Metamorphose oder Transformation?

„Bildungsverantwortung von Kirche und Diakonie in Zeiten der Transformation“ – darüber habe ich kürzlich in Düsseldorf gesprochen. Ein Thema, was wir in Kirche und Diakonie breit diskutieren müssen, damit wir von den rapiden Wandlungsprozessen unserer Zeit nicht einfach mitgerissen werden.

Kinder und Erwachsene liegen zusammen Kopf an Kopf in einem Kreis in einer Turnhalle
Deutschland wird nicht nur älter, es wird auch bunter © Kathrin Harms & Esteve Franquesa

Die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich zwischen Digitalisierung, Demographischem Wandel, zunehmender sozialer Ungleichheit sowie Migration und Vielfalt entfalten, verlangen auch nach kirchlichen Transformationsprozessen – denn die gesellschaftliche Relevanz von institutioneller Kirche in Deutschland nimmt ab. Einen Auszug aus dem Vortrag finden Sie hier:

Vier gesellschaftliche Transformationsprozesse

Ulrich Beck hat in seinem im letzten Jahr posthum erschienenen Buch „Die Metamorphose der Welt“ dargestellt, dass wir aktuell weltweit so tiefgreifende Wandlungsprozesse erleben, dass sachgerecht nicht mehr von einem Wandel, sondern von einer Verwandlung, von einer Metamorphose der Welt   zu sprechen sei. Wenn wir keinen ‚Kategorienfehler‘ (Niklas Luhmann) machen wollen, so Ulrich Beck, müssen wir diese radikale Veränderung, in der sich moderne Gesellschaften befinden, verstehen lernen. Beck konstatiert anstelle eines kontinuierlichen Wandels eine gegenwärtige Verwandlung der Welt, die überkommenen Gewissheiten moderner Gesellschaften „den Boden unter den Füßen weg(zieht)“ , weil sich „ der Bezugshorizont und die Koordinaten des Handelns“ (Die Metamorphose der Welt, Berlin 2017, S.31) grundlegend verändern, im „Blick nicht nur auf zerfallende gesellschaftliche und politische Realitäten“, „sondern auch auf die Neuanfänge“. (ebd. S.31 f.)

Bedrohende Formen wie den Klimawandel und positive Ereignisse wie den Mauerfall versteht Beck beide als Phänomene dieser gleichen Metamorphose, die das Antlitz unserer Welt tiefgreifend verändern: „Galileo Galilei entdeckte einst, dass nicht die Sonne um die Erde kreist, sondern dass es die Erde ist, die um die Sonne kreist. Wir befinden uns heute in einer in mancherlei Hinsicht ähnlichen Situation. Das Klimarisiko sagt uns, dass der Nationalstaat nicht der Mittelpunkt der Welt sein kann. Die Erde dreht sich nicht um Nationen (egal welche), sondern die Nationen kreisen um die neuen Fixsterne ‚Welt‘ und ‚Menschheit‘. Das Internet ist ein Beispiel dafür. Erstens vereint es die ganze Welt in einem einzigen Kommunikationsraum. Zweitens erschafft es so etwas wie ‚die Menschheit‘ – schlicht, indem es jedem Menschen ermöglicht, mit buchstäblich jedem anderen Menschen in Verbindung zu treten. Und in diesem neugeschaffenen Raum werden nun nicht nur die nationalstaatlichen, sondern auch alle anderen Grenzen neu verhandelt, lösen sich auf, entstehen anderswo in anderer Form – durchlaufen eine Metamorphose.“ (ebd., S.19)

Metamorphose oder nicht, unbestreitbar ist, dass tiefgreifende Verwandlungsphänomene, Transformationen diese Welt und uns in dieser Welt verändern, ob wir es bemerken oder nicht. Weltweit zunehmende Ungleichheit, die Infragestellung der Demokratie in vielen Ländern, globale klimatische Veränderungen, weltweite Wanderungsbewegungen in nie gekanntem Ausmaß, Globalisierung und die Digitalisierung, die einen enormen wissenschaftlichen Fortschritt ermöglicht, – vor dem Hintergrund dieser tiefgreifenden weltweiten Entwicklungen verändert sich auch unser Land. Vier Aspekte dieses tiefgreifenden Wandels möchte ich hier kurz skizzieren:

