WIR&HIER und Corona

Unter anderen Umständen wäre ich heute auf dem „WIR&HIER“-Kongress in Hamburg. Darum soll es im Blog in dieser Woche gehen.

Ich möchte einmal kurz aus dem aussteigen, was meinen Alltag – wie den vieler anderer – rund um die Uhr dominiert, und was ich in den vergangenen Wochen hier immer thematisiert habe: die Arbeit in Zeiten der Corona-Krise. Für die Menschen, die auf die Diakonie angewiesen sind: Damit sie verlässliche Unterstützung behalten. Und für unsere Kolleginnen und Kollegen: Damit sie ihre Arbeit jetzt tun können u n d in Zukunft.

Aber heute:“WIR&HIER“.

Kongress-Logo
Wir arbeiten daran, dass Wir&Hier – ursprünglich geplant für 2020 – im kommenden Jahr nachgeholt wird. Bild: Diakonie Deutschland/gobasil GmbH Agentur für Kommunikation.

Abgesagt und angesagt

Fast 500 Menschen aus Diakonie, Kirche und theologischer Wissenschaft wollten sich eigentlich in Hamburg treffen. Beim wissenschaftlichen Symposium „Religion im Sozialraum“ und eben dem Kongress „WIR&HIER – Gemeinsam Lebensräume gestalten“ hätten wir mit Teilnehmenden aus dem ganzen Bundesgebiet und Europa darüber nachgedacht, wie Kirche und Diakonie zusammen mit anderen Partnern zukunftsfähig ihren gemeinsamen Auftrag wahrnehmen.

Doch Corona hat natürlich auch den Veranstalterinnen Diakonie Deutschland und der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen Strich durch die Rechnung gemacht. Derzeit wird aber schon geprüft, wie und wann ein neuer Termin im kommenden Jahr möglich sein wird. Denn die Fragen, die „WIR&HIER“ stellt, bleiben uns schließlich erhalten. Beziehungsweise: Sie gewinnen im Ausnahmezustand eher noch an Dringlichkeit.

Corona verstärkt

Corona verstärkt, meine ich, mit Nachdruck unsere Frage, ob und wie wir als Kirche und Diakonie in unseren Nachbarschaften als unterstützend wahrgenommen werden. Und ob „da draußen“ überhaupt ankommt, dass wir zusammengehören.

Etwa die Not im Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg. Sie  ist, sollte, auch ein Thema der dazugehörenden Kirchengemeinde sein, weil ja beide – theologisch steil gesprochen – „Leib Christi“ sind. Aber wird diese Zusammengehörigkeit auch erlebt und gelebt?

Kann erlebt werden (und erleben wir es selber so), dass der Youtube-Gottesdienst am Frühstückstisch aus der Gethsemanekirche in Berlin e i n Ausdruck der Menschenfreundlichkeit Gottes sein möchte, und die verlässliche professionelle Arbeit der ambulanten Altenpflege in Oldenburg ein anderer Ausdruck derselben Menschenfreundlichkeit ist?

Für alle da sein

Gerade in diesen herausfordernden Ausnahmezeiten wird für mich besonders anschaulich, dass Kirche nur Kirche Jesu Christi sein kann, wenn sie unterschiedslos für alle Menschen da sein will. Wenn Gottesdienst und Dienst am Menschen sich miteinander verschränken. Nur so wird eine kleiner werdende Kirche auch in unserer säkularen und multireligiösen Gesellschaft eine Kraftquelle für viele, sehr unterschiedliche Menschen bleiben.

Es wirkt nach innen, in die Kirchengemeinden, und nach außen in die Kommunen, wenn unsere Mitmenschen in unserer diakonischen und gemeindlichen Arbeit, die verlässliche Erfahrung machen, dass sie vorbehaltlos gesehen und unterstützt werden – unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung. Genauso, wie der Vater im Himmel es will.

Praxis und Problem

In der Diakonie ist das tägliche Praxis. In diakonischen Einrichtungen helfen und begleiten wir jeden Menschen, der danach fragt. Ein Diakonie-Problem ist mitunter, dass zu den Professionalitäten der unterschiedlichen Arbeitsfelder – von Schuldnerberatung bis Intensivmedizin – nicht in erster Linie gehört, die eigene Arbeit mit dem menschenfreundlichen Gott zusammenzudenken. Das ist so. Aber trotzdem sind wir Kirche. Und brauchen dabei die „verfasste“ Kirche.

Das große WIR

Beispiel: In diesen Tagen sind viele, nicht nur in der Diakonie, neben ihrer normalen Arbeit anders gefordert: seelsorgerlicher. Das kann überfordern, da kann das KnowHow anderer aus dem großen WIR helfen.  Darum bin ich dankbar für die praktische Hilfe, die einige Theologieprofessor*innen in den vergangenen Tagen im Internet unter dem Stichwort „Covid-Spiritual care“ digital auf den Weg gebracht haben. Aus der Universität für unsere Pflegekräfte. Das ist WIR&HIER mal anders.

Öffnung leben

Oder: Manche evangelische Gemeinde, deren Kirche unter der Woche sonst geschlossen hat, öffnet in dieser gottesdienstarmen Zeit die Kirchentür auch alltags. Wenigstens für Stunden. Und Menschen kommen, die sonst nicht kommen.

Sitzen – in gebührendem Abstand – alleine in der Stille, atmen die fremde Luft, zünden eine Kerze an, hinterlassen auf den angebotenen Zetteln ihre Sorgen und Wünsche. Manche suchen und finden – mit gebührendem Abstand – einen Gesprächspartner und erleben die Kirche als offen, als einen Ort, an dem sie ohne Vorleistung einfach sein dürfen.

Diese offenen Kirchentüren zeigen, wie einfach „WIR&HIER“ mitunter sein kann. Auch die steile digitale Lernkurve, die viele Gemeinden derzeit erleben, bewirkt eine Öffnung – und die wirkt auch in die außerkirchliche Öffentlichkeit.

Neue Erfahrungen

Darüber werden wir reden im kommenden Jahr, wenn wir dieses Virus hoffentlich besiegt haben und die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen bearbeiten. Wir werden noch viele andere neue Erfahrungen gemacht haben, wenn der ersehnte normale Alltag uns wieder hat.

Denn diese Zeiten erschüttern das für so viele kaum hinterfragte selbstverständliche Sicherheitsgefühl massiv – das selbstverständliche Sicherheitsgefühl von Einzelmenschen, aber auch von Verbänden und Einrichtungen, Kirchengemeinden oder Landeskirchen. Wir sind alle finanziell und spirituell herausgefordert.

Das Leben nach (oder mit dem gebändigten) Corona-Virus wird anders aussehen als das Leben davor.

Besonnenheit!

Bis dahin sammeln wir Ideen, setzen auf den Geist der Besonnenheit und lesen im aktuellen zeitzeichen den Themenschwerpunkt „Kirche und Diakonie – Warum es nur gemeinsam und mit anderen geht“.

Bleiben Sie behütet.