Ein Entlastungspaket mit Licht und Schatten

Wir leben in Zeiten großer Herausforderungen und großer Zahlen: 95 Milliarden Euro setzt die Bundesregierung bisher für die Entlastung der Bürger:innen und Bürger, der Unternehmen und der Infrastruktur von Inflation und steigenden Energiekosten ein. Bei aller ­­- berechtigten ­- Kritik in den Details: Das ist nicht nichts, sondern eine ganze Menge Geld. Allein das vor einer Woche vorgestellte dritte Entlastungspaket umfasst 65 Milliarden Euro.

Entlastungspaket: Wir als Diakonie werden weiter darauf schauen, dass zielgenauere Hilfen bei den Menschen mit den geringsten Einkommen tatsächlich ankommen. Foto: Pixabay

Mit der Diakonie setzen wir uns seit Monaten dafür ein, dass zielgenaue und wirksame Entlastungen kommen, vor allem für die Einkommensärmsten und Menschen mit geringem Einkommen, die die Preissteigerungen nicht durch Erspartes abfedern können. Aber zunächst einmal ist anzuerkennen: Staat und Regierung tun Vieles, sie haben die Krise im Blick und helfen den Bürger:innen.

Aber wie zielgenau wirken die Hilfen? Angesichts des Umfangs sollten wir keine Empörungsschleifen bedienen. Es lohnt sich aber ein genaues Hinsehen, ob die Ampel-Koalition das Versprechen des Bundeskanzlers einlöst, dass niemand in der Krise alleingelassen wird.

Das dritte Entlastungspaket will den rasanten Energiepreisanstieg an vielen Stellen angehen: Am Energiemarkt, bei der Entlastung der Verbraucher:innen, bei den staatlichen Transferleistungen und Renten, bei den Steuern, bei den Unternehmen und beim Verkehr. Was genau ist geplant?

Leider ist vieles noch unklar: Wie genau soll es gelingen, überzogene Krisengewinne mancher Unternehmen und Spekulanten an den Energiemärkten abzuschöpfen? Wie groß muss ein verbilligtes Basispaket Strom sein, damit es zumindest für das Existenzminimum armer Haushalte ausreicht? Und was ist eigentlich mit dem Gasmarkt? Hier fehlen noch genau die preisdämpfenden Hilfen, die am Strommarkt versprochen werden. Weil die Gaspreise auf internationalen Märkten festgelegt werden, braucht es endlich internationale Lösungen. Hier gilt es noch einmal nachzusteuern und national den besonders betroffenen Bürger:innen zu helfen.

Check: Zielgenauigkeit

Für die Diakonie besonders wichtig ist, wie die Entlastungen der Bürger:innen ausgestaltet sind, vor allem der Menschen mit kleinen Gehältern oder Renten oder ganz ohne eigenes Einkommen. Gut ist, dass Rentner:innen (300 Euro) und Studierende (200 Euro) nun doch die Energiepreispauschale zum 1. Dezember ausbezahlt bekommen sollen. Sie wurden bisher vergessen. Angekündigt wurde außerdem die größte Wohngeldreform in der Geschichte der Bundesrepublik. Diese ist längst überfällig und soll auch Heizkosten umfassen. Hinzu kommt die ohnehin geplante Bürgergeldreform, mit der die Hartz-IV-Regelsätze um etwa 50 Euro steigen sollen.

Auch das ist richtig, reicht aber nicht. Denn nach unserer Berechnung sind die Regelsätze auch ohne Energiepreisanstieg schon lange viel zu niedrig. Bei Alleinstehenden fehlen mindestens 180 Euro im Monat, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Die Kindergelderhöhung um 18 Euro ist gut, fällt aber ebenfalls zu mager aus.

Positiv ist aber, dass die Regelsätze künftig die aktuelle und die künftige Preisentwicklung ins Visier nehmen. Bisher geschah dies im Nachhinein mit dem Blick zurück ins vorherige Jahr. Darum müsste jetzt eine doppelte Anpassung erfolgen: Ein Ausgleich der Kosten des vergangenen Jahres plus einem Ausgleich der anstehenden Kosten im kommenden Jahr. Macht zwei.

