Stall, Krippe, Engelschöre und ein neugeborenes Kind. So kommt Gott zur Welt. So schutz- und so liebebedürftig. So beginnt seine Friedensherrschaft. Wehrlos. Was für eine Geschichte tischt uns hartgesottenen Nachrichtensehern das Lukasevangelium auf! Gott wird Mensch und beginnt eine neue verwegene Gegenerzählung zu den gewohnten Bildern und Logiken der Macht, die das menschliche Miteinander zu oft vergiften und Leben immer wieder zerstören.
Glänzende Tage
Samstag ist Heiligabend. Und ein Teil der Christenheit – die Orthodoxie kommt am 6. Januar dazu – feiert die Geschichte von Jesu Geburt. Ein Teil der Menschheit – auch außerhalb der Kirchen – feiert tatsächlich ein Fest der Liebe. Versucht über ein paar glänzende Tage, Friede zu halten – auch an den Familientischen.
Doch oft gelingt das nicht. Wie sehr, spürt man gerade zu Weihnachten. Wie weh es tut, dass die menschliche Begabung zum Frieden so unvollkommen ist. Und wie groß trotzdem, oder deswegen, die Sehnsucht ist, einander gut zu sein, sich irgendwo zuhause zu fühlen, satt zu werden – an Leib und an Seele.
Festessen und Geschenke, Weihnachtsbaum und Kerzenglanz. Unsere Rituale übersetzen ins Sinnliche, wonach der ganze Mensch sich sehnt, und wovon die Engel singen: Friede auf Erden.
Himmel unter Brücken
Wobei die Gesänge der Engel nicht an einem festlich gedeckten Tisch zu hören sind. Sie singen unter freiem Himmel, an den Hecken und Zäunen, unter Brücken und auf den freien Feldern. Da, wo die Hirten und andere Underdogs ihr mageres Süppchen kochen, da öffnet sich der Himmel, erzählt Lukas.
Und dieses Himmels-Lied „Friede auf Erden“ ist Trost und Auftrag, Schmerz und Bitte. Friede auf Erden ist harte Arbeit. Genau wie es harte Arbeit ist, die Hoffnung nicht zu verlieren, nicht bitter zu werden oder zynisch angesichts der allgemein andauernden vernichtenden Friedlosigkeit auf unserem erwählten Planeten.
Heile, Welt
Diese alte Geschichte vom Stern über dem Stall rückt einen schlafenden Säugling in einem Futtertrog ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Und entfaltet Gottes Logik der Wehrlosigkeit.
Eine junge Patchworkfamilie fern der Heimat versucht den Anforderungen der Behörden mit den fremden Gesetzen gerecht zu werden. Volkszählung, Steuerschätzung. Das Paar strandet in einer überfüllten Stadt, nichts gebucht, keine Freund:innen, keine Familie in der Nähe. Kein Geburtshaus, keine Kinderklinik.
Dafür Wehen, Schmerz, die Angst der Gebärenden, die Hilflosigkeit des Partners, der nicht der biologische Vater ist, aber Verantwortung übernimmt, so gut er kann. Eine Hebamme kommt in der Geschichte nicht vor. Nur ein warmes Plätzchen bei den Nutztieren. „Siehe, ich verkünde euch große Freude“, sagt der Engel und behauptet, dass die Welt heil wird – ausgehend von diesem Kind in einem kalten Stall in einem verlassenen Winkel der Weltgeschichte.
Friedefürst in Windeln
Mit den absurden Machtdemonstrationen der letzten Monate und Wochen, mit langen Tischen und goldenen Sälen vor Augen und im Kopf, geht mir diese Geschichte vom Neugeborenen im Futtertrog, vom wehrlosen Retter im Stall, vom Friedefürst in Windeln in diesem kalten Krisenwinter neu unter die Haut.
Diese berührende Logik der Wehrlosigkeit, mit der der allmächtige Gott Allmacht für uns verletzliche Menschen ganz neu buchstabiert. Als Wort mit fünf Buchstaben. Eben kein kalter Potentat. Keine Paläste. Auch kein Dom, keine Kirche.
Vor drei Jahren stand ich fassungslos im sogenannten Palast des Volkes in Bukarest. Protzigste und frivol teure Herrschaftsarchitektur des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu (1918-1989), der das Bruttosozialprodukt eines Jahres eines ganzen Volkes ausschließlich zu eigenem Ruhm und zur eigenen Ehre verbaute.
Ich wanderte durch endlose, obszön-prunkvolle Säle. Ceausescu ließ sich auch als „irdischer Gott“ bejubeln, während das unterdrückte Volk in Angst und Armut versank. Das ist die andere Logik der Macht, die uns immer wieder demonstriert wird in diesen Tagen.
Göttliches Gegenmodell
Der Stall in Bethlehem ist das göttliche Gegenmodell zu dieser Art der Machtdemonstration und -ausübung: keine Baldachine mit Herrschaftszeichen, sondern Windeln. Keine Säle, kein Palast, sondern ein Stall.
In die komplexen Krisen unserer Zeit mit all ihrem Leid blendet sich aus dem Evangelium ein sehr kleines Kind in einer Krippe ein. Seine Macht? Seine nach Liebe suchende Wehrlosigkeit. Wenn es gut geht, weckt sie ein Echo in uns. Und erinnert uns: So fängt Gottes Frieden an.
Die Logik Gottes für seinen Neuanfang der Geschichte setzt auf die Zärtlichkeit und Liebesfähigkeit, die ins uns wohnt. Auch auf unseren Wunsch, dieses wehrlose Kind zu beschützen. Gott wird Mensch. Seine Allmacht hat fünf Buchstaben: Liebe.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr unter dem Segen der Wehrlosigkeit dieser zur Hingabe fähigen Liebe.