#Unteilbar und die besorgten Bürger

Samstag ist Unteilbar-Tag: Großdemonstration in Berlin unter dem Motto „Solidarität statt Ausgrenzung – für eine offene und freie Gesellschaft“: Diakonie Deutschland und Brot für die Welt unterstützen mit vielen anderen #unteilbar, weil Mitmenschlichkeit nicht verhandelbar ist.“ Mit diesem Satz und einem Hashtag-Foto haben meine Vorstandskollegin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, und ich schon Anfang des Monats dazu aufgerufen, sich zu beteiligen. Auf der Facebookseite der Diakonie zum Beispiel. Das gab kritische Reaktionen.

#UNTEILBAR: Aufruf zur bundesweiten Demonstration für Solidariät statt Ausgrenzung am 13. Oktober in Berlin.  © www.unteilbar.org

Einer schrieb: „Manche begreifen es wirklich nie. Es geht nicht um eine offene Gesellschaft. Es geht um massive Zuwanderung. Wir können nicht die ganze Republik zu betonieren. Es gab mal den Spruch: Das Boot ist voll. Ich habe diesen Spruch früher immer als Quatsch abgetan. Heute bin ich der Meinung, dass das Boot sehr wohl voll ist. Keine Wohnungen, riesige Summen für Sozialhilfe für Menschen, die in Deutschland noch nie was geleistet haben. Also auch keinen Cent in die Kassen bezahlt haben. Wie stellen sich dies die Gutmenschen in dieser Republik vor? Die Antwort wird eine erstarkte AfD sein!“

Besorgte Bürger gehören dazu

Dieser aufgebrachte Mann, sein Profilname ist Rudolph Homer, wird vermutlich am Samstag nicht nach Berlin reisen, um zu demonstrieren. Das ist schade. Ich hätte ihn und seine Freundinnen und Freunde gerne dabei. Auch sie sind unteilbar Teil unserer freien und offenen Gesellschaft und können sie mitgestalten, für sie eintreten.

Rudolf Homer gehört dazu und verhält sich auch so: Er nutzt in seinem Kommentar die Meinungsfreiheit, die unsere Gesellschaft garantiert. Er skizziert seinen persönlichen Lernweg, zeigt, dass ihm der Sozialstaat und seine Finanzierung nicht gleichgültig sind, äußert berechtigte Sorgen an der Wohnungsnot im Land. Ökologische Fragen, Gerechtigkeit sind ihm ein Anliegen, und er stellt die wirklich wichtige Frage zur Zukunft der Republik. Nur für eine offene Gesellschaft lässt er sich nicht einspannen. Obwohl er von ihr profitiert!

Gutmenschen am Werk

Es gibt viele in unserm Land, die ähnlich ticken wie Homer. Die sich nicht als Teil der offenen Gesellschaft verstehen, und die sich auch nicht einladen lassen wollen zu unserer großen Demonstration in Berlin. Sie sehen nur „Gutmenschen“ am Werk, die mit der „offene Gesellschaft“ das Thema verfehlen und keine Antwort geben, auf die drängenden Fragen von Migration und Integration.

Wir „Gutmenschen“ dagegen sind allzu schnell geneigt, in den anderen die „Feinde der offenen Gesellschaft“ zu erkennen. So stehen wir voreinander und schütteln die Köpfe über das rätselhafte Verhalten der anderen. Manche schütteln auch Fäuste.

Reizwort Offene Gesellschaft

Der Begriff „Offene Gesellschaft“ ist in diversen Diskussions-Zusammenhängen zu einem Reizwort geworden, der das Gespräch eher behindert als ermöglicht. Zu Unrecht! Vielleicht bräuchte es ein neues, ein unverbrauchteres Wort. Kampfbegriffe helfen in den anstehenden Debatten jedenfalls nicht weiter.

Vielmehr lohnt es sich, sehr genau hinzuhören, wie sich Menschen von der Offenen Gesellschaft distanzieren: Manche sind tatsächlich rechtsextrem, für die gibt es einen wehrhaften und selbstbewussten Rechtsstaat, der entschieden gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus oder Antiislamismus oder anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und mutwilliger Demokratiebeschädigung vorzugehen hat.

Andere wirken dagegen eher genervt vom „Stallgeruch“ der Offenen Gesellschaft, dem Milieu, in dem der Stolz und auch die Wut der Kleinbürgerin keinen Platz hat, und wieder andere befürchten schlicht, dass eine offene Gesellschaft und offene Landesgrenzen (ergo „grenzenlose Einwanderung“) ein und dasselbe sind. – Ich bin überzeugt: Zuhören und Streiten hilft hier weiter, und weder Zuhören noch Streiten ist einfach.

Wir sind Zivilgesellschaft

Samstag ist also Unteilbar-Tag. Ich hoffe, dass es gelingt, viele Zehntausende in Berlin zu versammeln – über alle möglichen Gesinnungsgrenzen hinweg. Das wäre ein starkes Zeichen. Mir geht es übrigens auch so, dass ich nicht jedem Teil des Aufrufs zu #unteilbar uneingeschränkt zustimme. Aber für mich stimmt doch die Richtung. Das geht wohl den meisten so, die sich entschieden haben, den Aufruf zu unterstützen oder ihm zu folgen.

„Solidarität statt Ausgrenzung“ ist ja ein großer gemeinsamer Nenner, auf den sich zivilgesellschaftliche Gruppierungen unterschiedlichster Art zusammen bringen lassen. Und ich finde, unser Land braucht derzeit Erfahrungen eines neuen Wir, das sich ohne Hass und fehlgeleitetes Heimat-Tamtam formuliert. Im Hambacher Forst hat sich am vergangen Wochenende so ein Wir für Naturschutz und eine nachhaltige Klimapolitik zu Wort gemeldet. Die Zivilgesellschaft wacht auf.

Diese wache Zivilgesellschaft ist die wichtigste soziale Ressource Deutschlands. Dass sie sich entfalten kann, eine Konsequenz unserer offenen Gesellschaftsordnung. Und die große Mehrheit dieser Zivilgesellschaft macht sich für Demokratie und Menschenrechte stark, und will sich den Jahrhundertherausforderungen Klimawandel, Globalisierung, Migration und Digitalisierung konstruktiv stellen.

Unteilbar – für unsere Kinder

Und das sind die Themen, denen sich die offenen Gesellschaften und starken Demokratien auf unserem Planeten jetzt anzunehmen haben. Im Interesse aller Menschen und ihrer Rechte auf diesem unbegreiflich erwählten Planeten, auch im Interesse unserer Kinder und Enkelkinder.