Die Zusammenarbeit von Juristen und Theologen aus dem Raum von Kirche und Diakonie erlebe ich in diesen Wochen in einer neuen Qualität. Wir haben uns zusammen auf den Weg gemacht, das kirchliche Arbeitsrecht weiter zu entwickeln und die Frage zu beantworten, für welche Stellen eine Kirchenmitgliedschaft erforderlich ist. Wieder einmal, mögen einige nun denken.
In der Tat geht es um unsere Loyalitätsrichtlinie. In einer Zeit der Umbrüche, in denen die Gesellschaft mit großer Geschwindigkeit immer diverser wird und zugleich die Zahl der Kirchenmitglieder abnimmt, verändern sich auch unsere Anforderungen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich auch unsere Aufgaben verändern. Wenn Bewohnerinnen oder Patienten, Kinder in der Kindertagesstätte oder die Klienten in der Beratungsstelle immer diverser werden, brauchen wir kulturelle Kompetenzen, das heißt auch diversere Mitarbeitende.
Klar ist, dass die Diakonie auch zukünftig als der Sozialverband der evangelischen Kirche erkennbar bleiben muss. Und klar ist auch, dass wir neue Antworten finden müssen auf die damit verbundene Gestaltungsfrage – nicht zuletzt, nachdem uns höchste Gerichte den Weg gewiesen haben.
Denn die Regelungen, die wir treffen, müssen in der praktischen Umsetzung nicht nur den veränderten Erfordernissen unserer evangelischen Einrichtungen Stand halten, sondern auch der Überprüfung durch staatliche Gerichte. Rechtsstaatlichkeit und der Schutz vor Diskriminierung sind Werte, die für Kirche und Diakonie im demokratischen Gemeinwesen schlechterdings konstitutionell sind. Daher hat es in der vergangenen Zeit mehrere Prozesse gegeben, die klären sollen, welche Anforderungen an Kirchenmitgliedschaft in einem Bewerbungsverfahren gestellt werden können.
Kirchenmitgliedschaft kann erwartet werden
Im wohl bekanntesten Verfahren, das auf evangelischer Seite geführt wird, dem Fall Vera Egenberger ./. Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE), hat die Diakonie Deutschland jetzt das Bundesverfassungsgericht um die Prüfung vorausgegangener Entscheidungen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht gebeten. Grundsätzlich, so die Luxemburger und Erfurter Richter, könnten Kirche und Diakonie die Kirchenmitgliedschaft erwarten, wenn dies bei der zu besetzenden Stelle für das Ethos der Organisation entscheidend sei.
Doch was ist das Ethos unserer Organisation? Diese entscheidende Frage nach unserem Selbstverständnis ist komplex. Sie lässt sich weder von Theologen oder Juristen allein, sondern nur interdisziplinär beantworten. Darum arbeiten wir daran in einer gemeinsamen Kommission: mit Theologen und Kirchenjuristen von EKD und Landeskirchen, aus der Diakonie Deutschland, diakonischen Landes- und Fachverbänden sowie selbstverständlich auch den Unternehmen.
Den aktuell gültigen Rahmen haben wir erst 2017 gesetzt, in dem wir unsere Loyalitätsrichtlinie angepasst haben. Darin ist nun festgeschrieben, für welche Stellen eine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche weiterhin zwingend erforderlich ist – nämlich für die Aufgaben von Verkündigung, Seelsorge und Religionsunterricht. Auf hervorgehobenen Leitungsposten erwarten wir die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche – und haben beispielsweise auch viele Führungskräfte katholischer Konfession in unseren diakonischen Einrichtungen. Darüber hinaus gibt es Stellen, in denen nach der Richtlinie auf eine Kirchenmitgliedschaft verzichtet werden kann.
Loyalitätsrichtlinien weiterentwickeln
Doch diese Leitsätze gilt es nun weiterzuentwickeln. Die Beratungen sind noch im Gange, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die bisherige so genannte Loyalitätsrichtlinie in die Richtung einer Profilrichtlinie weiter entwickelt werden sollte. Unsere Überlegungen setzen dabei voraus, dass in Kirche und Diakonie die vier Grundvollzüge von Leiturgia (Gottesdienst), Diakonia (Diakonie), Martyria (Zeugnis) und Koinonia (Gemeinschaft) zusammen wirken als Gottes Dienst – und als Gottesdienst – in der sich ändernden Welt. Den Kirchenmitgliedern unter unseren Mitarbeitenden kommt dabei die Rolle zu, dass sie in immer säkularer und multireligiöseren Umfeldern ansprechbar auf ihren Glauben sind. Im glücklichen Fall können sie erklären, warum sie aus christlicher Motivation heraus handeln. Noch besser ihren Glauben einladend und überzeugend leben und feiern. Ihre Haltung prägt nicht nur ihr persönliches Handeln, sie prägt gleichzeitig die Atmosphäre und Ausstrahlung einer Station oder einer Kindertagesstätte. Ist die in einem kirchlichen oder diakonischen Haus nicht mehr erlebbar, dann ist es nicht mehr unterscheidbar von anderen säkularen Anbietern.
