Demografie, Diakonie, Denkfabrik

Krieg, Corona, Klimawandel. Seit nunmehr zwei Jahren kommen wir alle aus dem Krisenmodus nicht mehr heraus. Vor allem für die Jüngeren ist dies eine sehr lange Zeit. Mein Eindruck ist, dass Kinder und Jugendliche in der öffentlichen Debatte und in der Politik nicht die Rolle spielen, die sie spielen müssten. Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Lessons-Learned- Stellungnahme zu Corona zu recht nachdrücklich darauf hingewiesen.

Gut also, dass „Jugend“ von Montag bis Mittwoch das Thema der diesjährigen Berliner Demografie-Tage in der kommenden Woche ist.
Was bewegt jüngere Menschen in Deutschland, in Europa, in der Welt – und wie sehen ihre Zukunftsperspektiven aus?

Jugendliche demonstrieren für Klimaschutz
Jugend im Dauer-Krisenmodus: Als Greta Thunberg 2019 bei Fridays for Future in Berlin spricht, sind Corona und Krieg in der Ukraine noch nicht auf der Agenda. Foto: epd-bild/Christian Ditsch

Schwerpunkte der spannenden Tagung sind u.a. Generationenfairness und politische Teilhabe, die Folgen der COVID-Pandemie und Resilienz, die Bedeutung der frühen Lebensjahre für den Lebensverlauf sowie Strategien der Jugendpolitik. Höchste Zeit, dass wir über diese Themen diskutieren. Herzliche Einladung!

Denkfabrik auf Zeit

Seit 2017 ist die Diakonie Deutschland nun schon Mitveranstalterin dieser internationalen Denkfabrik auf Zeit. Zum sechsten Mal sorgen wir gemeinsam mit Population Europe, dem Netzwerk führender europäischer Forschungseinrichtungen im Bereich der Bevölkerungswissenschaften, dafür, dass internationale Expert:innen aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft miteinander ins Gespräch kommen. Auf der Suche nach einem konstruktiven Umgang mit den vielen Folgen des demographischen Wandels.

Als sich vor fünf Jahren die Chance ergab, in dieses hochrangige Konferenz-Format mit einzusteigen, habe wir sie gerne ergriffen. Auf den ersten Blick mag das nicht sehr „diakonisch“ im herkömmlichen Sinne wirken. Aber das täuscht: Die Demografie-Tage machen erlebbar, was es bedeuten kann, wenn Diakonie „intermediär“ unterwegs ist. Als Gastgeberin, als Brückenbauerin: „dienend und dazwischen gehend“ – wie man das griechische Verb „diakonein“ auch übersetzen kann.

Das Format führt Menschen aus Politik , Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Sichtweisen, die einander sonst nicht begegnen würden. Ohne diese Art der Kooperation ist Diakonie im 21. Jahrhundert nicht mehr denkbar: Diakonie mit anderen.

Außerdem: Besonders die Herausforderungen des demografischen Wandels, also die Frage, wie die Überalterung unsere Gesellschaft verändert, trifft bereits heute alle Handlungsfelder der Diakonie und begleitet uns durch alle aktuellen Krisen. Vom Fachkräftemangel, der Zukunft unserer sozialen Sicherungssysteme bis zum lebenslangen Lernen, jede dieser Veränderungen in unseren disruptiven Zeiten geschieht mit und in unserer alternden Gesellschaft. Wie sie reagiert und regiert wird, kann uns nicht gleichgültig sein.

Diakonie mit anderen

Es wird auch über die Bedeutung der Diakonie in der Gesellschaft entscheiden, dass und wie wir „Diakonischen“ uns mit unseren Kompetenzen in die Debatten unserer Gegenwart einbringen. Dass wir auf Augenhöhe mitdiskutieren und unsere vielfältige, komplexe Gesellschaft präsent und prägend mitgestalten, gehört zum Kerngeschäft der Verbandsarbeit.