Demografischer Wandel

In Deutschland, wie in anderen europäischen Ländern, steigt durch die Zunahme der Lebenserwartung der Anteil älterer und alter Menschen. Ältere Menschen prägen unsere Gesellschaft zunehmend. Diese Entwicklung wird von mehreren Faktoren bestimmt: Die „Baby-Boomer“, die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, erreichen in absehbarer Zeit das Rentenalter. Die Alt-68er sind die neuen Siebzigjährigen. Hinzu kommt die steigende Lebenserwartung aufgrund der immer besseren Lebensbedingungen: Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich seit dem 19. Jahrhundert fast verdoppelt und liegt heute für Männer bei über 78 Jahren und für Frauen bei 83 Jahren. In Deutschland ist der demografische Wandel EU-übergreifend mit am weitesten fortgeschritten. Momentan gehört in Deutschland mehr als jede vierte Person zur Generation 60 plus. 2050 wird es bereits mehr als jede dritte Person sein.

Diese demografische Entwicklung wirkt sich bereits in der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters aus und weitere Veränderungen werden diskutiert. Damit verbindet sich die Frage, welche Bildungsprozesse es Menschen ermöglichen, für eine damit auch deutlich länger werdende Phase der Berufstätigkeit gerüstet zu sein und welche neuen Formen berufsbegleitenden Lernens zukünftig zu organisieren sind. Wie können sich Menschen neben ihrer beruflichen Arbeit oder während einer Phase der Familienarbeit kontinuierlich fort- oder weiterbilden und sich so im Laufe ihres Arbeitslebens neue Arbeitsfelder erschließen, weil ihre alte Aufgabe von digitalen Automaten übernommen wird?

Und es stellt sich auch die Frage, welche Bildungs- und Qualifizierungsangebote wir für junge Alte (…) anbieten wollen, die in den zwei aktiven Lebensjahrzehnten zwischen 60 und 80 Jahren ihre Fähigkeiten z.B. in Form bürgerschaftlichen Engagements einbringen möchten: bei der Organisation von Sorgenden Gemeinschaften, als Betreuer oder bei einem Sprachkurs für geflüchtete Menschen. Nicht nur Stadtakademien, auch viele Hochschulen sind zu so etwas wie Volkshochschulen für Senioren geworden, die im Alter Bildungsabschlüsse nachholen. Wie reagieren wir auf diese für die Gesellschaft immer wichtiger und beständig größer werdende Gruppe von leistungsbereiten Menschen mit unseren Bildungsangeboten in Kirche und Diakonie?

Digitalisierung

Zu einer der großen gesellschaftlichen Herausforderungen gehört gegenwärtig die Digitalisierung. Gesellschaftliche und politische Partizipationsmöglichkeiten, Teilhabe, wirtschaftliche Prosperität und Qualität der Arbeit hängen zunehmend davon ab, ob und wie es uns gelingt, die Möglichkeiten der hochvernetzten, interaktiven Informations- und Kommunikationstechnologien zu erkennen und zur Mehrung des Gemeinwohls zu nutzen. Bestehende Hierarchien, alte Ordnungen und gewohnte Sicherheiten scheinen vielfach zu erodieren, während neue Problemlagen, aber auch neue Optionen entstehen. Stichwort Metamorphose.

Digitale Bildung gilt daher als eine Schlüsselqualifikation für künftige soziale und wirtschaftliche Teilhabe. Gleichzeitig buhlen große Anbieter digitaler Angebote um den Zugang zum Bildungsbereich. Mittlerweile kommen in den USA über 30 Millionen Kinder im Klassenzimmer oder bei den Hausaufgaben mit einem Programm aus dem Google-Bildungspaket in Berührung – d.h. mehr als jeder zweite Schüler zwischen fünf und 18 Jahren. Wollen wir das so auch in Deutschland? (…)

Nicht nur in Deutschland wird aktuell über die Möglichkeiten, die Gefahren und die noch gar nicht abzusehenden Grenzen der Digitalisierung diskutiert, um Chancen für das Lernen den Risiken für die Bildung gegenüberzustellen. (…)Eine umfassende Medienbildung, Medienkompetenz – bestehend aus Medienkunde, Mediennutzung, Mediengestaltung und Medienkritik – wird ein grundlegender Auftrag bei zunehmender Digitalisierung im Bildungsbereich sein.