Entlastungen jetzt!

Eine weitere Schwachstelle im Paket ist der Faktor Zeit. Grundsicherungsbeziehende können nicht entspannt bis zum 1. Januar 2023 auf erste Entlastungen warten. Die höheren Kosten fallen jetzt an, nicht nur bei Haushaltsenergie, sondern auch bei Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern.

Wir schlagen deshalb einen sofortigen Aufschlag von 100 Euro im Monat auf Transferzahlungen wie Hartz IV vor. Außerdem brauchen auch Sozial- und Pflegeinrichtungen direkte Hilfen bei den Energiekosten. Ein konkretes Beispiel: Die Berliner Stadtmission betreibt für ihre Obdachlosenarbeit eine Traglufthalle. Schon jetzt ist klar, dass die Heizkosten für die Halle im Winter um Tausende Euro höher sein werden. Außerdem fehlt im Paket ein 29-Euro-Sozialticket neben dem vorgesehenen Nahverkehrsticket (49 Euro), damit wirklich niemand auf der Strecke bleibt und soziale Teilhabe wie Familienbesuche möglich bleiben.

Zu den Steuern: Die Koalition hat ein „Inflationsentlastungsgesetz“ angekündigt, das im unteren und mittleren Einkommensbereich wirken soll. Die Progression gerechter zu gestalten, ist richtig, aber hier lauert ein Etikettenschwindel, denn Menschen mit sehr geringem Einkommen zahlen so gut wie keine Steuern und können deshalb auch nicht bei ihren Steuern wirkungsvoll entlastet werden. Auf der anderen Seite profitieren aber auch Bezieher:innen hoher Einkommen von Steuerentlastungen für untere Einkommensgruppen. Deutlich zielgenauer für Arbeitnehmer:innen mit geringen Einkommen wirkt dagegen die Entlastung bei den Beiträgen zur Sozialversicherung: Die Höchstgrenze für so genannten „Midi-Jobs“ wird zum 1. Januar von derzeit 1.300 Euro auf 2.000 Euro angehoben. Das ist sinnvoll und sollte schnell zum Gesetz werden.

Solidarität ist unverzichtbar

Mein Fazit? Mit dem dritten Entlastungspaket, das ein erhebliches Volumen hat, lenkt die Ampel ihre Aufmerksamkeit zurecht stärker als bisher auf die Menschen, die am dringendsten Unterstützung benötigen. Aber sie ist noch nicht am Ziel, auch das Kleingedruckte in den Gesetzestexten lässt noch auf sich warten.

Wir als Diakonie werden weiter darauf schauen, dass zielgenauere Hilfen bei den Menschen mit den geringsten Einkommen tatsächlich ankommen. Neben zielgenauer Wirkung und der Leistungshöhe zählt für diese Menschen außerdem das Tempo, mit der die Pläne jetzt umgesetzt werden. Wer wie etwa ein Drittel der Bevölkerung weder über Rücklagen noch über Vermögen verfügt, kann eben nicht Hunderte von Euro aus Ersparnissen ausgleichen und dann auf Hilfe warten. Das muss verstanden werden.

Aber selbst, wenn noch weitere Hilfen dazu kommen: Der Staat kann nicht in jedem Einzelfall alles regeln.  Deshalb braucht es neben der unabdingbaren finanziellen Solidarität der Starken mit den Schwächeren im Sozialstaat gerade jetzt Menschen, die für andere ganz praktisch einstehen und sich engagieren.

In der kommenden kalten Jahreszeit werden auch Kirche und Diakonie neue Angebote schaffen, bei denen viele helfende Hände gebraucht werden. Sie sind herzlich eingeladen, sich zu engagieren, wenn sie dies nicht schon längst tun – bei uns oder in den vielen anderen hervorragenden Initiativen und Organisationen in unserem Land, die das eigentliche Herz des Sozialstaates sind. Praktische Solidarität und gelebte Nächstenliebe in der Nachbarschaft hilft sehr vielen Menschen, die uns umgeben. Sie ist der vielleicht wichtigste Beitrag aller Demokrat:innen gegen die von Putin angestrebte Destabilisierung der westlichen Gesellschaften.