Diakonie ist eben mehr als die wunderbare, praktische Arbeit mit den Menschen in Notlagen, die unsere Unterstützung „vor Ort“ suchen. Unsere prägende Präsenz darf auch in den (Konferenz-)Räumen, in denen Welt- und Gesellschaftsbilder verhandelt werden, nicht fehlen. Denn die hier gewonnenen Ergebnisse fließen über kurz oder lang auch in die Gesetze und Verordnungen ein, die dann wieder unser Miteinander formen. Es wäre fatal, wenn wir an diesen Debatten keinen spürbaren Anteil mehr hätten.

Die Diakonie blickt auf eine bald 175-jährige Geschichte zurück, in der sie in Theorie und Praxis mit daran gearbeitet hat, die Lebensrealitäten der Schwächsten – und damit der gesamten Gesellschaft – zum Besseren zu verändern.

Perspektive der Schwäche

Auch die Diskurse der Gegenwart brauchen diese „Perspektive der Schwäche“: Unser Menschenbild, das Wert und Würde nicht mit Leistung, sondern mit Liebe begründet. Unser Gottvertrauen, dass aus der aktualitätsverzerrenden Kurzsichtigkeit befreit.

Dazu gehört natürlich unser Engagement für ein gesellschaftliches Miteinander, das auch den Menschen das Recht auf Mitgestaltung und Selbstwirksamkeit erstreitet, die über wenig oder gar keine (Mitgestaltungs-)Macht verfügen. Und in unserer immer älter werdenden Gesellschaft gehören eben auch junge Menschen zu den eher Machtlosen. Sie müssen gehört werden, sie brauchen Gestaltungsmacht. Diese Demografie-Tage sind am Puls der Zeit.

Zeigt Plakat der Unerhört!-Kampagne
Nicht nur die Alten gehören in der Pandemie zu den hoch-vulnerablen Gruppen der Gesellschaft, deren Interessen es zu verteidigen gilt. Foto: Diakonie/Sarah Spitzer

Unerhört! Diese Jugendlichen.

Natürlich denke ich auch an die  der Diakonie: „Unerhört! Diese Jugendlichen.“ haben wir landauf landab plakatiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass in der Pandemie nicht nur die Alten zu den hoch-vulnerablen Gruppen gehören. Dass weder die Corona-Politik, noch der Umgang mit dem Klimawandel und seinen Folgen die Kinder und Jugendlichen, die jungen Erwachsenen und die Familien, in denen sie leben, aus dem Blick verlieren darf.

Die Demografie-Tage geben reichlich Gelegenheit, diesen Fragen nachzugehen. Einer der Key-Speaker am Montag wird der Jugendforscher Klaus Hurrelmann sein, der die Ergebnisse der vierten repräsentativen Trendstudie „Jugend in Deutschland, Sommer 22″ zur Diskussion stellen wird.

Ein spannendes Tool! Halbjährlich wird diese Studie erhoben, mit dem erklärten Ziel, die Sichtweisen der Jugend rascher in politische Gestaltungsprozesse einzuspeisen, um die Lebens- und Arbeitswelten in ihrer Perspektive zeitnah zum Besseren zu verändern. Wenn die Demografie-Tage dazu etwas beitragen können, bin ich mehr als zufrieden. Denn Handlungsbedarf besteht.

Hurrelmanns Trendstudie zeigt – siehe oben – eine Jugend im Dauer-Krisenmodus, deren Stimmung sich binnen sechs Monaten noch einmal verdüstert hat. Was ist zu tun? Und was ist unsere Aufgabe als Diakonie in dieser Gemengelage? Lassen Sie uns darüber ins Gespräch kommen. Wir freuen uns, wenn sie – digital – dabei sind!

Mitdiskutieren!

P.S.: Zu nahezu allen Vorträgen und Debatten kann man sich nach Anmeldung online dazu schalten. Gebühren fallen nicht an. Es wäre großartig, wenn die geballte wissenschaftliche Kompetenz eine weite kritische Öffentlichkeit findet, die das Gespräch dann in ihren Umfeldern fortsetzen würde.