Für die junge Generation

Unerhört! Diese Jugendlichen! Erinnern Sie sich an diesen Slogan aus der Unerhört-Kampagne der Diakonie?  Über Jahre haben wir auf Plakatwänden, im Internet, aber auch auf Veranstaltungen, mit dieser Kampagne fürs Zuhören geworben, dafür, dass der erste Schritt auf dem Weg zu einem Miteinander in einer Gesellschaft der Vielfältigen ist, miteinander zu sprechen, einander zuzuhören. Dass es besonders darum gehen muss, den Unerhörten Teilhabe zu ermöglichen. Denen, deren Stimmen überhört werden. Also auch den Stimmen und Meinungen der jungen Generation.

"Unerhört! Diese Jugendlichen. der Diakonie-Kampagne auf einer Wand mit Graffiti.
Bündnis für die junge Generation: Die Diakonie gehört zu den Bündnispartner:innen auf dem Weg zu mehr Teilhabe. © Diakonie/Sarah Spitzer

Wandel mit Folgen

22 Prozent der Bevölkerung gehören inzwischen zu den über 65 Jahre alten. Tendenz steigend. Der demographische Wandel verschiebt die Bevölkerungsstruktur. Das hat Folgen für die junge Generation: Folgen für die Altersstruktur des Wahlvolks, das mitaltert. Der demographisch bedingte  Arbeitskräftemangel zeitigt bereits  dramatische Folgen.

Statistiker des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnen damit, dass das Erwerbspersonenpotenzial – ohne die positiven Effekte etwa der Migration –  bis 2035 um 16 Prozent sinken würde. In dieser altersdominierten Umbruchzeit brauchen die jungen Menschen eine Lobby. Unerhört! Diese Jugendlichen.

Neues Bündnis

Das neue Bündnis für die junge Generation, zu dem die Bundesfamilienministerin Lisa Paus jetzt aufgerufen hat, nimmt diesen Dialogimpuls auf. Es geht darum, gemeinsam – in Politik und Zivilgesellschaft –  dafür zu sorgen, dass die Interessen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in politischen Debatten besser zur Wort kommen und gehört werden.

Und – noch wichtiger –, dass die jungen Menschen auch Einfluss auf Entscheidungen nehmen können, die ihre gegenwärtigen Lebensumstände und ihre Zukunft betreffen. Ich bin der Bitte, mich diesem Bündnis anzuschließen, gerne gefolgt. Gestern wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt.

Unter den 130 Erstunterzeichnenden finden sich außerdem renommierte Wissenschaftler:innen wie Jutta Allmendinger, Klaus Hurrelmann oder die Polarforscherin Antje Boetius; Ökonomen wie Marcel Fratzscher und Michael Hüther oder Kulturschaffende wie die Filmemacherin Caroline Link oder die Schriftstellerin Kirsten Boie.

Und viele weitere Persönlichkeiten, die in der Forschung, als Medienschaffende und Influencer:innen oder in Verbänden Einfluss haben, und bereit sind, diesen Einfluss mit und im Interesse der jungen Generation einzusetzen.

Geborene Partnerin

Die Diakonie mit ihren unzähligen Schnittstellen in der Arbeit mit und für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist in einem solchen Bündnis so etwas wie eine geborene Partnerin. Bundesweit gibt es in unseren Häusern und Einrichtungen rund 625.000 Plätze, an denen Kinder und Jugendliche begleitet und ermutigt werden, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.

„Diakonie“ wird nicht unmittelbar mit „Jugend“ assoziiert: Aber 162.000 Personen arbeiten unter dem Dach der Diakonie in der Kinder- und Jugendhilfe! Das sind 27 Prozent aller ihrer Mitarbeitenden. (Zum Vergleich: In der Altenhilfe sind es 30 Prozent.) Und ich rede hier „nur“ von den professionellen  Hauptamtlichen in Kindertagesstätten und Schulen, in Jugendwerkstätten, Einrichtungen der Jugendberufshilfe und -Sozialarbeit oder der Kinder- und Jugendhilfe.

Es gibt fast genauso so viele, die sich professionell, hoch engagiert und unentgeltlich jeden Tag für bessere Lebensbedingungen und Teilhabemöglichkeiten von Jugendlichen einsetzen: im Beirat der Kindertagesstätte, als Lesepatinnen oder bei der Hausaufgabenhilfe, als Beschwerde-Ombudspersonen, wenn es um Kinderrechte und Kindeswohl geht.

