Es kommt ein Schiff

Nach knapp zehn Jahren als Präsident der Diakonie Deutschland verabschiede ich mich in diesen Tagen in den Ruhestand. Mit dem neuen Jahr beginnt für mich persönlich eine neue Zeitrechnung.

In einem berührenden Gottesdienst am vergangenen Mittwoch in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin habe ich das Amtskreuz des Diakoniepräsidenten zurück auf den Altar gelegt. Es ist gut, dass wir in unserer Kirche Verantwortung und Mandate immer nur auf Zeit vergeben, dass wir Anfang und Ende unseres Dienstes unter Gottes Wort stellen und seinen Segen dafür erbitten.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und EKD-Bischöfin Kirsten Fehrs stehen sich gegenüber bei der feierlichen Verabschiedung im Gottesdienst.
In einem feierlichen Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin wurde Diakonie-Präsident Ulrich Lilie am 13.12.2023 von der amtierenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, offiziell von seinem Amt entpflichtet. Foto: Diakonie/Birte Zellentin

In meinen Dienstjahren waren die Herrnhuter Losungen ein treuer und inspirierender Begleiter im Alltag. Die Losung für den heutigen 15. Dezember stammt aus Psalm 107: „Die mit Schiffen auf dem Meere fuhren und des HERRN Werke erfahren haben und seine Wunder im Meer: Die sollen dem HERRN danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut.“ Meine Reise mit der Diakonie erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Die Diakonie Deutschland hat eine tolle Besatzung an Bord, ohne die das Leitungsteam am Ruder und ohne die ein Präsident wenig auszurichten vermag. Bei meinen vielen Besuchen in den Mitgliedsverbänden und bei diakonischen Trägern und Einrichtungen überall im Land bin ich immer wieder fachlich hochkompetenten und motivierten Mitarbeitenden begegnet. Menschen mit innovativen Ideen und Kreativität, die sich dort, wo sie sind, engagiert für ein Leben in Würde, für Teilhabe und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Im Hauptamt und im Ehrenamt.

Es lassen sich in der Diakonie viele Werke und Wunder erfahren, die Gottes Geist durch Menschen wirkt, die sich von ihm inspirieren lassen. Das ist immer wieder beeindruckend. Es gehören selbstverständlich auch Irrfahrten und Schuld zur Diakonie und diese sind immer wieder anzusprechen und aufzuarbeiten. Vor meiner Verabschiedung habe ich morgens zusammen mit der Bevollmächtigten der EKD, Prälatin Dr. Gideon, noch die „Gemeinsame Erklärung zur unabhängigen Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie nach verbindlichen Kriterien und Standards“ bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmißbrauchs, Frau Claus, unterzeichnet.

Stürmische Zeiten und hoher Wellengang haben die Diakonie in den letzten Jahren herausgefordert: die Aufnahme vieler geflüchteter Menschen im Jahr 2015, die COVID-19-Pandemie und die Folgen des Kriegs in der Ukraine, der Klimawandel. Wir erleben gravierende gesellschaftliche Veränderungsprozesse, und müssen durch neue, unbekannte Gewässer navigieren lernen. Da braucht es einen klaren Kompass. Er heißt für die institutionalisierte Diakonie seit ihrer Gründung vor 175 Jahren: #ausLiebe.

In diesen Tagen des Advent erwarten wir – im maritimen Bild eines schönen Adventsliedes, das sich für mich immer mit einer Kindheitserinnerung, dem Tuckern der Dieselmotoren der Lastschiffe auf dem Rhein verbindet  – ein Schiff, dass den Grund dieser Liebe trägt.

Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.

Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.

In diesem schönen Lied heißt es dann: „Der Anker haft’ auf Erden, da ist das Schiff am Land.“ Gott geht mitten in den konkreten politischen,wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen auf Erden vor Anker. Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit einer Zeitangabe: „Es begab sich aber zu der Zeit, als ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging…“. Der Ewige teilt unsere Menschenzeit. Das „auf Erden“ kann man sich gar nicht genug konkret ausmalen: Unterdrückung und Gewalt, Elend und Hunger, Gier und Machtmissbrauch. Das bleiben irdische Themen.

Meine Abschiedspredigt habe ich über das Magnificat gehalten, die prophetischen Worte der mit Jesus schwangeren Maria: „Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen, die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“.

Gott erhebt die Niedrigen. Aus Liebe kehrt Gott die irdischen Verhältnisse um. Veränderung ist immer möglich. Ich wünsche der Diakonie weiterhin den Mut und die Kraft, die Verhältnisse „auf Erden“ mit anderen Menschen guten Willens zusammen zum Besseren zu verändern, an der Seite der Menschen, die Hilfe, Unterstützung und Begleitung brauchen.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit und verabschiede mich mit diesem Wunsch und großem Dank von Ihnen in den Ruhestand. Bleiben Sie behütet.