Gleichzeitig sind neue soziale Kompetenzen gefragt. Bei einem Besuch der Deutschen Schule in Palo Alto vor einigen Monaten waren wir sehr beeindruckt, wie kooperativ und wie kompetent die Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Klassen in digitalen Räumen zusammen an Aufgaben und deren Lösung arbeiteten. Das digitale Zeitalter wird auch das Zeitalter der Kooperation in neuen Formen, der Teams und damit der Kooperations- und Teamfähigkeit werden. Nicht mehr Einzelne, sondern intelligente Teams machen zukünftig den Unterschied, wenn immer komplexer werdende Probleme interdisziplinäre und kooperative Formen der Problemlösung erfordern.

Zunehmende Ungleichheit

Expertinnen und Experten erwarten, dass die unterschiedlichen kommunalen Räume nicht nur durch mehr Zuwanderung immer vielfältiger und weniger vergleichbar sein werden. Auch die demografische Entwicklung wird regional sehr unterschiedlich verlaufen. Die Bundesländer in Deutschland unterscheiden sich heute bereits erheblich in Bezug auf Demografie, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Wohlstand und Bildung.

Vor allem ländliche und wirtschaftlich schwache Regionen werden von Schrumpfung und Abwanderung betroffen sein. In einigen strukturschwachen Regionen sind bereits heute technische und kulturelle Infrastrukturen kaum noch tragfähig und grundlegende Dienstleistungen bzw. die Daseinsvorsorge kaum aufrechtzuerhalten. Das spiegelt sich auch in der jeweils sehr unterschiedlichen Bildungsinfrastruktur und in der teilweise krass unterschiedlichen Ausstattung von Schulen, Kindertagesstätten, Sporteinrichtungen und kulturellen Angeboten wider. Wenn Sie die Situation in Düsseldorf mit der in Städten wie Duisburg oder Wuppertal vergleichen, wird mehr als deutlich wie bei einer Distanz von nur wenigen Kilometern gefühlt Welten trennen können.

Wachsende regionale Disparitäten stellen eine Herausforderung für die im Grundgesetz verankerte Leitvorstellung, gleichwertige Lebensverhältnisse zu garantieren und damit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar, aber sie sind zunehmend auch eine Herausforderung für die Gestaltung von gleichwertigen Bildungsprozessen in der Gesellschaft. Welche Rolle wollen wir – Kirche und Diakonie- in solchen Entwicklungen spielen? (…) Der Bildungsabschluss ist eine Voraussetzung, eine Eintrittskarte, aber allein reicht er heute nicht mehr aus. Das „Einser-Abitur“ oder die exzellent bestandene Meisterprüfung garantieren noch keinen gesellschaftlichen oder beruflichen Erfolg. Und erst recht ist eine gute Ausbildung heute nicht mehr automatisch mit einem ökonomischen Aufstiegsversprechen verbunden.

Der Soziologe Andreas Reckwitz hat in seiner sehr nachdenkenswerten Gesellschaftsanalyse „Die Gesellschaft der Singularitäten“ (2017) die These entwickelt, dass im Zuge der beispiellosen Bildungsexpansion seit 1945 eine neue, tonangebende, universitär gebildete Mittelklasse entstanden ist, die ein liberales Paradigma verinnerlicht habe: Nur wem es gelinge, so Reckwitz, sich in einer Gesamtperformance in seiner Einzigartigkeit, Originalität und Attraktivität in besonderer Weise zu profilieren, habe heute eine Chance auf monetäre und soziale Anerkennung. Bildung spielt als Voraussetzung für „gutes Leben“ aber eine nach wie vor große Rolle. (…)

In einem reichen Land ist nicht hinzunehmen und in evangelischer Perspektive ist es hoch problematisch, dass ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg festgestellt werden muss. Ich zitiere die EKD-Denkschrift „Maße des Menschlichen“: „Die Befunde von PISA 2000 belegen für Deutschland einen ‚straffen Zusammenhang zwischen Sozialschichtzugehörigkeit und erworbenen Kompetenzen über alle untersuchten Domänen hinweg‘“ Zur bitteren Bilanz gehört es, dass unser Bildungssystem heute wieder undurchlässiger geworden ist als es in den 1970er Jahren einmal gewesen ist.

