Wir sollen uns davor hüten, „unsere Werte und Rechtsauffassungen durch politischen Aktionismus zu opfern, nur um einige Tausend Menschen ohne Bleibeperspektive vielleicht einige Wochen schneller aus dem Land zu bekommen.“ Sage nicht ich, das meint Jörg Radek, der Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Rechtsstaatlichkeit sei auch im Wahljahr wichtig.
Als Diakonie-Präsident kann ich dem nur zustimmen und ergänze: Wer beim Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern zu ängstlich auf die Reaktionen aus der ultra- rechten Ecke schielt, droht „Maß und Mitte“ und unsere erkämpften Werte genauso wie unsere Verfassung aus dem Blick zu verlieren.
Gestern hat die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten darüber gesprochen, wie es gelingen kann, abgelehnte Asylbewerber schneller und konsequenter in ihre Heimatländer abzuschieben, zum Beispiel nach Afghanistan. Es ging darum, ob und wie die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern effektiver organisiert werden kann. Neue Begriffe, die wir in diesen Tagen lernen, sind „Bundesausreisezentren“ oder „Vollzugszuständigkeiten“ oder „Ausreiseprämie“. Das ist die Sprache der Bürokratie, ich traue ihr nicht. Sie birgt immer die Gefahr, den Blick auf die Not von verfolgten Menschen zu verstellen. Ja, wir müssen auch geflüchtete Menschen, die hier ohne rechtliche Grundlage leben, abschieben – aber wir müssen uns genauso engagiert weiterhin mit der Leib und Leben bedrohenden Not der Geflüchteten, also den Themen Flucht, Migration, und somit auch Integration beschäftigen. Besser wir gewöhnen uns daran: Nur Mauern zu bauen, Grenzen hochzuziehen, um Europa herum als Reaktion auf Zuflucht- und Zukunftsuchende wäre einfach grotesk. Menschenrechtlich genauso wie im wohlverstandenen und nachhaltigen Sinn auch sicherheitspolitisch. Darum ist eine politische Konzentration der Debatte auf Abschiebungen kurzsichtige Augenwischerei.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ja, Menschen, die kein Recht auf Asyl in Deutschland, in Europa haben, können und müssen nach Hause zurückgeschickt werden – vorausgesetzt, ein Leben in Sicherheit und Würde ist dort möglich. Das ist in Afghanistan derzeit nicht der Fall, wie alle unabhängigen Einschätzungen sagen.
Wer den Schleusern und den Rechtspopulisten das Handwerk legen will, muss mit langem Atem und einem engagierten Beitrag daran arbeiten, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen. Und sollte – wie der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs jetzt vorgeschlagen hat, ‚Asyl -Visa‘, also humanitäre Visa für besonders bedrohte Menschen zum Beispiel in Syrien schaffen. Wenn wir endlich sichere Zugangswege für Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Gewalt schaffen würden, würde das Schlepper wirkungsvoll bekämpfen helfen und gleichzeitig Schutzbedürftige wirkungsvoll schützen. Und einer an den Menschenrechten orientierten Politik muss es darum gehen, Schlepper und nicht die Flüchtlinge zu bekämpfen!
Um das zu erreichen, brauchen wir neue Allianzen. Die Offene Gesellschaft hat viele Freundinnen und Freunde – in Deutschland wie in Europa. Wir sind gefragt. Egal, wo wir arbeiten. Ich habe Jörn Radek von der Gewerkschaft der Polizei in einem Radio-Talk nach dem Berliner Terroranschlag kennengelernt: ein besonnener Gesprächspartner. Es ging unter anderem um die sicherheitspolitischen Konsequenzen aus dem feigen Anschlag in Berlin. Elektronische Fußfesseln, stärkere Videoüberwachung, bessere Ausrüstung der Polizei etc. Wir waren uns einig: Diese Maßnahmen können zur Sicherheit beitragen, aber nur wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, dass die Menschen in unserem Land – egal ob geflüchtet, eingewandert oder geboren – eine Zukunft sehen. Das meint Integration: Zukunft sehen. Und darum bleibt eine engagierte Integrationspolitik auch die beste und nachhaltigste Friedens- und Sicherheitspolitik, auch für Deutschland und Europa. Ein einseitiger Wettbewerb um zügigere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber oder Lager gar in Libyen dagegen gehört in die Kategorie Politik, die sich den eigentlichen Herausforderungen nicht stellt. Den Preis dafür zahlen wir alle – zuerst aber die Schwächsten. Viele mit ihrem Leben.