„Fröhlich soll mein Herze springen“ ist ein eher unbekanntes Weihnachtslied. Kirchen-Insider mögen hier widersprechen. Aber machen wir uns nichts vor: Gegen „Stille Nacht“, „O, Tannenbaum“ oder „I‘m dreaming of a white Christmas“ kommt der Paul Gerhardt/Johann Crüger-Klassiker aus dem 17. Jahrhundert nicht wirklich an.
Und in diesem Jahr wirken die alten Worte zudem für viele fast unpassend euphorisch. Fröhlich soll mein Herze springen? Ich denke da an ein hüpfendes Kind. – Wir von Diakonie Deutschland haben unseren diesjährigen Weihnachtsgruß trotzdem von diesem Lied inspirieren lassen.
Stillere Weihnachten
Ob und wo und wie oft dieses und andere Lieder überhaupt gesungen werden, darüber wird es keine Statistik geben. Aber in diesem Corona-Jahr, in dem insgesamt so viel weniger gesungen werden darf, wird auch Weihnachten stiller sein als sonst. So viel steht fest.
Vielleicht ist das angemessen in dieser Zeit, in der weltweit ein hochansteckendes Virus umgeht. Es macht vielen Angst, weil es so unberechenbar wirkt: Bei manchen löst es keine spürbaren Symptome aus, aber dennoch können sie andere infizieren. Die erkranken womöglich schwer und brauchen lange, bis sie wieder auf die Beine kommen. Viel zu viele sterben derzeit einen einsamen Tod. Wer mag da noch singen: „Fröhlich soll mein Herze springen“?
So viele Sorgen
So viele erschütterte Angehörige. So viele Menschen, die in Krankenhäusern und Pflegeheimen weit über ihre Erschöpfungsgrenze hinaus für das Leben der ihnen Anvertrauten kämpfen. Oder für ihre Lebensqualität.
So viele Menschen, die unter den Bedingungen von Quarantäne, Lockdown und Kontaktbeschränkungen leiden und ihre Verantwortung tragen – für Kinder, für Jugendliche, für Menschen mit Behinderungen, für ihre alten Eltern oder ihre Angestellten.
Für die Versorgung mit Lebensmitteln, dafür, dass Züge fahren, dass Menschen ohne Wohnung eine Anlaufstelle haben, dass Heizung und Elektrizität funktionieren. Und dafür, dass es Gottesdienste und Unterhaltung und Trost und hoffentlich auch Fröhlichkeit gibt. Trotz alledem.
Pest, Pocken und Corona
„Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen. Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren!“ So dichtet Paul Gerhardt wenige Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, wahrscheinlich in Berlin. Ganz genau wissen wir es nicht. Es ist die erste Strophe eines langen Liedes, das heute im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 36 zu finden ist. Oder natürlich im Internet.
Die Seuchen zu Gerhardts Zeit heißen Pest, Pocken und Ruhr. Der Tod ist ein Schnitter, ein Sensenmann, allgegenwärtig. Gestorben wird viel. Das wissen alle und man vergisst es nie. Gerhardt ist Anfang 40. Er ist immer noch Single, hat keine eigene Familie. Seine Eltern sind schon verstorben als er noch ein Kind war. Fröhlich soll mein Herze springen? Das war auch damals schon ein ins Gelingen verliebtes Trotzdem. Auch für den Dichter selbst.
Trotzdem Weihnachten
Und auch in diesem Jahr feiern viele – trotzdem – Weihnachten. Auch die, die nichts oder nur wenig mit dem anfangen können, was Christinnen und Christen kostbar ist. Trotzdem gibt es einen glitzernden Baum und Geschenke. Ein paar wenige Besuche, gutes Essen, Weihnachtsfilm und Weihnachts-Playlist. Und wo es das nicht gibt, wird trotzdem wenigstens eine Sehnsucht wach: nach einer „heil(ig)en Familie“, nach naher Gemeinschaft.
Einsamkeit, Streit, Lieblosigkeit sind in diesen Tagen noch schwerer zu ertragen. Und paradoxerweise kommt auch, wer sich von Brauch, Folklore und Kitsch aus Überzeugung abgrenzt, nicht wirklich an Weihnachten vorbei. An Kind und Krippe, Engelschören, Hirten und den Weisen aus dem Morgenland. An Apfel, Zimt und Mandelkern mit Weihnachtsmann, Wichteln und Rentieren: „Fröhlich soll dein Herze springen.“
Hört, hört!
„Hört, hört“ – wir beginnen unseren Diakonie-Weihnachtsgruß in diesem besonderen Jahr mit dieser auf den ersten Blick wenig weihnachtlichen Botschaft aus der dritten Zeile der ersten Strophe dieses Liedes:
Mir gefällt diese Irritation, nicht nur, weil sie mit den Motiven unserer „Zuhören/Unerhört“-Kampagne spielt, der es um Zuhören und Zugehörigkeit geht. Darum, darauf zu achten, dass alle Menschen ein Recht haben, gehört zu werden und dazu zu gehören. Wir gehören zusammen, auch wenn wir voneinander Abstand halten und auf Nähe verzichten müssen.
Mir gefällt das „Hört, hört“ auch, weil ich es mag, wenn Weihnachten als tröstende Irritation empfunden wird. Als Fest, das unseren normalen Wirklichkeitshorizont, der schnell zum Tunnelblick wird, öffnet und weitet für Gottes weiten und offenen Horizont – trotz alledem.
Dimension der Engel
Dass man den Gesang der Weihnachtsengel auch heutzutage hören kann, darauf vertraue ich. Und mit dem Wortvirtuosen Paul Gerhardt bekommt das Hören auch noch eine andere Dimension: „Wenn alle Luft laute singt“ ist ja mehr als ein akustisches Phänomen. Dann hüpft das Herz, trotz alledem.
Vielleicht dachte Gerhardt in seinem Weihnachtslied ja gar nicht nur an ein fröhlich hüpfendes Herz. Vielleicht hatte er vielmehr ein springendes, ein zerspringendes Herz im Sinn. Wer weiß, vielleicht ist die Botschaft der Engel noch besser zu hören, wenn das Herz einen Sprung und das Leben einen Riss hat?
Fröhlichkeit und Schmerz können viel enger zusammen gehen, als wir normalerweise denken. Auch der vom Leben nicht verschonte Paulus wusste von diesem trotzigen Nebeneinander : „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.“ ( 2. Kor.6,10)
Fürchtet euch nicht!
Eine gute Nachricht für alle, die es gerade in diesen Tagen schwer finden, fröhlich zu sein. „Fürchtet euch nicht“, sagt der Engel in der Weihnachtsgeschichte zu ihnen, zu uns allen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben von Herzen gesegnete und frohe Weihnachten.