Pfingsten ist mir in diesem Jahr ein göttlicher Reminder daran, dass tiefe Veränderungen, die eine Gesellschaft vollkommen auf den Kopf stellen können, mitunter sehr unauffällig und wenig beachtet beginnen: die ungeplante Schwangerschaft eines Mädchens, die Geburt eines Kindes.
Oder eine aufgeregte Menschenmenge auf einem Platz in einer Mittelstadt einer römischen Provinz im ersten nachchristlichen Jahrhundert: Apostelgeschichte 2. Pfingsten, der Geburtstag der Kirche. – Ja, und viel mehr als das!
Ich lese die geistreiche Selbstvorstellung, die die trauernden, ängstlichen Jünger, die noch unter Kreuzigungsschock stehen, erleben, weniger als „Tatsachenbericht“, sondern mehr als ein Stück weitsichtig und kenntnisreich inspirierter Literatur darüber, was Gottes Geist in dieser Welt vermag. Kenntnisreich – weil es ja auch schon im sogenannten Alten Testament faszinierende Geschichten über das Wirken von Gottes Geist gibt.
Der Geist Gottes wirkt nicht irgendwie, sondern recht konkret: Unterdrückung wird beendet, Ängstliche bekommen Mut, Gemeinschaft entsteht, wo vorher keine Gemeinschaft war, Schüchterne erheben ihre Stimme und finden Worte, die fremde Menschen aufhorchen lässt. Der Theologe Michael Welker schreibt in „Wörter des Lebens“(2007): „Die Botschaft von der Ausgießung des Heiligen Geistes ist keine harmlose Botschaft. Sie radikalisiert die Verheißung, dass durch den Geist Gottes Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gotteserkenntnis unter den Menschen aufgerichtet werde.“ (Das unterscheidet den Geist Gottes übrigens auch von anderen „Geistern“ – dem Geist des Ressentiments zum Beispiel.)
Das ist zentral im Glauben an den menschenfreundlichen Gott Jesu Christi. Und daran arbeiten wir in Diakonie und Kirche – wohl wissend, dass wir das „Reich Gottes“ nicht erschaffen können. Wir können uns an ihm ausrichten, mit seinen Möglichkeiten in unseren Wirklichkeiten rechnen. Damit rechnen, dass dieser Geist uns im Übersehenen begegnet.
Heimat ist ein Gefühl
In der Apostelgeschichte bringt der Heilige Geist geschäftige Menschen so mitten im Markttreiben dazu, ihr Tagesgeschäft zu unterbrechen und sich umzuschauen, woher diese Botschaft kommt, die im Ausland nach Muttersprache klingt. Nach Zuhause. Die Erfahrung von Fremdheit kann sich aus unterschiedlichen Quellen speisen – die einen haben ihre Heimat sehr wirklich durch Flucht verloren, andere fürchten sie durch Zuwanderung zu verlieren, wieder andere sind einfach zu viel umgezogen. Andere fühlen sich unbehaust in einem Leben, dem äußerlich nichts fehlt. Gemeinsam ist allen vielleicht, dass sie sich mehr zuhause fühlen könnten, wenn es nach Gottes Willen gerechter und barmherziger zuginge im Leben.
„Heimat ist kein Ort. Heimat ist ein Gefühl“, singt Herbert Grönemeyer. Und wenn ich diese Zeilen in Resonanz bringen zur Pfingstgeschichte, kann man vielleicht sagen: Wer den Geist Gottes spürt, bemerkt, dass er (oder sie) noch nicht zuhause ist, in ihnen erwacht die Sehnsucht nach einer besseren Welt. Vielleicht gilt das ja auch andersherum – in wem die Sehnsucht nach einer bessern Welt erwacht, wirkt der Geist Gottes? Jedenfalls: Unsere Welt der Ungerechtigkeit, der Unbarmherzigkeit und der Gottvergessenheit ist kein Zuhause für Menschen. Wir wollen anders zuhause sein.
„Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“, und „welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“. (Römer 8,14) Auch ein wichtiger Geisttext im Neuen Testament. Ein interessantes ‚Wir‘ erfindet Paulus da: eine neue Gemeinschaft, Geschwisterlichkeit, in der Blutsverwandtschaft und Nationalität offenbar keine trennende Rolle mehr spielen. Darin spüre ich Zukunft.
#DAFÜR: Tafeln für die Demokratie – Mitmachen!
Am 17. Juni zwei Wochen nach Pfingsten – möchten wir – Diakonie Deutschland und die Offene –Gesellschaft – gemeinsam mit Ihnen in Deutschland diese Zukunft feiern und ein Zeichen #DAFÜR setzen: Gedeckte Tische im ganzen Land, an denen sich Menschen mit Freundeskreisen, Familien, Kolleginnen, Gemeinden, Sportvereine, Kirchengemeinden, Kleingärtner, Diakoniemitarbeitenden, Studentengemeinden zusammensetzen und feiern, dass wir in einer freien Gesellschaft leben wollen, in der es gerecht und barmherzig zugeht.
In der Vielfalt sich als Reichtum entfalten kann. Vielleicht lassen Sie sich begeistern und wollen mitmachen? Dann bitte nicht vergessen: Melden Sie Ihre Tafel an, damit wir viele werden u n d voneinander wissen. Ich wünsche Ihnen, frohe, gesegnete Pfingsten.