,Integration braucht ein Zuhause.‘ So formuliert es „Wohnraum für alle“ (WoFA) – ein dezentral arbeitendes Projekt der Evangelischen Landeskirche und der Diakonie Bayern; gefördert durch das bayerische Innenministerium. – Eines meiner Highlights auf dem Kirchentag in Nürnberg war das Gespräch mit den hochengagierten Projektmitarbeitenden. Ihre Erfolgsgeschichten in lokalen Netzwerken können – da bin ich sicher – auch im übrigen Bundesgebiet ihre Fortsetzung finden.
Wohnraum für alle
Seit 2019 hat WoFa, das inzwischen an acht Standorten in Bayern aktiv ist, über 2.000 Menschen mit Fluchtgeschichten und dauerhaftem Aufenthaltsrecht erfolgreich dabei geholfen, eine eigene, bezahlbare Wohnung zu finden. Projekte wie dieses sind ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer gelingenden Integration, eine Gelingensbedingung für ein Ankommen in unserer Gesellschaft.
Allein in Bayern leben derzeit rund 17.000 Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Massenunterkünften – weil sie eben keine Wohnung finden. Das ist eine schlimme und viel zu hohe Zahl. Diese 17.000 alleinstehenden Männer und Frauen, Mütter mit Kindern oder Familien, die an einem in jeder Hinsicht problematischen Ort leben müssen, nennt man im furchtbaren Amtsdeutsch „Fehlbeleger“ – als hätten sie etwas falsch gemacht. Dabei liegt der Fehler im System, etwa in der fehlgeleiteten Wohnungspolitik der zurückliegenden Jahrzehnte und eben in den hochproblematischen Großeinrichtungen.
Unfairer Konkurrenzkampf
Die Mieten – insbesondere in Ballungsräumen – steigen ungebremst. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum bedroht Haushalte mit niedrigen Einkommen existenziell und hat längst die Mittelschicht erreicht. In diesem leergefegten Wohnungsmarkt konkurrieren nun die geflüchteten Menschen nicht nur mit vielen andern, die eine Wohnung suchen. Sie kämpfen auch noch mit den kulturellen und sprachlichen Hürden, nicht zuletzt mit den krassen Vorurteilen mancher Vermieter:innen. Fair ist das nicht.
Genau hier setzt WoFa an: kulturvermittelnd, netzwerkend, brückenbauend. Ein echter Integrations-Scout. WoFa fördert gleichberechtigte Teilhabe auf dem Wohnungsmarkt und macht die Mieter:innen in spe fit für die Begegnung mit Vermieter:innen und alle Fragen rund um Mieten und Wohnen. Denn auch Mieten und Wohnen sind ja „Kulturtechniken“, folgen eigenen Regeln und Sprachspielen, die erlernt werden können.
Regeln und Sprachspiele
Wie bewerbe ich mich erfolgreich um eine Wohnung, welche Informationen erwarten Vermieter:innen? Welche Bescheinigungen brauche ich, und mit welchen Fragen muss ich rechnen? – Aber auch: Wie funktioniert Mülltrennung in Deutschland? Welche Regeln gelten in einem Mietshaus? Welche Rechten und Pflichten gibt es …? – WoFA schult die Klient:innen, unterstützt sie bei Antragstellungen oder Besichtigungsterminen und begleitet sie im gesamten Prozess.
Zum anderen – und das finde ich bestechend – geht es aber auch darum, neue, potenzielle Vermieter:innen zu entdecken. WoFa ist nicht nur ein Integrations-, sondern auch eine Art Wohnungsscout:
Wo gibt es in unserer Stadt, in unserem Dorf ungenutzten Wohnraum – bei Wohnungsbaugesellschaften, in kirchlichen oder diakonischen Immobilien, bei Privatpersonen? Wie könnten wir ihn nutzbar machen? Gibt es Möglichkeiten für Zwischenmieten und Umnutzungen? Es ist mühsam, aber diese Alltagsheld:innen finden immer wieder Wohnungen im Bestand und erschließen brachliegende Räume.
Neue Wohngemeinnützigkeit
Viel mehr könnte möglich sein, wenn die Ampel in Berlin endlich ein Gesetz für eine Neue Wohngemeinnnützigkeit vorlegte und dadurch ein nicht-renditeorientierter Sektor am Wohnungsmarkt geschaffen würde. Wichtig wäre uns als Diakonie dabei ein sozial und ökologisch nachhaltiger Umgang mit Steuermitteln, also eine echte Gemeinnützigkeit, bei der sämtliche Förderungen und Erträge vollständig und dauerhaft in die soziale Vermietung fließen. Ein neues Förderprogramm ohne Gemeinnützigkeit, allein für die gewerbliche Immobilienwirtschaft brauchen wir nicht. (Vorschläge der Diakonie kann man hier nachlesen.)
Dann wäre es künftig auch möglich, dass gemeinnützige diakonische Unternehmen ihre Immobilien für dauerhaft bezahlbares Wohnen und Wohnen für benachteiligte Gruppen nutzen und weiter entwickeln. Das würde, davon bin ich überzeugt, nicht nur für die WoFa-Klient:innen einen spürbaren Effekt nach sich ziehen. Sondern auch für viele andere, die verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung suchen.
Dezentral und regional
WoFa macht auch deutlich, wie wichtig dezentrale Steuerung und regionale Netzwerke für innovative und erfolgreiche soziale Arbeit sind. Denn der Wohnungsmarkt in Augsburg tickt eben anders als in Traunstein, in Hof sind andere Player interessant als in Kempten oder München.
Auch die Netzwerke von Kooperationspartner:innen in Behörden, Ämtern, bei lokalen Unternehmen, in Kirche und Diakonie, aber auch in der Zivilgesellschaft sehen überall anders aus. Wirken sie konstruktiv, mit einem gemeinsamen Ziel zum Wohle aller zusammen, entsteht Neues und Gutes. Genau dort, wo Menschen ihren Alltag leben.
Ich fand es überaus spannend zu hören, wie über die zurückliegenden Jahre, Vertrauen mit ganz unterschiedlichen Partnern aufgebaut werden konnte. Gerade auch die private Wohnungswirtschaft ist an vielen Orten eine verlässliche Partnerin für die Diakonie geworden. Inzwischen fragt sie nach, ob es neue „WoFA“-Mieter:innen gäbe – wegen der guten Erfahrungen, die sie miteinander machen: „Wir verstehen uns dabei als Bergführer. Den Berg besteigen müssen sie dann selbst. Wir helfen ihnen, den richtigen Weg zu finden,“ erklärt ein Projektteilnehmer. Erstaunlich viele finden ihn.
Nachahmer:innen erwünscht
Deutschland braucht viele solche Bergführer, nicht müde werdende Integrations- und Wohnungsscouts. Sie haben Hoffnung im Gepäck. Und die benötigen wir alle. Nicht nur in Bayern. Ich wünsche mir viele Nachahmer:innen – auch in anderen Bundesländern.
Im Herbst veranstaltet die Diakonie Deutschland zum Abschluss des 175-jährigen Jubiläums in Leipzig ihren Zukunftskongress Vision2048: #ausLiebe – Zukunft gestalten. Wir laden Projekte wie WoFA ein, die einen besonderen Beitrag zu einer sozialen und klimagerechten Zukunft leisten: Sie haben dort die einmalige Chance, sich vorzustellen, mit anderen Zukunftsgestalter:innen zu vernetzen und mit Stiftungen ins Gespräch kommen. Damit die Hoffnung weiter wächst.
Und hier können Sie sich beim Zukunftskongress Vision2048 bewerben