Diversität leben
Was bedeutet das nun für eine neue Richtlinie, die den Rahmen der Anforderung an Kirchenmitgliedschaft regeln soll?
Erstens heißt es schlicht und einfach, dass wir mit dem bisherigen Regel-Ausnahme-Prinzip nicht mehr weiter kommen, nach dem grundsätzlich Mitarbeiter bei Kirche und Diakonie auch Mitglieder der Kirche sein müssen und nur in Ausnahmefällen nicht. Dazu verändert sich die Gesellschaft (und damit auch der Arbeitsmarkt) zu schnell. Außerdem sind in immer diverseren Umfeldern auch bei Kirche und Diakonie Teams nötig, die Diversität nicht nur kennen, sondern auch leben. Wir wollen nicht nur zeigen, dass das friedliche und bereichernde Zusammenleben der immer unterschiedlicher werdenden Menschen möglich ist. Wir glauben, dass es Gottes Wille ist, dass wir uns dafür in den Dienst nehmen lassen. Das ist Gesellschaftsdiakonie.
Zweitens wird es künftig nicht mehr ausreichen, die Frage der Anforderung an Kirchenmitgliedschaft schlicht nach Funktionen zu differenzieren. Denn eine zentrale reformatorische Erkenntnis ist die Priesterschaft aller Gläubigen – und das evangelische Ethos kann und will von allen in einer Einrichtung mitgeprägt werden: vom Chefarzt oder Bischof genauso wie vom Fahrer oder der Reinigungskraft.
Und drittens bedeutet das, dass wir künftig stärker im jeweiligen Kontext konkretisieren müssen, wodurch die evangelische Prägung einer Einrichtung gewährleistet werden soll. Welche Mitarbeitende werden dazu benötigt? In welchem Kontext arbeitet die Person, die eingestellt werden soll? Dass Verkündigung und Seelsorge weiterhin die Zugehörigkeit zur Kirche erfordern, ist unstrittig. Aber auch in einer diakonischen Pflegeeinrichtung kann es nötig sein, dass dort, wo beispielsweise schon acht Mitarbeitende arbeiten, die nicht einer Kirche angehören, die zwei weiteren evangelisch sind, um eben das evangelische Profil sicherstellen zu können.
Profilrichtlinie muss alltagstauglich sein
Wird das Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft aller Mitarbeitenden zukünftig als bleibend wichtiges, aber nicht mehr als einziges Identitätsmerkmal einer diakonischen Einrichtung verstanden, führt dies zu einer besonderen Verantwortung der Aufsichtsorgane und der Leitungen sowohl für die Qualität, als auch für die konkrete Gestaltung des christlich-ethischen Profils in den Arbeitsvollzügen, den geistlichen Angeboten und der Organisation einer evangelischen Einrichtung vor Ort.
All diese Überlegungen sollen einfließen in die künftige Profilrichtlinie. Sie muss alltagstauglich sein und nicht zu kompliziert. Sie soll ermöglichen helfen, dass auch Nicht-Theologen und Nicht-Juristen die anstehenden Fragen vor Ort nachvollziehbar klären können. Dies kann aber nicht mehr nach Schema F geschehen. Der Rahmen der Einrichtung, aber auch der Arbeitsplatz müssen anhand dieser Hilfe im jeweiligen Kontext individuell beschrieben werden. Kirche und Diakonie in einem grundsätzlich veränderten Umfeld zu sein, stellt uns vor neue Herausforderungen und Aufgaben.
Für alle, die damit zu tun haben werden, bedeutet das ein Umlernen und sicher zumindest in der Anfangsphase auch mehr Arbeit. Es bietet aber die Gewähr dafür, dass wir auch in der diverser und säkularer werdenden Gesellschaft rechtssicher und überzeugend (er-)klären können, worin das Ethos unserer Arbeit im Blick auf das Ganze und die konkrete Tätigkeit im Einzelnen besteht. Wir sind auf dem Weg von einer Volkskirche zu einer Mehrheits-, in manchen Regionen längst zu einer Minderheitenkirche. Auch dann wollen wir in der Kirche und Diakonie ansprechbar für alle Menschen bleiben: Kirche und Diakonie mit Anderen. Darum entwickeln wir die Loyalitätsrichtlinie nun zu einer Profilrichtlinie weiter.