Migration und kulturelle Vielfalt

Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden. Im Jahr 2015 zogen rund 2,1 Millionen ausländische Menschen nach Deutschland. Knapp eine Million ausländische Personen kehrten dem Land den Rücken. Der entsprechende Wanderungssaldo von 1,1 Millionen ist der höchste in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein großer Anteil davon entfällt bekanntlich auf Schutzsuchende: So stammen rund 0,3 Millionen der 2015 nach Deutschland gekommenen Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Gleichzeitig setzt sich der Trend einer ansteigenden Zuwanderung aus den EU-Staaten fort, der bereits in Folge der Wirtschafts- und Währungskrise seit 2010 zu positiven Wanderungssalden nach Deutschland beigetragen hat.

In Deutschland hat heute gut jede fünfte Person einen Migrationshintergrund – in Westdeutschland fast jede vierte, in Ostdeutschland nur jede zwanzigste Person (23,9 bzw. 5,3 Prozent). Mittelfristig wird sich der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund weiter erhöhen: 2015 hatte bereits gut ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund (35,9 Prozent). In Stuttgart lag der Anteil der Migrantinnen und Migranten an der Gesamtbevölkerung 2017 bei 44 Prozent. Deutschland wird nicht nur schnell älter, es wird genauso schnell auch bunter.

Und auch mit diesen Entwicklungen verbinden sich neue Lernaufgaben. Nicht erst in einer globalisierten Welt ist es wichtig, den Umgang mit Vielfalt zu erlernen und einzuüben, damit Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Identitäten sich in gleichem Maße zur Gesellschaft zugehörig fühlen, die gleiche Chance auf Wohlstand haben, politisch Gehör finden und untereinander wertschätzende Beziehungen pflegen. (…) Es ist deutlich, dass Heterogenität nicht mehr die Ausnahme, sondern anders als in früheren Zeiten zu einer Normalität geworden ist. Christinnen und Christen tragen das Wissen um die Unterschiedlichkeit von Menschen in ihrem genetischen Code: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,28). Die biblische und christliche Tradition bieten tradierte Modelle zur Interpretation und zur Gestaltung einer sich so verändernden Gesellschaft. Diese Modelle wollen aber in neuen Kontexten auch reflektiert, diskutiert und eingeübt werden. Auch das ist mit kulturellen Lern- und Bildungsprozessen verbunden.

Auch ein Verständnis von versöhntem Miteinander der unterschiedlichen Menschen kann nicht einfach hergestellt oder verordnet werden. Wir erleben das aktuell. Es erfordert eine Menge sozialer und kultureller Kompetenzen. Damit sind weitere Herausforderungen für ein Bildungsverständnis von Kirche und Diakonie beschrieben. Es stimmt: „Bildung schafft Begegnungsräume, in denen Menschen sich selbst und andere erleben.“, wie es Henrike Tetz formuliert hat.

Und auch solche Begegnungsräume sind dringend notwendig in einer Gesellschaft, in der so viel kommuniziert wird, wie noch nie, aber paradoxer Weise viele das Gefühl verbindet, das Ihnen keiner mehr zuhört. Die neue Markenkampagne der Diakonie unter dem Hashtag #zuhören und das neue Schwerpunktthema der Diakonie „Kennen.Lernen“ werden sich mit der Frage beschäftigen, welchen Beitrag Diakonie und Kirche zu entsprechenden Bildungs- und Meinungsbildungsprozessen leisten können. Sie wollen Orte entwickeln helfen, wo analoge Begegnungsformen entwickelt und glücklich so gestaltet werden können, dass Hören und konstruktives Streiten als Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens weiter eingeübt und mit guten Erfahrungen verbunden wird.

Relevanzverlust: Kirche und Diakonie

Die hier nur skizzierten grundlegenden Veränderungen verändern auch die Rahmenbedingungen kirchlicher und diakonischer Arbeit selbst grundlegend. Auch wenn sprudelnde Kirchensteuereinnahmen und eine immer noch wachsende Diakonie solche Einsicht trüben können: wir erleben aktuell auch eine Transformation von Kirche und Diakonie. (….) Der gesellschaftliche Trend zur Säkularisierung der bundesdeutschen Gesellschaft, hier verstanden als Rückgang der Kirchlichkeit und Ablösung vom christlichen Glauben und einem damit verbundenen sozialen Bedeutungsverlust von Religion, ist evident. Waren 1950 noch etwa 50 Prozent der Bevölkerung der BRD evangelisch, in Deutschland 1990 noch knapp 37 Prozent, so verringerte sich diese Zahl bis 2012 auf ca. 27 Prozent. (…)

Der Einfluss der Religion auf das öffentliche Leben wird indirekter und diffuser. Teilweise ist er offen unerwünscht. Das lässt sich in Berlin handfest erleben. Die selbstverständliche Prägung zentraler gesellschaftlicher Werte wie etwa Freiheit, Verantwortung, Gleichheit und Solidarität durch christliche Vorstellungen nimmt ab, sie will und muss erklärt werden. Auch dazu braucht es Bildung und neue Formate von Bildungsangeboten auch innerhalb unserer kirchlichen und diakonischen Einrichtungen: für haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu einer neuen Zielgruppe des Bildungshandelns von Kirche und Diakonie werden, was kulturelle Kompetenzen, aber genauso auch das Wissen um die eigene Religion angeht. (…)

Vor dem Hintergrund dieses Rückganges der Verbundenheit zur Kirche und zum kirchlichen Leben ist es erstaunlich, dass und in welchem Maße christliche Bildungsangebote – wie z.B. konfessionelle Kindergärten oder Schulen – und diakonische Dienste gleichwohl immer stärker nachgefragt werden. So sehr diese Entwicklung zu begrüßen ist, geht es auch darum, unsere Bildungsangebote von den Fragen kirchlicher Wertebildung und Verbundenheit nicht einfach zu entkoppeln.

„Vernetzung der verschiedenen Bildungsangebote“ ist ein weiteres wichtiges Stichwort in der aktuellen bildungspolitischen Debatte. Kitas arbeiten mit Grundschulen und Familienzentren zusammen, werden zu Familienzentren, die mit Beratungsstellen und hoffentlich auch mit Kirchengemeinden und anderen Partnern im Stadtteil zusammenarbeiten. Förderschulen kooperieren mit der Jugendhilfe, etwa mit familienersetzenden Angeboten von betreutem und begleitendem Jugendwohnen. Die Qualität der neuen Ganztagsschulen wird sich auch an der Verknüpfung von guten schulischen und außerschulischen Bildungsangeboten entscheiden.

Und auch Kirchengemeinden oder Kirchenkreise sollten zum Ausgangspunkt lokaler und regionaler Vernetzung von Bildungsangeboten werden, schlägt die Orientierungshilfe des Rates der EKD „Kirche und Bildung“ vor. Auch das setzt Fähigkeiten und Kenntnisse voraus. „Diakonische Kirche mit Anderen“ – unter diesem Begriff arbeiten wir aktuell im Rat an Kooperationsformen von Kirche und Diakonie mit Anderen in den unterschiedlichen Sozialräumen. In der Tat sind damit auch wichtige und vielfach neue Bildungsaufgaben für Kirchengemeinden verbunden.

Auch mit Migration und Globalisierung ergeben sich neue Herausforderungen: Die Zahl evangelischer Kinder und Jugendlicher sinkt – auch in unseren Einrichtungen. Konfessionslose und muslimische Kinder und Jugendliche nehmen gleichzeitig verstärkt evangelische Bildungsangebote in Anspruch. Eine generelle Offenheit für Pluralität und ein erkennbares evangelisches Profil sollten dabei keine Gegensätze sein. Sie erfordern aber eine neue Kunst der kultursensiblen, anspruchsvoller werdenden didaktischen Vermittlung.“

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Wenn Sie weiterlesen möchten: Den ganzen Vortrag „Bildungsverantwortung von Kirche und Diakonie in Zeiten der Transformation“ finden Sie hier.