Wer wahrt die Interessen sehr alter und sehr kranker Menschen in unserer Gesellschaft? Auf der Prioritätenliste politisch Verantwortlicher stehen sie zu oft sehr weit hinten. In dieser Woche erst mussten wir – EKD und Diakonie Deutschland – einen parlamentarischen Abend zur Palliativen Versorgung am Lebensende absagen: Es gab zu wenig Anmeldungen. Eigentlich erstaunlich. Denn es geht ja nicht nur um das menschenwürdige Sterben unserer Eltern und Großeltern, sondern auch um unser eigenes. Und um die Frage, was uns das 4. Gebot im aktuell so viel beschworenen christlichen Abendland eigentlich wert ist.
Drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Hospiz- und Palliativgesetzes von 2015 ist zwar einiges geschehen. Aber es gibt doch dringend politischen Gesprächsbedarf. Das Positive zuerst: Eine Studie der Universität Augsburg zeigt, dass viele Einrichtungen die hospizlich-palliative Versorgung am Lebensende weiterentwickelt haben.
Es wurden Konzepte erarbeitet, um den körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen älterer Menschen in der letzten Lebensphase gerecht zu werden. Es wurden Mitarbeitende qualifiziert und Netzwerke mit ambulanten Hospizdiensten und interdisziplinäre Palliativteams begründet. Wir sind auf einem guten Weg.
Das große Aber
Das große Aber ist struktureller Natur: Zur Umsetzung all der guten Konzepte fehlen immer noch die notwendigen personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Zu oft hängt die palliative Kompetenz einer Einrichtung am Engagement einzelner Mitarbeitenden. Das Recht auf palliative Versorgung überall dort, wo Menschen sterben, nicht nur im Hospiz, sondern eben auch im Pflegeheim oder zuhause, hat immer noch eine sehr labile Basis.
Denn neben der fachlichen Kompetenz ist nach wie vor Zeit das wichtigste Element der palliativen Sorge am Lebensende. Zeit zum Reden oder einfach um anwesend und aufmerksam zu sein. An der Bettkante sitzen, den Tee reichen, zuhören. Die Lippen befeuchten. Vielleicht leise ein Lied singen.
Wo Angehörige und Freunde dies nicht leisten können oder wollen, müssen Mitarbeitende in stationären Pflegeeinrichtungen in die Lage versetzt werden, auch an Wochenenden und in der Nacht für ihre Alten da zu sein – mit medizinischer und menschlicher Kompetenz. Denn eine umfassende und vorausschauende medizinische und pflegerische Planung, die absehbare Krisen in den Blick nimmt und so abmildert, ist eine wichtige Voraussetzung. Das ewige Hin und Her hochaltriger, schwerkranker Menschen zwischen Heim und Krankenhaus ist zum größeren Teil vermeidbar und muss endlich ein Ende haben.
Der Wert unserer Alten
Gäbe es die ambulanten Hospizdienste mit ihren Ehrenamtlichen nicht, wir müssten oft auch in den Pflegeeinrichtungen der Diakonie die Segel streichen. Engagiert kümmern sie sich um die persönliche Begleitung sterbender Menschen – dieses Engagement kann nicht ausreichend gewürdigt werden. Aber auch diese stillen Alltagsheldinnen und -helden brauchen wenigstens eine qualifizierte Ansprechperson in der Einrichtung, die sie persönlich und fachlich begleitet, und eine Anerkennungskultur, die ihr Engagement würdigt.
Was sind uns unsere Alten wert? Was tun Staat und Zivilgesellschaft, um ihnen ein lebenswertes Leben bis zum Schluss zu ermöglichen? Wie gestalten wir die Rahmenbedingungen, damit ältere Menschen sich wirklich darauf verlassen können fachlich kompetent versorgt, liebevoll umsorgt und menschlich gut begleitet ins Sterben zu gehen?
Zum Sterben ins Heim
Zwar steigt die Lebenserwartung in fast allen Ländern der Welt und das Altern ändert sich. Alte Menschen haben Pläne und Träume – und setzen sie auch um. Alte Menschen sind gesünder, pflegen ihre Hobbies, engagieren sich ehrenamtlich, lernen weiter, viele arbeiten. Gott sei Dank! Ein Ideal, das nur das Leben des gesunden leistungsstarken Menschen als lebenswert gelten lässt, regiert aber inzwischen auch im hohen Alter.
Auf die wirklich letzte Phase des Lebens zu blicken, wird darum nur zu gerne vermieden. Die Zeit vor dem Tod aber wird für die meisten von uns eben doch mit umfassender Pflegebedürftigkeit verbunden sein. Viele verbringen Ihre letzte Lebensphase in einer stationären Pflegeeinrichtung.
Sie kommen immer später in die stationäre Pflege, bleiben immer kürzer und sterben unter zunehmend komplexeren Bedingungen.
Schätzungsweise 25 Prozent der Menschen beenden ihr Leben in einem Heim, nicht immer begleitet von Angehörigen und Freunden. Ein noch größerer Anteil verstirbt im Krankenhaus. Oft allein und unbegleitet.
Leben bis zum Ende
Nur eine gute palliative Versorgung schützt das Leben – seine Würde und sein Recht – bis zu seinem Ende. Sie lindert die Angst vor einem schweren Sterben. Wie eine solche palliative Versorgung am Lebensende tatsächlich die Regel werden kann, darüber hätte ich mit anderen Fachleuten in dieser Woche gerne mit unseren Abgeordneten diskutiert.
Wir werden sicher eine andere Gelegenheit finden. Denn wir brauchen dringend ein Konzept, dass die palliative Versorgung in den stationären Altenpflegeinrichtungen nachhaltig verbessert.
Zum Weiterlesen:
Ulrich Lilie, Wolfgang Beer, Edith Droste, Astrid Giebel (Hrsg.):
_Würde und Selbstbestimmung sichern. Blinde Flecken in der Begleitung und Betreuung sterbender alter Menschen, Hospiz Verlag, Esslingen 2018.
_Auf dem Weg zur Sorgekultur. Blinde Flecken in der alternden Gesellschaft, Hospiz Verlag, Esslingen 2018.
_Würde, Selbstbestimmung, Sorgekultur. Blinde Flecken in der Sterbehilfedebatte, Hospiz Verlag, Esslingen 2015.