich auch nicht mehr weiß, als sie selbst. Alles, was ich ihnen geben kann, ist Aufmerksamkeit. Zuhören? Ja, das kann ich.
Was tun mit so vielen obdachlosen, verzweifelten Menschen auf einem Fleck? Was tun, wenn wir zu wenig Material haben, um allen wenigstens das Nötigste zu geben?
Die Hilfsorganisationen und NGOs, die noch vor Ort sind, arbeiten eng zusammen, so dass zum Beispiel Essensausgaben möglich sind. Auch die griechische Regierung, die Polizei und das Militär helfen teilweise mit. Von größerer Hilfe kann hier allerdings leider nicht die Rede sein. Überforderung scheint bei allen Beteiligten präsent zu sein.
Die Bemühungen und Planungen, irgendwie zu helfen, ohne der griechischen Regierung entgegenzuwirken, erweisen sich – vor allem seit heute – als sehr schwer umsetzbar. Das liegt daran, dass radikale, wahrscheinlich lokale Gruppen versuchen, freiwillige Helfer einzuschüchtern und von der Arbeit abzuhalten. Sie gehen wohl davon aus, dass wir diese schwere Situation am Leben halten, weil wir helfen. Wir versuchen, weise mit der angespannten Situation auf der Insel umzugehen, aber Drohungen von radikalen Gruppen und ein fehlendes oder sehr zögerliches Eingreifen von Polizisten erschweren die so wichtige humanitäre Arbeit vor Ort sehr.
Wie umgehen mit der vernachlässigten griechischen Bevölkerung in den umliegenden Dörfern, die ihrer Wut Platz machen will? Wer kümmert sich um ihre Verluste?
Die Lage ist insgesamt angespannt und chaotisch, aber nicht hoffnungslos, auch wenn es zwischendurch so scheint.
Wenn es Ihnen irgendwie ein Anliegen ist, den Menschen vor Ort zu helfen und die Situation hier zu erleichtern, möchte ich Sie bitten, Ihr Bestes zu geben, Kontakte zu mobilisieren, diesen Bericht zu teilen, Hilfsgüter zu organisieren. Alles, was Ihnen einfällt. Jede Unterstützung wird benötigt und ist hilfreich.
Vor allem aber möchte ich Sie auch um Ihr Gebet bitten. Dieser Kampf, den wir und die Menschen hier kämpfen, ist nicht nur ein tatsächlicher Kampf, Besserung zu schaffen, sondern vor allem auch ein geistlicher Kampf. Und das Gebet ist unsere stärkste Waffe.
Bitte beten Sie mit für Hoffnung für die vielen Flüchtlinge, für Trost für die Einheimischen, für Kraft für die freiwilligen Helfer auf der Insel, für Weisheit für die griechische Regierung, für eine europäische Lösung und eine gute Umsetzung dieser. Und lassen Sie uns auch gemeinsam Gott dafür danken, dass er bisher so viel Bewahrung und Kraft geschenkt hat. Ihm allein gebührt die Ehre auch in Situationen, wo wir das größere Bild nicht sehen oder verstehen können.
Vielen Dank im Voraus!
Gott befohlen.
Marina Ruf
Ein „Weiter so“ in der europäischen Flüchtlingspolitik darf es nicht geben! Deshalb appellieren wir zusammen mit weiteren Organisationen in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel, sich für die notwendige Katastrophenhilfe nach dem Brand in Moria sowie für den sofortigen Beginn der Evakuierung der geflüchteten Menschen von den griechischen Inseln einzusetzen. Nach dem Brand von Moria darf es kein „Weiter so“ in der europäischen Flüchtlingspolitik geben: Offener Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel.