In diesem Sommer habe ich in die Gesichter von Menschen geschaut, die vor den Trümmern ihrer Existenz standen. Vier Wochen ist es her, dass ich mir in der Eifel ein eigenes Bild von der verheerenden Flutkatastrophe in Deutschland machen konnte. Die betroffenen Menschen haben von heute auf morgen schwerstes Leid erfahren. Für sie ist der Klimawandel eine bittere Realität geworden, erfahrbar am eigenen Leib.
Nicht nur das Hochwasser, auch die Waldbrände in der Türkei und die Hitzewelle in Südeuropa unterstreichen, was der aktuelle Weltklimabericht zeigt: Schreitet die Erderwärmung ungebremst voran, hat dies dramatische Folgen. Denn eines ist klar: Die Natur wartet nicht, bis uns endlich gute Lösungen einfallen, sondern sie reagiert – und zwar heftig. Dürren, Starkregen, Stürme nehmen bereits jetzt zu. Noch drastischer wird es aber unsere Kinder und Kindeskinder und die Länder des Südens treffen. Darum müssen wir nun schnellstens reagieren, mit politischem Weitblick und förderlichen politischen Rahmenbedingungen, unternehmerischer und auch eigener Verantwortung, und unseren Beitrag zum Klimaschutz und zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen leisten.
Wir brauchen jetzt eine sozial-ökologische Wende
„Klimaschutz sozial gestalten!“ lautet eine der zentralen Forderungen der Diakonie zur Bundestagswahl. Die gemeinwohlorientierte und gemeinnützige Sozialwirtschaft kann ganz erheblich dazu beitragen. Allein unsere über 31.600 Mitgliedseinrichtungen hinterlassen ihren ökologischen Fußabdruck. Hier leben und arbeiten tausende Menschen, es werden große Mengen an Bettzeug, Berufskleidung, medizinischem Material, Lebensmitteln und Wasser verbraucht. Aber Nachhaltigkeit ist kein streng ökologisches Thema, Nachhaltigkeit meint vielmehr einen umfassenden Mentalitätswandel, fragt uns, wie wir als Gesellschaft miteinander und mit unserer Umwelt umgehen wollen. Und wenn wir eine lebenswerte Zukunft für alle wollen, brauchen wir jetzt die sozial-ökologische Wende.
Was heißt das und was sollten wir besser machen? Um diese Frage zu diskutieren und überzeugende Antworten zu finden, habe ich auf meiner diesjährigen Sommerreise diakonische Einrichtungen besucht, die bereits Vorreiter im Bereich der Nachhaltigkeit sind. Sie zeigen, wie gut soziales und pflegerisches Handeln, soziales Wirtschaften, Ökologie, Transparenz und – ganz wichtig – Beteiligung und aktive Einbeziehung der Mitarbeitenden zusammengehen. Wie zum Beispiel im Augustinum in München. Dort sollen bis 2030 die Lebensmittelabfälle um die Hälfte reduziert sein. So wird auch die Dienstkleidung neuerdings fair und nachhaltig produziert. Aber auch Reinigungskräfte wurden wieder in den AVR -Tarif aufgenommen und Führungskräfte lernen in einem breit angelegten Prozess eine mitarbeitenden-orientierte Unternehmenskultur zu befördern.
Nachhaltigkeit im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, den SDGs, umfasst eben auch die soziale Komponente.
Nachhaltigkeit ist nicht Verzicht, sondern Chance
Ein so umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit bedeutet nicht Verzicht. Es bietet vielmehr eine Chance für mehr soziale Gegenseitigkeit und Lebensfreude, weil sie mit einer menschenfreundlichen Haltung in vielen Bereichen wirkt. Das zeigt auch der Ansatz der Gemeinwohlökonomie. Die Diakonie Herzogsägmühle hat einen wunderschönen ökologischen Gartenbaubetrieb aufgebaut, sie betreibt nachhaltige Forstwirtschaft und eine ökologische Viehwirtschaft, eine eigene Metzgerei und verkauft ökologisch produziertes Fleisch mit Naturlandzertifikaten an die BewohnerInnen und an Restaurants in der Region. Jedes Jahr werden dort Menschen in unterschiedlichen Berufen ausgebildet, von denen 90 Prozent anschließend in Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Und auch in der Diakonie Herzogsägmühle spielt die Mitbestimmung der Bewohner:innen eine zentrale Rolle.
Das ist nur ein weiteres anschauliches Beispiel für die bereichernde soziale Dimension von Nachhaltigkeit, die mir auf allen Stationen meiner Reise in unterschiedlicher Weise begegnet ist und mich immer wieder aufs Neue beeindruckt: von Investitionen in eigene Strom-Wärme-Versorgung, Projekten für nachhaltige Textilien, gegen Lebensmittelverschwendung und zur Abfallvermeidung,die Förderung des Artenschutzes bis hin zur energetischen Sanierung von Bestandsimmobilien – für die es im Übrigen schlichtweg keine auf die Sozialwirtschaft zugeschnittenen Förder- und Investitionsprogramme gibt.
Diakonie will ökologischen Wandel proaktiv angehen
Als Diakonie und Kirche wollen und müssen wir mehr Verantwortung übernehmen und unseren Beitrag dazu leisten, die nachhaltigen Entwicklungsziele umzusetzen. Unsere diakonischen Einrichtungen könnten dabei eine gewaltige Hebelwirkung entfalten – bei Themen wie Klimaschutz, Förderung der Artenvielfalt und der Achtung von Menschenrechten entlang der Lieferketten. Wir wollen den ökologischen Wandel proaktiv angehen und ihn mit der Verbesserung von sozialer Teilhabe und Befähigung verbinden. Damit dies gelingen kann, braucht es entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen, insbesondere für die Refinanzierung der nötigen Investitionen. Auch gemeinnützige Organisationen müssen ambitionierte Maßnahmen zum Klimaschutz durchführen können, ohne dass es sie finanziell schädigt oder ihnen am Ende sogar auf die Füße fällt – wie etwa bei der Diakonie Stetten: Weil dort – ökologisch und ökonomisch sinnvoll – der in der Nacht nicht selbst verbrauchte Strom aus dem hauseigenen Blockheizkraftwerk in geringen Mengen ins öffentliche Netz eingespeist wurde, wurde der gemeinnützige Träger von den Finanzbehörden als ein Betrieb mit einer Gewinnerzielungsabsicht verstanden und drohte, die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Das sind Stolperfallen und Hürden, die wir uns auf dem Weg zu mehr Klimaschutz schlichtweg nicht leisten können.
Was eine umfassende Sicht verändern kann, zeigt der diakonische Träger „Dienste für Menschen“. Am Standort Weinstadt entsteht das neue Luitgardheim. Der diakonische Träger hat die Chance der aktuellen Einzelzimmerverordnung und den damit verbundenen notwendigen Umbau sehr umsichtig zugleich für eine nachhaltige Sanierung genutzt. Warum sind solche Initiativen die Ausnahme und nicht die Regel? Weil die zuständigen Gesundheits – und Pflegebehörden des Landes offenbar nicht mit den Umwelt – und Bauverantwortlichen sprechen. Spartendenken und Ressortlogiken sind ein Klimarisiko – und kosten dazu sehr viel verschenktes Steuergeld.
Investitionsprogramme fehlen – Potenziale bleiben vielfach ungenutzt
Das Einsparpotenzial von CO2 bleibt insbesondere bei Sozialimmobilien bislang nahezu ungenutzt, weil entsprechende Investitionsprogramme fehlen. Derzeit rechnet es sich mehr, ein konventionelles Pflegeheim neu zu bauen, als ein klimaneutrales oder ein altes Gebäude nachhaltig zu sanieren. Wenn im Gebäudebereich bis zu 40 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verursacht werden, ist das nahezu unverantwortlich. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Nachhaltigkeit wie bereits die notwendige Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit in die Sozialgesetzbücher aufgenommen wird – dazu gehört dann aber auch das Mitdenken einer entsprechenden Finanzierung, beispielsweise über Förderprogramme für gemeinnützige Unternehmen. Wir müssen lernen, neu zu rechnen.
Wir sollten ein neues gemeinsames Verständnis von zivilgesellschaftlichem Handeln, sozialem Unternehmertum und Politik entwickeln, das sozial, ökonomisch und ökologisch zusammendenkt. Wir brauchen eine neue kohärente Politik und dürfen solche auf Trugschlüssen und Illusionen beruhenden Rechnungen in Einzelbudgets und Zuständigkeitsdenken in Spartenressorts nicht länger akzeptieren. Nur wer die ökonomischen mit den sozialen und ökologischen Folgen zusammendenkt, denkt nachhaltig.
Soziales Unternehmertum nachhaltig zu gestalten, hat viele Facetten
Es gibt nicht das eine zukunftsfähige Modell für alle. Auch das habe ich während meiner Reise wieder gesehen. Aber überall konnte ich spüren, mit wie viel Herzblut diese Menschen bei der Sache sind und wie stark sie sich bei ihrer Arbeit an den Nachhaltigkeitszielen orientieren. Sozial, ökologisch und das menschendienlich im Blick – das ist Diakonie at its best.
Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht hat diese Sommerreise die zahlreichen Möglichkeiten nachhaltigen Unternehmertums gezeigt. Wir haben ungeahnte Möglichkeiten, wenn wir endlich beginnen zu verstehen, dass sozial, ökonomisch und ökologisch zusammengehören. Das kann ein Hebel mit großer Wirkkraft beim notwendigen Wandel sein. Eine ressortübergreifende Nachhaltigkeitsinitiative im Bund, auf Landesebene und lokaler Ebene wäre ein guter Anfang. Im Idealfall setzt sich der Sozialdezernent mit der Umweltdezernentin in Verbindung, das Umwelt-, mit dem Sozial- und Finanzministerium, um diese Transformation konkret voranzutreiben. Die Kommune, der Landkreis ist der Ernstfall der Nachhaltigkeit.
Unabhängig davon, welche demokratischen Parteien nach der Bundestagswahl am 26. September die Regierung bilden werden: Zum Abwarten bleibt keine Zeit, wenn wir die Erderwärmung eindämmen und die Folgen der irreversiblen Schäden, die wir bereits angerichtet haben, in Grenzen halten wollen.