Immer mit betroffen

Und die Belange der jungen Generations spielen ja nicht nur dort eine Rolle: In den diakonischen Beratungsstellen, die Familien in sozialen Notlagen oder bei innerfamiliären Konflikten begleiten, treffen wir immer auch Kinder und Jugendliche. Überall, wo Erwachsene, die Verantwortung für Kinder tragen, in Not geraten, sind Kinder eben mit betroffen:

Arbeitslosigkeit und Armut, Erkrankungen und Krisen aller Art, die ein Familiensystem erschüttern, erschüttern immer die konkreten Biographien der Jüngsten im Land.

Jede Politik, jede politische Entscheidung hat direkt oder indirekt Folgen für die jungen Menschen. Welche Prioritäten werden gesetzt? Wofür wird Geld in die Hand genommen und wofür eben nicht? Wann ist das Wohl von Kindern und Jugendlichen ein Kriterium für gelingendes Zusammenleben? Und wann nicht? Jung zu sein, ist heute in den unterschiedlichsten Kontexten eine Herausforderung:

Wenn der Nahverkehr nicht funktioniert, trifft das Jugendliche – besonders hart in ländlichen Räumen. Wenn der Dienstplan der Mutter keine Rücksicht auf Familienzeiten nimmt, wenn der nächste Kieferorthopäde 30 Kilometer entfernt ist, wenn dem Opa der Pflegevertrag wegen Fachkräftemangels gekündigt wird, wenn die Kosten für die Klassenreise oder den Computer das Budget sprengen, sind Kinder und Jugendliche unmittelbar betroffen.

Auch  dass der Krieg in Europa zurück ist, dass Heizen und Einkaufen immer teurer wird, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass 32.000 Tierarten unmittelbar vor dem Aussterben stehen, dass Depression eine Volkskrankheit ist, hat Folgen für viele Kinderseelen und -leben.

Kinderarmut bekämpfen

Und es ist ein Skandal, an den wir uns nicht gewönnen dürfen,  dass Kinder in einem reichen Land wie Deutschland das größte Armutsrisiko darstellen. Die Diakonie wird nicht müde, darauf hinzuweisen und dagegen anzugehen.  Es kann nicht sein, dass, wer zwei oder mehr Kinder hat, sehr schnell zu den Einkommensarmen gehört, wie die Zahlen der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zu Mehrkindfamilien belegen.

Besonders schwierig ist die Lage für alleinerziehende Familien mit mehreren Kindern. Mehr als 86 Prozent von ihnen sind auf Sozialtransfers angewiesen. Hier muss nun mehr für Chancen- und Teilhabegerechtigkeit geschehen, wenn Bildungschancen nicht endgültig eine Frage des Geldbeutels bleiben sollen.

Und noch etwas muss uns beschäftigen: Ein gutes Drittel der Jugendlichen in Deutschland kommt heute aus Familien mit Zuwanderungsgeschichten. In manchen Regionen sind – salopp gesagt – Mehrsprachigkeit und Muttersprachlichkeit enge Verwandte, kulturelle Buntheit schon lang gelebte Selbstverständlichkeit. In anderen Teilen Deutschlands gilt sie immer noch als exotisch.

Auch mit diesen Ungleichzeitigkeiten müssen wir einen tauglichen Umgang finden. Die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts wird helfen, diese Selbstverständlichkeit fester in der Gesellschaft zu verankern. Für die Wähler:innen von morgen. Auch daran sollte unser Bündnis arbeiten.

Querschnittsthema Jugend

Der Aufruf der Bundeministerin nimmt diese Fragen mit guten Gründen in den Blick und fordert, die Fragen der jungen Generation als „Querschnittsthema“ durch alle Politikbereiche hindurch zu behandeln. Deswegen braucht es umsichtige Menschen, die genau das auf dem Schirm haben, die immer wieder nachhaken und fragen: Habt ihr bei euren Entscheidungsfindungen die Interessen der jungen Generation im Blick?

Diese Art der Bündnisbildung wird hoffentlich mehr als Symbolpolitik. Denn für wirksames politisches Handeln in unserer freiheitlichen Demokratie sind Beteiligungsräume und Möglichkeiten zur Verantwortungsübernahme gerade für die immer bunter werdende junge Generation in der Zivilgesellschaft unverzichtbar.

Gemeinsame Verantwortung

Wir alle tragen gemeinsam Verantwortung dafür, in welche Richtung sich unser Land entwickeln wird: Kunst und Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Wohlfahrt, Arbeitnehmer und Arbeitsgeber und auch die Diakonie. Ich bin sehr gespannt, welche Allianzen sich bilden werden und mit welch konkreten Projekten das Bündnis für die junge Generation Gegenwart und Zukunft gestalten wird. – Wir sind gerne dabei.