Jubeljahr für klamme Kommunen

Wer wie ich lange Jahr in einer vergleichsweise reichen Stadt wie Düsseldorf gelebt und gearbeitet hat, darf sich glücklich schätzen: der öffentliche Nahverkehr funktioniert, die Stadt kann investieren in Kultur und Bildung und ein Familienausflug am Wochenende ins Hallenbad ist auch kein Problem. Wenige Kilometer nördlich, im Ruhrgebiet, sieht die Welt oft schon ganz anders aus: Dort hat jahrzehntelanger Strukturwandel nicht nur für tiefe Schlaglöcher in den Straßen gesorgt, sondern auch das Vertrauen vieler Menschen in ihren Staat tief erschüttert.

Verarmte Kommunen machen besorgte Bürger. Darum sind Altschulden ein Demokratieproblem. Bild: Diakonie Deutschland / Evamaria Bohle

Gleichwertige Lebensverhältnisse

Denn wenn sich eine Kommune nur noch das Nötigste für ihre Bürger leisten kann, geht es schnell auch mit dem Gefühl dazuzugehören und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt bergab – und damit letztlich mit der Demokratie. Aber gerade in einer immer diverseren Gesellschaft wird es immer wichtiger, wenigstens für halbwegs gleiche Lebenschancen zu sorgen. Und das ist nun mal eine staatliche Aufgabe.

Postleitzahlen dürfen nicht länger darüber entscheiden, welche Bildungs- und Berufschancen die Menschen haben. Das ist nicht nur ein Gebot des Grundgesetzes, das Bund und Länder auffordert, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, sondern zuerst ein Gebot der politischen Klugheit:

Denn der Staat und seine Leistungsfähigkeit wird von seinen Bürgern nicht in der politisch-medialen Berliner Blase erlebt, sondern konkret vor Ort. Wenn aber in der Grundschule der Putz von den Wänden bröckelt oder kein Bus mehr fährt, büßt der Staat seine Legitimation ein. Johannes Rau brachte es so auf den Punkt: „Die Kommune ist der Ernstfall der Demokratie.“

Metropole oder „Wolferwartungsland“

Wie drängend das Problem ist, zeigen schon wenige Zahlen: Die rund 11.000 deutschen Städte und Gemeinden sitzen auf einem Schuldenberg von insgesamt rund 40.000.000.000 Euro. Völlig ausgeschlossen, dass das Geld jemals zurückgezahlt wird.

Denn nicht nur die Summe von 40 Milliarden Euro ist ein Problem, sondern auch die ungleiche Verteilung dieser Schulden. Während die attraktiven Metropolregionen um Hamburg, München oder Leipzig um die Wette strahlen, geht in strukturschwachen Gegenden wie Teilen des Ruhrgebiets, des Saarlands, Hessens oder in den ostdeutschen Randgebieten langsam das Licht aus.

Experten schätzen, dass rund 2500 Kommunen den Weg aus der Schuldenfalle nicht mehr alleine finden werden. Von blühenden Landschaften ist dort schon lange keine Rede mehr: Wer kann, zieht weg, die Übriggebliebenen finden sich irgendwann im „Wolfserwartungsland“ wieder.

Darum: Schuldenerlass

Was ist zu tun? Der Vorschlag des Bundesfinanzministers, die ärmsten Kommunen mit einem großangelegten Schuldenerlass auf einen Schlag zu entlasten, zielt in die richtige Richtung. Das geht allerdings nur, wenn die Bundesländer mitziehen – und die reichen Kommunen, die davon nicht direkt profitieren werden.

Der Zeitpunkt dafür ist jetzt, denn noch nie waren die Zinsen so niedrig. Steigen sie irgendwann wieder an, was so sicher ist wie das Amen in der Kirche, dreht sich die Schuldenspirale umso schneller. Denn viele Kommunen können selbst ihre Zinsen nur mit neuen Krediten bedienen.

Jubeljahr für 2020

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, braucht es dringend ein „Erlassjahr“, wie es im 3. Buch Mose 25, 10-11 heißt. Ein solches „Jubeljahr“, wie es auch genannt wird, soll verhindern, dass Familien und Sippen unwiderruflich an den Folgen der wirtschaftlichen Misserfolge ihrer Vorfahren zu leiden haben. Stattdessen sollen Familien alle fünfzig Jahre die Chance auf einen umfassenden Neubeginn erhalten. Dadurch wird das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich gestoppt und politischen und gesellschaftlichen Unruhen im Land vorgebeugt.

Gerecht oder gleich

Aber wäre ein Schuldenerlass auch gerecht? Gegenüber denen, die in der Vergangenheit solider gewirtschaftet haben? Die vielleicht klügere Bürgermeister hatten? Die den Gürtel in der eigenen Gemeinde schon viel früher enger geschnallt haben?

Ich finde, solche moralisierende Besserwisserei bringt uns als Gesellschaft nicht weiter. Wer Hilfe braucht, sollte sie auch bekommen. Im Gegenzug könnten sich die profitierenden Gemeinden zu Strukturreformen verpflichten, um ihre Stadtsäckel nachhaltig zu sanieren. Auch sollten Lokalpolitiker viel mehr voneinander lernen; nicht jede Idee ist übertragbar, aber es braucht mehr Austausch darüber, wie man es richtig macht. Natürlich unter Einbeziehung der Menschen in einer lebendigen Demokratie.

So betrachtet wäre eine echte „Stunde Null“ bei den Kommunalfinanzen auch eine Investition in den Zusammenhalt eines Landes, das immer größere Schwierigkeiten hat, politisch auf gemeinsame Nenner zu kommen.

Impfung gegen Populismus

Und nicht zuletzt wäre ein kommunaler Altschuldenerlass eine gute Impfung gegen politische Frustration und Populismus, wenn er sich mit gemeinsamen Planungsprozessen mit der Zivilgesellschaft vor Ort verbindet. Dann geht viel mehr, wie viele hervorragende Beispiele zeigen.

Und wer seinen Staat vor der eigenen Haustür als handlungsfähig, innovativ und einladend erlebt, wird den ideenlosen Untergangspropheten und ihrer Uralt-Partei nicht hinterherlaufen, die unser Land mit ihrer rückwärtsgewandten Scheinlösungen und ihrer Hetze mit ihrem bräunlichen Mehltau überziehen wollen.